hüllen, damit sie auf Erden nicht stolpere. Wir werden von der abkühlenden Zeit früher oder später gezwungen, unseren Frieden mit der Welt zu schließen. Aber wir sind doch unterlegen. Wir haben wirken müssen, und Pflichten haben wir erfüllt, obwohl es einmal eine Zeit gegeben hat, wo wir keine Pflicht anerkennen zu dürfen geglaubt. Wir haben schein- bar gehandelt und doch immer nur gelitten. Wir waren Genies im Denken, Fühlen, Entwerfen, Träumen, Dulden. Nun werden die Talente der That kommen, weil sie kommen müssen. Eigentlich bedauern wir sie. Denn wir verstehen sie auch, sie, die für uns kein Verständniß mehr besitzen werden. Vielleicht beneiden wir sie doch ein Wenig. Denn sie athmen in einer reineren Luft, und ein gesün- deres Blut rollt durch ihren Leib.
Diese Gedanken und Betrachtungen, diese mehr oder weniger gültigen und richtigen Bruchstücksresul- tate waren zu dieser Frist auf- und niedergestiegen in Adam. Ungeläufig konnten sie ihm allerdings kaum sein. Er hatte sie zumeist schon in seiner kleinen Schrtft "Das Proletariat des Geistes," an der er ab und zu einige Seiten schrieb, ausge- sprochen.
Merkwürdig, wie wenig er sich eigentlich mit Lydia und Hedwig beschäftigte. Er warf sich diese Gleichgültigkeit, diese Kälte selbst vor. Aber es ge- lang ihm doch nicht, über sie hinauszukommen. Oefter fiel ihm wohl dieses oder jenes Moment ein, das sich neulich bei dem Souper zwischen Lydia und
hüllen, damit ſie auf Erden nicht ſtolpere. Wir werden von der abkühlenden Zeit früher oder ſpäter gezwungen, unſeren Frieden mit der Welt zu ſchließen. Aber wir ſind doch unterlegen. Wir haben wirken müſſen, und Pflichten haben wir erfüllt, obwohl es einmal eine Zeit gegeben hat, wo wir keine Pflicht anerkennen zu dürfen geglaubt. Wir haben ſchein- bar gehandelt und doch immer nur gelitten. Wir waren Genies im Denken, Fühlen, Entwerfen, Träumen, Dulden. Nun werden die Talente der That kommen, weil ſie kommen müſſen. Eigentlich bedauern wir ſie. Denn wir verſtehen ſie auch, ſie, die für uns kein Verſtändniß mehr beſitzen werden. Vielleicht beneiden wir ſie doch ein Wenig. Denn ſie athmen in einer reineren Luft, und ein geſün- deres Blut rollt durch ihren Leib.
Dieſe Gedanken und Betrachtungen, dieſe mehr oder weniger gültigen und richtigen Bruchſtücksreſul- tate waren zu dieſer Friſt auf- und niedergeſtiegen in Adam. Ungeläufig konnten ſie ihm allerdings kaum ſein. Er hatte ſie zumeiſt ſchon in ſeiner kleinen Schrtft „Das Proletariat des Geiſtes,“ an der er ab und zu einige Seiten ſchrieb, ausge- ſprochen.
Merkwürdig, wie wenig er ſich eigentlich mit Lydia und Hedwig beſchäftigte. Er warf ſich dieſe Gleichgültigkeit, dieſe Kälte ſelbſt vor. Aber es ge- lang ihm doch nicht, über ſie hinauszukommen. Oefter fiel ihm wohl dieſes oder jenes Moment ein, das ſich neulich bei dem Souper zwiſchen Lydia und
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hüllen, damit ſie auf Erden nicht ſtolpere. Wir
werden von der abkühlenden Zeit früher oder ſpäter
gezwungen, unſeren Frieden mit der Welt zu ſchließen.
Aber wir ſind doch unterlegen. Wir haben wirken
müſſen, und Pflichten haben wir erfüllt, obwohl es
einmal eine Zeit gegeben hat, wo wir keine Pflicht
anerkennen zu dürfen geglaubt. Wir haben ſchein-
bar gehandelt und doch immer nur gelitten.
Wir waren Genies im Denken, Fühlen, Entwerfen,
Träumen, Dulden. Nun werden die Talente der
That kommen, weil ſie kommen müſſen. Eigentlich
bedauern wir ſie. Denn wir verſtehen ſie auch, ſie,
die für uns kein Verſtändniß mehr beſitzen werden.
Vielleicht beneiden wir ſie doch ein Wenig. Denn
ſie athmen in einer reineren Luft, und ein geſün-
deres Blut rollt durch ihren Leib.
Dieſe Gedanken und Betrachtungen, dieſe mehr
oder weniger gültigen und richtigen Bruchſtücksreſul-
tate waren zu dieſer Friſt auf- und niedergeſtiegen
in Adam. Ungeläufig konnten ſie ihm allerdings
kaum ſein. Er hatte ſie zumeiſt ſchon in ſeiner
kleinen Schrtft „Das Proletariat des Geiſtes,“ an
der er ab und zu einige Seiten ſchrieb, ausge-
ſprochen.
Merkwürdig, wie wenig er ſich eigentlich mit
Lydia und Hedwig beſchäftigte. Er warf ſich dieſe
Gleichgültigkeit, dieſe Kälte ſelbſt vor. Aber es ge-
lang ihm doch nicht, über ſie hinauszukommen.
Oefter fiel ihm wohl dieſes oder jenes Moment ein,
das ſich neulich bei dem Souper zwiſchen Lydia und
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/112>, abgerufen am 22.12.2024.
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