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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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glaubt dabei immer noch, daß sich einige seiner neu-
aufgefärbten "Ideale" einmal erfüllen werden ...
es lebt sehr ästhetisch-epicureisch -- zugleich in ge-
wisser Hinsicht sehr moralisch ... interessirt sich stark
für alle möglichen nationalen und .. internationalen
Fragen, die jedenfalls immer sehr "brennende" sein
müssen -- -- kurz: das Individuum lebt ... er-
lebt ... trägt ... erträgt ... leidet -- arbeitet ..."

Adam unterbrach sich. Er wischte sich mit dem
Taschentuche über die schweißfeucht überlaufene Stirn
und nippte an dem Bierglase, das Hedwig vor-
hin wieder frisch gefüllt hatte. Im Allgemeinen
war er mit sich ganz zufrieden. Er fühlte zwar
sehr gut heraus, daß er hier und da den Nagel durch-
aus nicht auf den sogenannten Kopf getroffen hatte ..
daß mancher Wurf fehl gegangen .. daß mancher Hieb
abgerutscht war .. Vieles hatte er, ein Opfer seiner
augenblicklichen, durchaus nicht so unbequemen, immer-
hin ganz "gemüthlichen" Situation, nur logisch aus
der Erinnerung nachkonstruirt -- Schwere, Tiefe
und Ernst seines Motivs keineswegs erschöpft. Halb
bewußt, halb unbewußt hatte er hier ein Zuviel,
dort ein Zuwenig gegeben .. manchen Accent falsch
aufgesetzt .. Lichter und Farben öfter etwas will-
kürlich vertheilt ... Aber das ist ja schließlich unver-
meidlich, tröstete sich Adam. Im Monolog wie im
Dialog ist die Anknüpfung und Fortführung der
Gedankenreihe eine mehr oder weniger zufällige ..
von der Associationsgewohnheit des Individuums
abhängige .. Nicht die innere Geschlossenheit und


glaubt dabei immer noch, daß ſich einige ſeiner neu-
aufgefärbten „Ideale“ einmal erfüllen werden ...
es lebt ſehr äſthetiſch-epicureiſch — zugleich in ge-
wiſſer Hinſicht ſehr moraliſch ... intereſſirt ſich ſtark
für alle möglichen nationalen und .. internationalen
Fragen, die jedenfalls immer ſehr „brennende“ ſein
müſſen — — kurz: das Individuum lebt ... er-
lebt ... trägt ... erträgt ... leidet — arbeitet ...“

Adam unterbrach ſich. Er wiſchte ſich mit dem
Taſchentuche über die ſchweißfeucht überlaufene Stirn
und nippte an dem Bierglaſe, das Hedwig vor-
hin wieder friſch gefüllt hatte. Im Allgemeinen
war er mit ſich ganz zufrieden. Er fühlte zwar
ſehr gut heraus, daß er hier und da den Nagel durch-
aus nicht auf den ſogenannten Kopf getroffen hatte ..
daß mancher Wurf fehl gegangen .. daß mancher Hieb
abgerutſcht war .. Vieles hatte er, ein Opfer ſeiner
augenblicklichen, durchaus nicht ſo unbequemen, immer-
hin ganz „gemüthlichen“ Situation, nur logiſch aus
der Erinnerung nachkonſtruirt — Schwere, Tiefe
und Ernſt ſeines Motivs keineswegs erſchöpft. Halb
bewußt, halb unbewußt hatte er hier ein Zuviel,
dort ein Zuwenig gegeben .. manchen Accent falſch
aufgeſetzt .. Lichter und Farben öfter etwas will-
kürlich vertheilt ... Aber das iſt ja ſchließlich unver-
meidlich, tröſtete ſich Adam. Im Monolog wie im
Dialog iſt die Anknüpfung und Fortführung der
Gedankenreihe eine mehr oder weniger zufällige ..
von der Aſſociationsgewohnheit des Individuums
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[223/0231] glaubt dabei immer noch, daß ſich einige ſeiner neu- aufgefärbten „Ideale“ einmal erfüllen werden ... es lebt ſehr äſthetiſch-epicureiſch — zugleich in ge- wiſſer Hinſicht ſehr moraliſch ... intereſſirt ſich ſtark für alle möglichen nationalen und .. internationalen Fragen, die jedenfalls immer ſehr „brennende“ ſein müſſen — — kurz: das Individuum lebt ... er- lebt ... trägt ... erträgt ... leidet — arbeitet ...“ Adam unterbrach ſich. Er wiſchte ſich mit dem Taſchentuche über die ſchweißfeucht überlaufene Stirn und nippte an dem Bierglaſe, das Hedwig vor- hin wieder friſch gefüllt hatte. Im Allgemeinen war er mit ſich ganz zufrieden. Er fühlte zwar ſehr gut heraus, daß er hier und da den Nagel durch- aus nicht auf den ſogenannten Kopf getroffen hatte .. daß mancher Wurf fehl gegangen .. daß mancher Hieb abgerutſcht war .. Vieles hatte er, ein Opfer ſeiner augenblicklichen, durchaus nicht ſo unbequemen, immer- hin ganz „gemüthlichen“ Situation, nur logiſch aus der Erinnerung nachkonſtruirt — Schwere, Tiefe und Ernſt ſeines Motivs keineswegs erſchöpft. Halb bewußt, halb unbewußt hatte er hier ein Zuviel, dort ein Zuwenig gegeben .. manchen Accent falſch aufgeſetzt .. Lichter und Farben öfter etwas will- kürlich vertheilt ... Aber das iſt ja ſchließlich unver- meidlich, tröſtete ſich Adam. Im Monolog wie im Dialog iſt die Anknüpfung und Fortführung der Gedankenreihe eine mehr oder weniger zufällige .. von der Aſſociationsgewohnheit des Individuums abhängige .. Nicht die innere Geſchloſſenheit und

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/231>, abgerufen am 27.11.2024.