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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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uns aus! Auch so wirken wir, wenn es denn ein-
mal "gewirkt" sein muß -- wirken nach natürlichen
Gesetzen .. und wenn wir bloß unsere Kleider ab-
tragen und unsere Sohlen ablaufen ... Der Schlag
bedingt den Gegenschlag. Aber das soll uns kein
Trost sein, soll unser etwa mahnendes "Gewissen"
nicht beruhigen. Vielleicht müssen wir uns für das
große Zukunftsereigniß aufsparen, unter dem die
Erde in Krämpfen erbeben, in fanatischen Zuckungen
sich schütteln wird. Wir sind so gut wie ausge-
höhlt. Durch Leidenschaften gebrochen, denen wir
uns ergeben haben, weil wir nicht wußten, wie wir
besser unsere Zeit todtschlagen sollten. Wir waren
rathlos geworden, weil wir erkannt, daß unsere
Ideale Illusionen gewesen. Eine jede Brust hatte
den Kampf gegen die Convenienz, gegen die Tra-
dition gekämpft ... wir hatten nicht gesiegt, aber
haben auch nicht verloren. Nun unterliegen wir,
weil wir uns haben zu alt werden lassen, um den
physiologischen Einflüssen des Alten noch entrinnen
zu können. Wir prunken wohl auch ein Wenig
mit unseren Schmerzen und noch mehr mit unserer
Kraft: brechen, stürzen zu können, energisch sein zu
können. Auch jetzt spielen wir noch Komödie. Aber
wir wissen doch jetzt zugleich sehr gut, daß wir
darauf verzichten mußten, unsere besten Kräfte in-
takt erhalten zu können, unsere intensivsten Aus-
strahlungen wirken zu lassen. Wir trugen den
Himmel, das ganze All in der Brust, aber wir be-
dürfen einer Generation, der sich die Sterne ver-

uns aus! Auch ſo wirken wir, wenn es denn ein-
mal „gewirkt“ ſein muß — wirken nach natürlichen
Geſetzen .. und wenn wir bloß unſere Kleider ab-
tragen und unſere Sohlen ablaufen ... Der Schlag
bedingt den Gegenſchlag. Aber das ſoll uns kein
Troſt ſein, ſoll unſer etwa mahnendes „Gewiſſen“
nicht beruhigen. Vielleicht müſſen wir uns für das
große Zukunftsereigniß aufſparen, unter dem die
Erde in Krämpfen erbeben, in fanatiſchen Zuckungen
ſich ſchütteln wird. Wir ſind ſo gut wie ausge-
höhlt. Durch Leidenſchaften gebrochen, denen wir
uns ergeben haben, weil wir nicht wußten, wie wir
beſſer unſere Zeit todtſchlagen ſollten. Wir waren
rathlos geworden, weil wir erkannt, daß unſere
Ideale Illuſionen geweſen. Eine jede Bruſt hatte
den Kampf gegen die Convenienz, gegen die Tra-
dition gekämpft ... wir hatten nicht geſiegt, aber
haben auch nicht verloren. Nun unterliegen wir,
weil wir uns haben zu alt werden laſſen, um den
phyſiologiſchen Einflüſſen des Alten noch entrinnen
zu können. Wir prunken wohl auch ein Wenig
mit unſeren Schmerzen und noch mehr mit unſerer
Kraft: brechen, ſtürzen zu können, energiſch ſein zu
können. Auch jetzt ſpielen wir noch Komödie. Aber
wir wiſſen doch jetzt zugleich ſehr gut, daß wir
darauf verzichten mußten, unſere beſten Kräfte in-
takt erhalten zu können, unſere intenſivſten Aus-
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[103/0111] uns aus! Auch ſo wirken wir, wenn es denn ein- mal „gewirkt“ ſein muß — wirken nach natürlichen Geſetzen .. und wenn wir bloß unſere Kleider ab- tragen und unſere Sohlen ablaufen ... Der Schlag bedingt den Gegenſchlag. Aber das ſoll uns kein Troſt ſein, ſoll unſer etwa mahnendes „Gewiſſen“ nicht beruhigen. Vielleicht müſſen wir uns für das große Zukunftsereigniß aufſparen, unter dem die Erde in Krämpfen erbeben, in fanatiſchen Zuckungen ſich ſchütteln wird. Wir ſind ſo gut wie ausge- höhlt. Durch Leidenſchaften gebrochen, denen wir uns ergeben haben, weil wir nicht wußten, wie wir beſſer unſere Zeit todtſchlagen ſollten. Wir waren rathlos geworden, weil wir erkannt, daß unſere Ideale Illuſionen geweſen. Eine jede Bruſt hatte den Kampf gegen die Convenienz, gegen die Tra- dition gekämpft ... wir hatten nicht geſiegt, aber haben auch nicht verloren. Nun unterliegen wir, weil wir uns haben zu alt werden laſſen, um den phyſiologiſchen Einflüſſen des Alten noch entrinnen zu können. Wir prunken wohl auch ein Wenig mit unſeren Schmerzen und noch mehr mit unſerer Kraft: brechen, ſtürzen zu können, energiſch ſein zu können. Auch jetzt ſpielen wir noch Komödie. Aber wir wiſſen doch jetzt zugleich ſehr gut, daß wir darauf verzichten mußten, unſere beſten Kräfte in- takt erhalten zu können, unſere intenſivſten Aus- ſtrahlungen wirken zu laſſen. Wir trugen den Himmel, das ganze All in der Bruſt, aber wir be- dürfen einer Generation, der ſich die Sterne ver-

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/111>, abgerufen am 13.05.2024.