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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Fiscus. Unter den folgenden Jmperatoren kam die Gesetz-
gebung oft auf diese Vorschriften zurück, um sie genauer zu
bestimmen oder um ihre Umgehung zu verhüten. Der Zweck
des Gesetzes wurde gleichwohl nicht erreicht, und - wie Puchta*)
sagt - mit Recht: sei nicht bei den Belohnungen der Kinder-
zahl dem Römer der Brauch eingefallen, wonach eine Sclavin,
wenn sie das Vermögen ihres Herrn durch drei Kinder vermehrt
hatte, von Sclavendiensten befreit und bei noch größerer Kinder-
zahl sogar mit der Freiheit belohnt zu werden pflegte?

Man hat neuerdings dieses Gesetz im Zusammenhange
der deutschen Frauenbewegung als ein Mittel empfohlen, um
den unverheirateten Ueberschuß von Mädchen zu vermindern.
Man hat dabei, von dem Mißerfolge dieses Gesetzes ganz ab-
gesehen, verkannt, daß sein Zweck ein durchaus verschiedener
war von dem, welchen man heute im Deutschen Reiche dabei
im Auge hat. Es würde aber nicht der Mühe werth sein,
auf jenen curiosen Einfall zurückzukommen, wenn diese Ver-
schiedenheit nicht von so grundlegender Bedeutung wäre, daß
daran alle ähnlichen Velleitäten scheitern müssen, auch wenn sie
von Männern gehegt werden, die über das alte römische Gesetz
Bescheid wissen. Wenn etwa empfohlen wird, daß erst die
Gattin dem Manne das politische Stimmrecht mitbringen soll;
wenn die Besteuerung die kinderlosen und unverheiratheten
Männer viel stärker treffen soll, als die kinderreichen, wohl-
gemerkt, nicht wegen ihrer verschiedenen Steuerkraft, sondern
behufs Lösung der Frauenfrage.

Man übersieht hier Folgendes. Es ist üblich geworden,
diesen oder jenen hippokratischen Zug in unserem Zeitalter zu
entdecken, der die Aehnlichkeit mit den Zeiten des niedergehenden

*) Cursus der Jnstitutionen, Bd. I, § 107.

Fiscus. Unter den folgenden Jmperatoren kam die Gesetz-
gebung oft auf diese Vorschriften zurück, um sie genauer zu
bestimmen oder um ihre Umgehung zu verhüten. Der Zweck
des Gesetzes wurde gleichwohl nicht erreicht, und – wie Puchta*)
sagt – mit Recht: sei nicht bei den Belohnungen der Kinder-
zahl dem Römer der Brauch eingefallen, wonach eine Sclavin,
wenn sie das Vermögen ihres Herrn durch drei Kinder vermehrt
hatte, von Sclavendiensten befreit und bei noch größerer Kinder-
zahl sogar mit der Freiheit belohnt zu werden pflegte?

Man hat neuerdings dieses Gesetz im Zusammenhange
der deutschen Frauenbewegung als ein Mittel empfohlen, um
den unverheirateten Ueberschuß von Mädchen zu vermindern.
Man hat dabei, von dem Mißerfolge dieses Gesetzes ganz ab-
gesehen, verkannt, daß sein Zweck ein durchaus verschiedener
war von dem, welchen man heute im Deutschen Reiche dabei
im Auge hat. Es würde aber nicht der Mühe werth sein,
auf jenen curiosen Einfall zurückzukommen, wenn diese Ver-
schiedenheit nicht von so grundlegender Bedeutung wäre, daß
daran alle ähnlichen Velleitäten scheitern müssen, auch wenn sie
von Männern gehegt werden, die über das alte römische Gesetz
Bescheid wissen. Wenn etwa empfohlen wird, daß erst die
Gattin dem Manne das politische Stimmrecht mitbringen soll;
wenn die Besteuerung die kinderlosen und unverheiratheten
Männer viel stärker treffen soll, als die kinderreichen, wohl-
gemerkt, nicht wegen ihrer verschiedenen Steuerkraft, sondern
behufs Lösung der Frauenfrage.

Man übersieht hier Folgendes. Es ist üblich geworden,
diesen oder jenen hippokratischen Zug in unserem Zeitalter zu
entdecken, der die Aehnlichkeit mit den Zeiten des niedergehenden

*) Cursus der Jnstitutionen, Bd. I, § 107.
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[62/0078] Fiscus. Unter den folgenden Jmperatoren kam die Gesetz- gebung oft auf diese Vorschriften zurück, um sie genauer zu bestimmen oder um ihre Umgehung zu verhüten. Der Zweck des Gesetzes wurde gleichwohl nicht erreicht, und – wie Puchta *) sagt – mit Recht: sei nicht bei den Belohnungen der Kinder- zahl dem Römer der Brauch eingefallen, wonach eine Sclavin, wenn sie das Vermögen ihres Herrn durch drei Kinder vermehrt hatte, von Sclavendiensten befreit und bei noch größerer Kinder- zahl sogar mit der Freiheit belohnt zu werden pflegte? Man hat neuerdings dieses Gesetz im Zusammenhange der deutschen Frauenbewegung als ein Mittel empfohlen, um den unverheirateten Ueberschuß von Mädchen zu vermindern. Man hat dabei, von dem Mißerfolge dieses Gesetzes ganz ab- gesehen, verkannt, daß sein Zweck ein durchaus verschiedener war von dem, welchen man heute im Deutschen Reiche dabei im Auge hat. Es würde aber nicht der Mühe werth sein, auf jenen curiosen Einfall zurückzukommen, wenn diese Ver- schiedenheit nicht von so grundlegender Bedeutung wäre, daß daran alle ähnlichen Velleitäten scheitern müssen, auch wenn sie von Männern gehegt werden, die über das alte römische Gesetz Bescheid wissen. Wenn etwa empfohlen wird, daß erst die Gattin dem Manne das politische Stimmrecht mitbringen soll; wenn die Besteuerung die kinderlosen und unverheiratheten Männer viel stärker treffen soll, als die kinderreichen, wohl- gemerkt, nicht wegen ihrer verschiedenen Steuerkraft, sondern behufs Lösung der Frauenfrage. Man übersieht hier Folgendes. Es ist üblich geworden, diesen oder jenen hippokratischen Zug in unserem Zeitalter zu entdecken, der die Aehnlichkeit mit den Zeiten des niedergehenden *) Cursus der Jnstitutionen, Bd. I, § 107.

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/78>, abgerufen am 19.04.2024.