Bald ist sie wieder aufgeschluckt von dem fließenden Wirrwarrwandel der Tagesdinge. Auch die Seele hat einmal von der Einfachheit und der Freiheit des Lebens geträumt. Aber dann kam das Leben selbst und löschte mit seinem bunten Zuviel alle diese vagen Träume aus. Nur manchmal flattert noch ein verlorener Traumfetzen durch Deine Welt der wirklichen Dinge und mahnt Dich an einstige Sehnsuchten, Hoffnungen, Erwartungen, an einstige Gewißheiten. Merkwürdig verstören diese Erinne- rungen und stärken doch zugleich. Schmerzlich ge- bären sie Ideale ... oder erneuern, vervollkommnen verblichene wieder und verkümmerte. Wie ein me- taphysisches Erzittern feinsten, sublimsten Nerven- lebens ist es in Dir ... wie ein Erzittern, das aber immer weitere Kreise schlägt und immermehr hinein in den Fluthspiegel der realen Welt. So wird man wieder zum bewußten Kämpfer, wo man vorher nur unfreiwilliger Arbeiter ge- wesen war. Der, den sich die Welt unterworfen hatte, hat nun die Welt sich unterworfen. Und die Zeit ist wahrhaftig dazu angethan, daß man ein Kämpfer in ihr ist! Wie oft habe ich sie schon packen wollen in ihrem innersten Nerv -- diese merkwürdige Zeit -- unsere Zeit! Es gelingt mir nicht. Indizienkrumen sammeln ... Brocken ... Steinchen ... Steinchen auf Steinchen kleben -- das kann ich nicht. Von ihren großen Strömungen lasse ich mich gar gern ergreifen. Vieles ... zu Vieles darf ... muß hier an uns rühren. Es
Bald iſt ſie wieder aufgeſchluckt von dem fließenden Wirrwarrwandel der Tagesdinge. Auch die Seele hat einmal von der Einfachheit und der Freiheit des Lebens geträumt. Aber dann kam das Leben ſelbſt und löſchte mit ſeinem bunten Zuviel alle dieſe vagen Träume aus. Nur manchmal flattert noch ein verlorener Traumfetzen durch Deine Welt der wirklichen Dinge und mahnt Dich an einſtige Sehnſuchten, Hoffnungen, Erwartungen, an einſtige Gewißheiten. Merkwürdig verſtören dieſe Erinne- rungen und ſtärken doch zugleich. Schmerzlich ge- bären ſie Ideale ... oder erneuern, vervollkommnen verblichene wieder und verkümmerte. Wie ein me- taphyſiſches Erzittern feinſten, ſublimſten Nerven- lebens iſt es in Dir ... wie ein Erzittern, das aber immer weitere Kreiſe ſchlägt und immermehr hinein in den Fluthſpiegel der realen Welt. So wird man wieder zum bewußten Kämpfer, wo man vorher nur unfreiwilliger Arbeiter ge- weſen war. Der, den ſich die Welt unterworfen hatte, hat nun die Welt ſich unterworfen. Und die Zeit iſt wahrhaftig dazu angethan, daß man ein Kämpfer in ihr iſt! Wie oft habe ich ſie ſchon packen wollen in ihrem innerſten Nerv — dieſe merkwürdige Zeit — unſere Zeit! Es gelingt mir nicht. Indizienkrumen ſammeln ... Brocken ... Steinchen ... Steinchen auf Steinchen kleben — das kann ich nicht. Von ihren großen Strömungen laſſe ich mich gar gern ergreifen. Vieles ... zu Vieles darf ... muß hier an uns rühren. Es
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Bald iſt ſie wieder aufgeſchluckt von dem fließenden
Wirrwarrwandel der Tagesdinge. Auch die Seele
hat einmal von der Einfachheit und der Freiheit
des Lebens geträumt. Aber dann kam das Leben
ſelbſt und löſchte mit ſeinem bunten Zuviel alle
dieſe vagen Träume aus. Nur manchmal flattert
noch ein verlorener Traumfetzen durch Deine Welt
der wirklichen Dinge und mahnt Dich an einſtige
Sehnſuchten, Hoffnungen, Erwartungen, an einſtige
Gewißheiten. Merkwürdig verſtören dieſe Erinne-
rungen und ſtärken doch zugleich. Schmerzlich ge-
bären ſie Ideale ... oder erneuern, vervollkommnen
verblichene wieder und verkümmerte. Wie ein me-
taphyſiſches Erzittern feinſten, ſublimſten Nerven-
lebens iſt es in Dir ... wie ein Erzittern, das
aber immer weitere Kreiſe ſchlägt und immermehr
hinein in den Fluthſpiegel der realen Welt. So
wird man wieder zum bewußten Kämpfer,
wo man vorher nur unfreiwilliger Arbeiter ge-
weſen war. Der, den ſich die Welt unterworfen
hatte, hat nun die Welt ſich unterworfen. Und die
Zeit iſt wahrhaftig dazu angethan, daß man ein
Kämpfer in ihr iſt! Wie oft habe ich ſie ſchon
packen wollen in ihrem innerſten Nerv — dieſe
merkwürdige Zeit — unſere Zeit! Es gelingt
mir nicht. Indizienkrumen ſammeln ... Brocken
... Steinchen ... Steinchen auf Steinchen kleben —
das kann ich nicht. Von ihren großen Strömungen
laſſe ich mich gar gern ergreifen. Vieles ... zu
Vieles darf ... muß hier an uns rühren. Es
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/240>, abgerufen am 05.05.2024.
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