Adam verspürte wirklich Appetit auf eine gute Cigarette. Er bemächtigte sich der Schachtel, die er leicht fand, und ging zum Sophatisch zurück. In demselben Augenblick, wo er den braungelben, kraus- geflockten Tabak über der Lampe anzündete, trat Lydia wieder ins Zimmer.
"Mit Ihrer Erlaubniß, gnädige Frau, habe ich also soeben ... soeben Feuer gefangen ..."
"Bravo, Herr Doctor!" Lydia lächelte, aber etwas gezwungen. Unmuth und Aerger lagen auf ihrem Gesicht.
"Wie glücklich sind doch diese Menschen!" ließ Frau Lange jetzt verlauten -- "Sitzen die beiden, August und Emma, seelenvergnügt in der Küche zusammen und schwatzen sich tausend Dummheiten vor ... Alles Andere wird ganz gemüthlich ver- gessen -- die Leutchen scheinen rechtschaffen verliebt ineinander zu sein ... Geschmacklos -- finden Sie nicht auch, Herr Doctor? Diese dumme Plebejer- liebe! .."
"Geschmacklos -- warum, gnädige Frau? Warum nennen Sie das Natürliche ,geschmacklos'? Und Sie finden doch auch, daß die Menschen glücklich sind! Ja! Ich glaube es beinahe auch: glücklicher sind sie, als Unsereiner ... Sie dürfen so viel un- genirter, so viel zwangloser, unmittelbarer, derber, ehrlicher sein! Allerdings ... für uns ist unter Umständen ja gerade das Unnatürliche .. glücklicher- weise das Natürliche ... das Pikante, das Rei- zende, Anreizende, Schaffende. Ich wenigstens liebe
Conradi, Adam Mensch. 10
Adam verſpürte wirklich Appetit auf eine gute Cigarette. Er bemächtigte ſich der Schachtel, die er leicht fand, und ging zum Sophatiſch zurück. In demſelben Augenblick, wo er den braungelben, kraus- geflockten Tabak über der Lampe anzündete, trat Lydia wieder ins Zimmer.
„Mit Ihrer Erlaubniß, gnädige Frau, habe ich alſo ſoeben ... ſoeben Feuer gefangen ...“
„Bravo, Herr Doctor!“ Lydia lächelte, aber etwas gezwungen. Unmuth und Aerger lagen auf ihrem Geſicht.
„Wie glücklich ſind doch dieſe Menſchen!“ ließ Frau Lange jetzt verlauten — „Sitzen die beiden, Auguſt und Emma, ſeelenvergnügt in der Küche zuſammen und ſchwatzen ſich tauſend Dummheiten vor ... Alles Andere wird ganz gemüthlich ver- geſſen — die Leutchen ſcheinen rechtſchaffen verliebt ineinander zu ſein ... Geſchmacklos — finden Sie nicht auch, Herr Doctor? Dieſe dumme Plebejer- liebe! ..“
„Geſchmacklos — warum, gnädige Frau? Warum nennen Sie das Natürliche ‚geſchmacklos‘? Und Sie finden doch auch, daß die Menſchen glücklich ſind! Ja! Ich glaube es beinahe auch: glücklicher ſind ſie, als Unſereiner ... Sie dürfen ſo viel un- genirter, ſo viel zwangloſer, unmittelbarer, derber, ehrlicher ſein! Allerdings ... für uns iſt unter Umſtänden ja gerade das Unnatürliche .. glücklicher- weiſe das Natürliche ... das Pikante, das Rei- zende, Anreizende, Schaffende. Ich wenigſtens liebe
Conradi, Adam Menſch. 10
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Adam verſpürte wirklich Appetit auf eine gute
Cigarette. Er bemächtigte ſich der Schachtel, die
er leicht fand, und ging zum Sophatiſch zurück. In
demſelben Augenblick, wo er den braungelben, kraus-
geflockten Tabak über der Lampe anzündete, trat
Lydia wieder ins Zimmer.
„Mit Ihrer Erlaubniß, gnädige Frau, habe ich
alſo ſoeben ... ſoeben Feuer gefangen ...“
„Bravo, Herr Doctor!“ Lydia lächelte, aber
etwas gezwungen. Unmuth und Aerger lagen auf
ihrem Geſicht.
„Wie glücklich ſind doch dieſe Menſchen!“ ließ
Frau Lange jetzt verlauten — „Sitzen die beiden,
Auguſt und Emma, ſeelenvergnügt in der Küche
zuſammen und ſchwatzen ſich tauſend Dummheiten
vor ... Alles Andere wird ganz gemüthlich ver-
geſſen — die Leutchen ſcheinen rechtſchaffen verliebt
ineinander zu ſein ... Geſchmacklos — finden Sie
nicht auch, Herr Doctor? Dieſe dumme Plebejer-
liebe! ..“
„Geſchmacklos — warum, gnädige Frau? Warum
nennen Sie das Natürliche ‚geſchmacklos‘? Und Sie
finden doch auch, daß die Menſchen glücklich ſind!
Ja! Ich glaube es beinahe auch: glücklicher ſind
ſie, als Unſereiner ... Sie dürfen ſo viel un-
genirter, ſo viel zwangloſer, unmittelbarer, derber,
ehrlicher ſein! Allerdings ... für uns iſt unter
Umſtänden ja gerade das Unnatürliche .. glücklicher-
weiſe das Natürliche ... das Pikante, das Rei-
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Conradi, Adam Menſch. 10
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/153>, abgerufen am 05.12.2024.
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