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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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Irmers vorbereitete, obwohl er eigentlich entschlossen
war, diesen Kelch an sich vorübergehen zu lassen,
hatte sich seiner das Gefühl einer entkräftenden
inneren Leere und Nüchternheit bemächtigt. Alles
widerte ihn an. Was sollte er in aller Welt heute
Abend bei Irmers! Wieder zu Hedwig die Fäden
hinüberspinnen? Zur Abwechslung sich wieder einmal
von dieser Dame anregen oder aufregen lassen?
Es war so überflüssig .. so unsäglich überflüssig.

Apathisch lag Adam auf dem Sopha. Es dünkte
ihn erschütternd komisch, daß er sich soeben einen
frischen Kragen umgeknöpft. Aber im nächsten
Augenblicke ertappte er sich schon dabei, wie er
nach einem besonders drastischen und impertinenten
Motive suchte, mit dem er heute Abend Fräulein
Irmer traktiren wollte. Adam wurde sich klar
darüber, daß er das unnatürliche Verhältniß, in
welchem heute das männliche und weibliche Geschlecht
zu einander stehen, einmal mit rücksichtsloser und,
wenn nothwendig, mit cynischer Offenheit einer
Dame gegenüber zur Sprache bringen mußte.
Und diese Dame abzugeben .. nun! -- dazu schien
Fräulein Irmer, dieses blasse, spröde, in einem
engen Leben hinkümmernde Weib, vorzüglich geeignet
zu sein. Es war jedenfalls so etwas wie eine
"That", einmal mit der Brandfackel zu hantiren ..
ein verlöschendes Dasein noch einmal den Traum
von einem vollen, glühenden, ungehemmt vorwärts-
stürmenden Leben träumen zu lassen ...

Aber auch dieser Vorsatz erschien dem Herrn

Irmers vorbereitete, obwohl er eigentlich entſchloſſen
war, dieſen Kelch an ſich vorübergehen zu laſſen,
hatte ſich ſeiner das Gefühl einer entkräftenden
inneren Leere und Nüchternheit bemächtigt. Alles
widerte ihn an. Was ſollte er in aller Welt heute
Abend bei Irmers! Wieder zu Hedwig die Fäden
hinüberſpinnen? Zur Abwechslung ſich wieder einmal
von dieſer Dame anregen oder aufregen laſſen?
Es war ſo überflüſſig .. ſo unſäglich überflüſſig.

Apathiſch lag Adam auf dem Sopha. Es dünkte
ihn erſchütternd komiſch, daß er ſich ſoeben einen
friſchen Kragen umgeknöpft. Aber im nächſten
Augenblicke ertappte er ſich ſchon dabei, wie er
nach einem beſonders draſtiſchen und impertinenten
Motive ſuchte, mit dem er heute Abend Fräulein
Irmer traktiren wollte. Adam wurde ſich klar
darüber, daß er das unnatürliche Verhältniß, in
welchem heute das männliche und weibliche Geſchlecht
zu einander ſtehen, einmal mit rückſichtsloſer und,
wenn nothwendig, mit cyniſcher Offenheit einer
Dame gegenüber zur Sprache bringen mußte.
Und dieſe Dame abzugeben .. nun! — dazu ſchien
Fräulein Irmer, dieſes blaſſe, ſpröde, in einem
engen Leben hinkümmernde Weib, vorzüglich geeignet
zu ſein. Es war jedenfalls ſo etwas wie eine
„That“, einmal mit der Brandfackel zu hantiren ..
ein verlöſchendes Daſein noch einmal den Traum
von einem vollen, glühenden, ungehemmt vorwärts-
ſtürmenden Leben träumen zu laſſen ...

Aber auch dieſer Vorſatz erſchien dem Herrn

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[202/0210] Irmers vorbereitete, obwohl er eigentlich entſchloſſen war, dieſen Kelch an ſich vorübergehen zu laſſen, hatte ſich ſeiner das Gefühl einer entkräftenden inneren Leere und Nüchternheit bemächtigt. Alles widerte ihn an. Was ſollte er in aller Welt heute Abend bei Irmers! Wieder zu Hedwig die Fäden hinüberſpinnen? Zur Abwechslung ſich wieder einmal von dieſer Dame anregen oder aufregen laſſen? Es war ſo überflüſſig .. ſo unſäglich überflüſſig. Apathiſch lag Adam auf dem Sopha. Es dünkte ihn erſchütternd komiſch, daß er ſich ſoeben einen friſchen Kragen umgeknöpft. Aber im nächſten Augenblicke ertappte er ſich ſchon dabei, wie er nach einem beſonders draſtiſchen und impertinenten Motive ſuchte, mit dem er heute Abend Fräulein Irmer traktiren wollte. Adam wurde ſich klar darüber, daß er das unnatürliche Verhältniß, in welchem heute das männliche und weibliche Geſchlecht zu einander ſtehen, einmal mit rückſichtsloſer und, wenn nothwendig, mit cyniſcher Offenheit einer Dame gegenüber zur Sprache bringen mußte. Und dieſe Dame abzugeben .. nun! — dazu ſchien Fräulein Irmer, dieſes blaſſe, ſpröde, in einem engen Leben hinkümmernde Weib, vorzüglich geeignet zu ſein. Es war jedenfalls ſo etwas wie eine „That“, einmal mit der Brandfackel zu hantiren .. ein verlöſchendes Daſein noch einmal den Traum von einem vollen, glühenden, ungehemmt vorwärts- ſtürmenden Leben träumen zu laſſen ... Aber auch dieſer Vorſatz erſchien dem Herrn

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/210>, abgerufen am 28.11.2024.