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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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römischen Reiches beweisen soll. Es ist aber ein Zug, der
sich beim besten Willen nicht entdecken läßt - der Rückgang
der Bevölkerung. Die Bevölkerung des gegenwärtigen deutschen
Reichsgebietes hat sich in den Jahren 1816-1890 verdoppelt;*)
sie hat namentlich in den letzten Jahrzehnten zugenommen;
die nach fünf Jahren wiederkehrende Volkszählung vom 2. De-
cember 1895 ergab eine Vermehrung um fast drei Millionen
Seelen. Niemand ist im Zweifel, daß diese starke Zunahme
der Bevölkerung in sich selber die schwierigsten Fragen birgt
und unsere socialen Aufgaben verwickelt. Könnte überhaupt
von dergleichen mechanischen Mitteln der Gesetzgebung die Rede
sein, so müßte man weit eher Gesetze machen, welche den Er-
folg haben, die Volksvermehrung zu hemmen, als solche, welche
darauf ausgehen, sie zu vergrößern.**) Es liegt nun aber auf

*)
Anfang December 1816: 24,83 Millionen,
1890: 49,43
1895: 52,24
**) Es sei hier, statt so vieler anderen Zeugnisse vornehmlich
dasjenige erwähnt, was Gustav Rümelin "Zur Uebervölkerungs-
frage" (Reden und Aufsätze. Neue Folge. 1881) im Hinblick auf die
Bevölkerungszunahme im Deutschen Reiche gesagt hat. Er berechnet,
daß bei dem damaligen (und gegenwärtigen) Tempo der Zunahme
die Bevölkerung des Deutschen Reiches bis zum Jahre 1980 etwa
130 Millionen, hundert Jahre später etwa 420 Millionen betragen
müsse. Von der Zahl der Eheschließungen, die im Laufe der siebziger
Jahre zurückgingen, bemerkt er: "Es hat also ein stetiges Sinken der
Trauungen stattgefunden, was die Einen unwissend genug waren als
ein ungünstiges Symptom zu deuten, die Anderen wenigstens als ein
Zeichen der natürlichen und spontanen Selbstcorrectur des früheren
Uebermaßes auffaßten. Die Wahrheit ist, daß auch die jetzige Zahl
noch eine zu hohe ist, die frühere eine alles Maß überschreitende war."
Rümelin warnt, man "möge aufhören, auf das französische Beispiel
einer langsamen Volksvermehrung verächtlich herabzublicken" und auf
das, was damit zusammenhängt.

römischen Reiches beweisen soll. Es ist aber ein Zug, der
sich beim besten Willen nicht entdecken läßt – der Rückgang
der Bevölkerung. Die Bevölkerung des gegenwärtigen deutschen
Reichsgebietes hat sich in den Jahren 1816-1890 verdoppelt;*)
sie hat namentlich in den letzten Jahrzehnten zugenommen;
die nach fünf Jahren wiederkehrende Volkszählung vom 2. De-
cember 1895 ergab eine Vermehrung um fast drei Millionen
Seelen. Niemand ist im Zweifel, daß diese starke Zunahme
der Bevölkerung in sich selber die schwierigsten Fragen birgt
und unsere socialen Aufgaben verwickelt. Könnte überhaupt
von dergleichen mechanischen Mitteln der Gesetzgebung die Rede
sein, so müßte man weit eher Gesetze machen, welche den Er-
folg haben, die Volksvermehrung zu hemmen, als solche, welche
darauf ausgehen, sie zu vergrößern.**) Es liegt nun aber auf

*)
Anfang December 1816: 24,83 Millionen,
1890: 49,43
1895: 52,24
**) Es sei hier, statt so vieler anderen Zeugnisse vornehmlich
dasjenige erwähnt, was Gustav Rümelin „Zur Uebervölkerungs-
frage“ (Reden und Aufsätze. Neue Folge. 1881) im Hinblick auf die
Bevölkerungszunahme im Deutschen Reiche gesagt hat. Er berechnet,
daß bei dem damaligen (und gegenwärtigen) Tempo der Zunahme
die Bevölkerung des Deutschen Reiches bis zum Jahre 1980 etwa
130 Millionen, hundert Jahre später etwa 420 Millionen betragen
müsse. Von der Zahl der Eheschließungen, die im Laufe der siebziger
Jahre zurückgingen, bemerkt er: „Es hat also ein stetiges Sinken der
Trauungen stattgefunden, was die Einen unwissend genug waren als
ein ungünstiges Symptom zu deuten, die Anderen wenigstens als ein
Zeichen der natürlichen und spontanen Selbstcorrectur des früheren
Uebermaßes auffaßten. Die Wahrheit ist, daß auch die jetzige Zahl
noch eine zu hohe ist, die frühere eine alles Maß überschreitende war.“
Rümelin warnt, man „möge aufhören, auf das französische Beispiel
einer langsamen Volksvermehrung verächtlich herabzublicken“ und auf
das, was damit zusammenhängt.
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[63/0079] römischen Reiches beweisen soll. Es ist aber ein Zug, der sich beim besten Willen nicht entdecken läßt – der Rückgang der Bevölkerung. Die Bevölkerung des gegenwärtigen deutschen Reichsgebietes hat sich in den Jahren 1816-1890 verdoppelt; *) sie hat namentlich in den letzten Jahrzehnten zugenommen; die nach fünf Jahren wiederkehrende Volkszählung vom 2. De- cember 1895 ergab eine Vermehrung um fast drei Millionen Seelen. Niemand ist im Zweifel, daß diese starke Zunahme der Bevölkerung in sich selber die schwierigsten Fragen birgt und unsere socialen Aufgaben verwickelt. Könnte überhaupt von dergleichen mechanischen Mitteln der Gesetzgebung die Rede sein, so müßte man weit eher Gesetze machen, welche den Er- folg haben, die Volksvermehrung zu hemmen, als solche, welche darauf ausgehen, sie zu vergrößern. **) Es liegt nun aber auf *) Anfang December 1816: 24,83 Millionen, 1890: 49,43 1895: 52,24 **) Es sei hier, statt so vieler anderen Zeugnisse vornehmlich dasjenige erwähnt, was Gustav Rümelin „Zur Uebervölkerungs- frage“ (Reden und Aufsätze. Neue Folge. 1881) im Hinblick auf die Bevölkerungszunahme im Deutschen Reiche gesagt hat. Er berechnet, daß bei dem damaligen (und gegenwärtigen) Tempo der Zunahme die Bevölkerung des Deutschen Reiches bis zum Jahre 1980 etwa 130 Millionen, hundert Jahre später etwa 420 Millionen betragen müsse. Von der Zahl der Eheschließungen, die im Laufe der siebziger Jahre zurückgingen, bemerkt er: „Es hat also ein stetiges Sinken der Trauungen stattgefunden, was die Einen unwissend genug waren als ein ungünstiges Symptom zu deuten, die Anderen wenigstens als ein Zeichen der natürlichen und spontanen Selbstcorrectur des früheren Uebermaßes auffaßten. Die Wahrheit ist, daß auch die jetzige Zahl noch eine zu hohe ist, die frühere eine alles Maß überschreitende war.“ Rümelin warnt, man „möge aufhören, auf das französische Beispiel einer langsamen Volksvermehrung verächtlich herabzublicken“ und auf das, was damit zusammenhängt.

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/79>, abgerufen am 19.04.2024.