Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite
IX.

Am nächsten Tage schwankte Adam unaufhörlich
in seinen Stimmungen hin und her. Er wußte wieder
einmal nicht ein noch aus. Es war ihm wieder einmal
das Talent ganz abhanden gekommen, sich von der
Widerspenstigkeit der Objecte anziehen, belustigen zu
lassen. Das kann doch zuweilen wirklich sehr amüsant
sein. Zweifelte er an sich, an seinen Kräften und
Fähigkeiten? Er besaß ein sehr schlechtes Gedächtniß
für sich. Eine erneute Stimmung nahm ihn immer
so ganz hin. Und war das gerade eine Stimmung
marternder Geisteszerrissenheit, so mußte er ganz
vergessen, daß ihm einmal klarer, einfacher, un-
mittelbarer, praktischer zu Sinn gewesen. Es lastete
ein unerklärlicher Druck auf ihm, eine gerechtfertigt-
ungerechtfertigte Trauer .. eine peinigende, gegen-
standslose Betrübniß .. kein schneidender Gethse-
maneschmerz .. eine lähmende, zusammenzwingende
Schwere. Er hatte keine Freude daran, die kleinen
Arbeiten des Lebens auf sich zu nehmen. Nichts
Großes erschütterte ihn, das kleine Gewürm halber,
angedeuteter Gefühle verleidete ihm das Leben,
welches ihm doch manchmal mit seinem bunten
Wirrwarr, seinem unermüdlichen Farben- und Formen-
spiel so unendliche Reize bieten konnte. Warum

IX.

Am nächſten Tage ſchwankte Adam unaufhörlich
in ſeinen Stimmungen hin und her. Er wußte wieder
einmal nicht ein noch aus. Es war ihm wieder einmal
das Talent ganz abhanden gekommen, ſich von der
Widerſpenſtigkeit der Objecte anziehen, beluſtigen zu
laſſen. Das kann doch zuweilen wirklich ſehr amüſant
ſein. Zweifelte er an ſich, an ſeinen Kräften und
Fähigkeiten? Er beſaß ein ſehr ſchlechtes Gedächtniß
für ſich. Eine erneute Stimmung nahm ihn immer
ſo ganz hin. Und war das gerade eine Stimmung
marternder Geiſteszerriſſenheit, ſo mußte er ganz
vergeſſen, daß ihm einmal klarer, einfacher, un-
mittelbarer, praktiſcher zu Sinn geweſen. Es laſtete
ein unerklärlicher Druck auf ihm, eine gerechtfertigt-
ungerechtfertigte Trauer .. eine peinigende, gegen-
ſtandsloſe Betrübniß .. kein ſchneidender Gethſe-
maneſchmerz .. eine lähmende, zuſammenzwingende
Schwere. Er hatte keine Freude daran, die kleinen
Arbeiten des Lebens auf ſich zu nehmen. Nichts
Großes erſchütterte ihn, das kleine Gewürm halber,
angedeuteter Gefühle verleidete ihm das Leben,
welches ihm doch manchmal mit ſeinem bunten
Wirrwarr, ſeinem unermüdlichen Farben- und Formen-
ſpiel ſo unendliche Reize bieten konnte. Warum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0132" n="[124]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq">IX.</hi> </hi> </head><lb/>
        <p>Am näch&#x017F;ten Tage &#x017F;chwankte Adam unaufhörlich<lb/>
in &#x017F;einen Stimmungen hin und her. Er wußte wieder<lb/>
einmal nicht ein noch aus. Es war ihm wieder einmal<lb/>
das Talent ganz abhanden gekommen, &#x017F;ich von der<lb/>
Wider&#x017F;pen&#x017F;tigkeit der Objecte anziehen, belu&#x017F;tigen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Das kann doch zuweilen wirklich &#x017F;ehr amü&#x017F;ant<lb/>
&#x017F;ein. Zweifelte er an &#x017F;ich, an &#x017F;einen Kräften und<lb/>
Fähigkeiten? Er be&#x017F;aß ein &#x017F;ehr &#x017F;chlechtes Gedächtniß<lb/>
für &#x017F;ich. Eine erneute Stimmung nahm ihn immer<lb/>
&#x017F;o ganz hin. Und war das gerade eine Stimmung<lb/>
marternder Gei&#x017F;teszerri&#x017F;&#x017F;enheit, &#x017F;o mußte er ganz<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en, daß ihm einmal klarer, einfacher, un-<lb/>
mittelbarer, prakti&#x017F;cher zu Sinn gewe&#x017F;en. Es la&#x017F;tete<lb/>
ein unerklärlicher Druck auf ihm, eine gerechtfertigt-<lb/>
ungerechtfertigte Trauer .. eine peinigende, gegen-<lb/>
&#x017F;tandslo&#x017F;e Betrübniß .. kein &#x017F;chneidender Geth&#x017F;e-<lb/>
mane&#x017F;chmerz .. eine lähmende, zu&#x017F;ammenzwingende<lb/>
Schwere. Er hatte keine Freude daran, die kleinen<lb/>
Arbeiten des Lebens auf &#x017F;ich zu nehmen. Nichts<lb/>
Großes er&#x017F;chütterte ihn, das kleine Gewürm halber,<lb/>
angedeuteter Gefühle verleidete ihm das Leben,<lb/>
welches ihm doch manchmal mit &#x017F;einem bunten<lb/>
Wirrwarr, &#x017F;einem unermüdlichen Farben- und Formen-<lb/>
&#x017F;piel &#x017F;o unendliche Reize bieten konnte. Warum<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[124]/0132] IX. Am nächſten Tage ſchwankte Adam unaufhörlich in ſeinen Stimmungen hin und her. Er wußte wieder einmal nicht ein noch aus. Es war ihm wieder einmal das Talent ganz abhanden gekommen, ſich von der Widerſpenſtigkeit der Objecte anziehen, beluſtigen zu laſſen. Das kann doch zuweilen wirklich ſehr amüſant ſein. Zweifelte er an ſich, an ſeinen Kräften und Fähigkeiten? Er beſaß ein ſehr ſchlechtes Gedächtniß für ſich. Eine erneute Stimmung nahm ihn immer ſo ganz hin. Und war das gerade eine Stimmung marternder Geiſteszerriſſenheit, ſo mußte er ganz vergeſſen, daß ihm einmal klarer, einfacher, un- mittelbarer, praktiſcher zu Sinn geweſen. Es laſtete ein unerklärlicher Druck auf ihm, eine gerechtfertigt- ungerechtfertigte Trauer .. eine peinigende, gegen- ſtandsloſe Betrübniß .. kein ſchneidender Gethſe- maneſchmerz .. eine lähmende, zuſammenzwingende Schwere. Er hatte keine Freude daran, die kleinen Arbeiten des Lebens auf ſich zu nehmen. Nichts Großes erſchütterte ihn, das kleine Gewürm halber, angedeuteter Gefühle verleidete ihm das Leben, welches ihm doch manchmal mit ſeinem bunten Wirrwarr, ſeinem unermüdlichen Farben- und Formen- ſpiel ſo unendliche Reize bieten konnte. Warum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/132
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. [124]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/132>, abgerufen am 21.11.2024.