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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Unterhalt und Verdienst fehlt. Jedermann frägt erst vor-
sichtig: woher Brot für Frau und Kinder? Je weniger nun
dazu Gelegenheit ist, je länger muß gewartet werden. Das
Verhältniß der Heirathenden zu den Lebenden wird also durch
das spätere Heirathen verringert."

Ja, ein Blick in die archivalisch erschlossene Statistik der
mittelalterlichen Stadt zeigt uns, neben der Thatsache eines großen Ueberschusses der erwachsenen weiblichen über die gleich-
altrige männliche Bevölkerung, eine so mannigfaltige Thätig-
keit der Frauen im Erwerbsleben, daß vollends die Frauen-
frage der Gegenwart für uns die Züge einer jugendlichen Er-
scheinung verliert.

Was sagt uns aber die Statistik über die Erwerbsthätigen
im Deutschen Reiche? Wir müssen uns noch mit den Ergeb-
nissen der Berufszählung vom 5. Juni 1895 begnügen, bis
die Resultate der neuesten Aufnahme vom Juni 1895 ver-
öffentlicht sein werden. Hiernach gab es reichlich fünf und ein
halb Millionen weiblicher Erwerbsthätiger im Alter von fünf-
zehn Jahren und darüber, von denen nicht ganz 700000 ver-
heirathet waren. Weitaus der größte Theil kam auf die land-
wirthschaftliche Arbeit (dritthalb Millionen), ein anderer großer
Theil auf Gesindedienste (1 1/4 Millionen). Jhnen hinzugerechnet
muß werden die große Zahl Derer, die nicht in der Berufs-
zählung als Erwerbstätige erscheinen, weil sie als Familien-
glieder, zumal durch ländliche Arbeit und durch Gesindedienste,
in naturaler Form zum Erwerbe beitragen - eine Zahl, für
welche eine sichere Größe kaum anzugeben ist, weil die Grenze
dessen, was bei der Zählung unter "Erwerbsthätigen" verstanden
worden, eine flüssige ist. Abgezogen dagegen muß werden die
bestimmtere Zahl Derer, welche sich im Alter von 15-20Jahren
befinden, nämlich 1 1/2 Millionen, damit ein Vergleich mit der

Unterhalt und Verdienst fehlt. Jedermann frägt erst vor-
sichtig: woher Brot für Frau und Kinder? Je weniger nun
dazu Gelegenheit ist, je länger muß gewartet werden. Das
Verhältniß der Heirathenden zu den Lebenden wird also durch
das spätere Heirathen verringert.“

Ja, ein Blick in die archivalisch erschlossene Statistik der
mittelalterlichen Stadt zeigt uns, neben der Thatsache eines großen Ueberschusses der erwachsenen weiblichen über die gleich-
altrige männliche Bevölkerung, eine so mannigfaltige Thätig-
keit der Frauen im Erwerbsleben, daß vollends die Frauen-
frage der Gegenwart für uns die Züge einer jugendlichen Er-
scheinung verliert.

Was sagt uns aber die Statistik über die Erwerbsthätigen
im Deutschen Reiche? Wir müssen uns noch mit den Ergeb-
nissen der Berufszählung vom 5. Juni 1895 begnügen, bis
die Resultate der neuesten Aufnahme vom Juni 1895 ver-
öffentlicht sein werden. Hiernach gab es reichlich fünf und ein
halb Millionen weiblicher Erwerbsthätiger im Alter von fünf-
zehn Jahren und darüber, von denen nicht ganz 700000 ver-
heirathet waren. Weitaus der größte Theil kam auf die land-
wirthschaftliche Arbeit (dritthalb Millionen), ein anderer großer
Theil auf Gesindedienste (1 ¼ Millionen). Jhnen hinzugerechnet
muß werden die große Zahl Derer, die nicht in der Berufs-
zählung als Erwerbstätige erscheinen, weil sie als Familien-
glieder, zumal durch ländliche Arbeit und durch Gesindedienste,
in naturaler Form zum Erwerbe beitragen – eine Zahl, für
welche eine sichere Größe kaum anzugeben ist, weil die Grenze
dessen, was bei der Zählung unter „Erwerbsthätigen“ verstanden
worden, eine flüssige ist. Abgezogen dagegen muß werden die
bestimmtere Zahl Derer, welche sich im Alter von 15-20Jahren
befinden, nämlich 1 ½ Millionen, damit ein Vergleich mit der

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[58/0074] Unterhalt und Verdienst fehlt. Jedermann frägt erst vor- sichtig: woher Brot für Frau und Kinder? Je weniger nun dazu Gelegenheit ist, je länger muß gewartet werden. Das Verhältniß der Heirathenden zu den Lebenden wird also durch das spätere Heirathen verringert.“ Ja, ein Blick in die archivalisch erschlossene Statistik der mittelalterlichen Stadt zeigt uns, neben der Thatsache eines großen Ueberschusses der erwachsenen weiblichen über die gleich- altrige männliche Bevölkerung, eine so mannigfaltige Thätig- keit der Frauen im Erwerbsleben, daß vollends die Frauen- frage der Gegenwart für uns die Züge einer jugendlichen Er- scheinung verliert. Was sagt uns aber die Statistik über die Erwerbsthätigen im Deutschen Reiche? Wir müssen uns noch mit den Ergeb- nissen der Berufszählung vom 5. Juni 1895 begnügen, bis die Resultate der neuesten Aufnahme vom Juni 1895 ver- öffentlicht sein werden. Hiernach gab es reichlich fünf und ein halb Millionen weiblicher Erwerbsthätiger im Alter von fünf- zehn Jahren und darüber, von denen nicht ganz 700000 ver- heirathet waren. Weitaus der größte Theil kam auf die land- wirthschaftliche Arbeit (dritthalb Millionen), ein anderer großer Theil auf Gesindedienste (1 ¼ Millionen). Jhnen hinzugerechnet muß werden die große Zahl Derer, die nicht in der Berufs- zählung als Erwerbstätige erscheinen, weil sie als Familien- glieder, zumal durch ländliche Arbeit und durch Gesindedienste, in naturaler Form zum Erwerbe beitragen – eine Zahl, für welche eine sichere Größe kaum anzugeben ist, weil die Grenze dessen, was bei der Zählung unter „Erwerbsthätigen“ verstanden worden, eine flüssige ist. Abgezogen dagegen muß werden die bestimmtere Zahl Derer, welche sich im Alter von 15-20Jahren befinden, nämlich 1 ½ Millionen, damit ein Vergleich mit der

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-02-18T15:54:56Z)

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/74>, abgerufen am 26.04.2024.