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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Welt und erhielt sie und drückte ihr den Stempel ihrer Persön-
lichkeit auf. Auf Frauenarbeit war der Haushalt angewiesen,
Frauen waren die unentbehrlichen Producentinnen. Jede Jahres-
zeit brachte ihre eigene Aufgabe mit sich. Neben der haus-
wirthschaftlichen Thätigkeit kam auch die Handarbeit im engeren
Sinne (das Spinnen, Nähen, Sticken) zu ihrem Rechte. Die
feine Handarbeit war damals noch kein liebenswürdiger Selbst-
betrug und Zeitluxus, denn keine Maschine nahm der Frauen-
hand die Arbeit ab, um sie schneller und billiger zu besorgen.
Heute kauft die Frau an einem Vormittage ihre ganze Aus-
steuer. Vor der Maschinenära hatte jedes Stück Leinzeug seine
intime Geschichte. "Dauerhafte Erbstücke bildeten den eisernen
Bestand; dann kam das Selbstgeschaffene. Viel war schon in
der Mädchenzeit geschaffen worden, das Meiste in der Braut-
zeit; dies Tischtuch hatte die Hochzeitstafel geschmückt, das Garn
zu jenem Gedeck war an der Wiege des Erstgeborenen ge-
sponnen; diese Tücher waren in einer Zeit schweren Kummers
gesäumt worden. ... So war der Leinenschrank eine Art
Familienarchiv, das aber nicht nach Staub und Moder, sondern
nach Lavendel roch." Die alte Familienwirthschaft war eine
Wirthschaftsform, welche reiches Glück für die Frau ermöglichte,
sie war das goldene Zeitalter des weiblichen Geschlechts.

Wie anders heute! Ein Stück Frauenarbeit nach dem
andern reißt die Maschine an sich und entwerthet die häusliche
Arbeit der weiblichen Hände. Aus Producenten werden die
Frauen bloße Consumenten. Das Hauswesen bietet nicht genug
zweckmäßige Arbeit. An deren Stelle treten dilettantische Kunst-
übungen, Putz, Tändelei, Jagd nach Zerstreuung. Die Eltern
begünstigen oft die Sucht nach geselligen Freuden, weil sie
darin den Weg zu ehelicher Versorgung der Töchter sehen, der
so häufig versagt. Nicht minder bedauerlich als die untüchtigen

Welt und erhielt sie und drückte ihr den Stempel ihrer Persön-
lichkeit auf. Auf Frauenarbeit war der Haushalt angewiesen,
Frauen waren die unentbehrlichen Producentinnen. Jede Jahres-
zeit brachte ihre eigene Aufgabe mit sich. Neben der haus-
wirthschaftlichen Thätigkeit kam auch die Handarbeit im engeren
Sinne (das Spinnen, Nähen, Sticken) zu ihrem Rechte. Die
feine Handarbeit war damals noch kein liebenswürdiger Selbst-
betrug und Zeitluxus, denn keine Maschine nahm der Frauen-
hand die Arbeit ab, um sie schneller und billiger zu besorgen.
Heute kauft die Frau an einem Vormittage ihre ganze Aus-
steuer. Vor der Maschinenära hatte jedes Stück Leinzeug seine
intime Geschichte. „Dauerhafte Erbstücke bildeten den eisernen
Bestand; dann kam das Selbstgeschaffene. Viel war schon in
der Mädchenzeit geschaffen worden, das Meiste in der Braut-
zeit; dies Tischtuch hatte die Hochzeitstafel geschmückt, das Garn
zu jenem Gedeck war an der Wiege des Erstgeborenen ge-
sponnen; diese Tücher waren in einer Zeit schweren Kummers
gesäumt worden. … So war der Leinenschrank eine Art
Familienarchiv, das aber nicht nach Staub und Moder, sondern
nach Lavendel roch.“ Die alte Familienwirthschaft war eine
Wirthschaftsform, welche reiches Glück für die Frau ermöglichte,
sie war das goldene Zeitalter des weiblichen Geschlechts.

Wie anders heute! Ein Stück Frauenarbeit nach dem
andern reißt die Maschine an sich und entwerthet die häusliche
Arbeit der weiblichen Hände. Aus Producenten werden die
Frauen bloße Consumenten. Das Hauswesen bietet nicht genug
zweckmäßige Arbeit. An deren Stelle treten dilettantische Kunst-
übungen, Putz, Tändelei, Jagd nach Zerstreuung. Die Eltern
begünstigen oft die Sucht nach geselligen Freuden, weil sie
darin den Weg zu ehelicher Versorgung der Töchter sehen, der
so häufig versagt. Nicht minder bedauerlich als die untüchtigen

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[46/0062] Welt und erhielt sie und drückte ihr den Stempel ihrer Persön- lichkeit auf. Auf Frauenarbeit war der Haushalt angewiesen, Frauen waren die unentbehrlichen Producentinnen. Jede Jahres- zeit brachte ihre eigene Aufgabe mit sich. Neben der haus- wirthschaftlichen Thätigkeit kam auch die Handarbeit im engeren Sinne (das Spinnen, Nähen, Sticken) zu ihrem Rechte. Die feine Handarbeit war damals noch kein liebenswürdiger Selbst- betrug und Zeitluxus, denn keine Maschine nahm der Frauen- hand die Arbeit ab, um sie schneller und billiger zu besorgen. Heute kauft die Frau an einem Vormittage ihre ganze Aus- steuer. Vor der Maschinenära hatte jedes Stück Leinzeug seine intime Geschichte. „Dauerhafte Erbstücke bildeten den eisernen Bestand; dann kam das Selbstgeschaffene. Viel war schon in der Mädchenzeit geschaffen worden, das Meiste in der Braut- zeit; dies Tischtuch hatte die Hochzeitstafel geschmückt, das Garn zu jenem Gedeck war an der Wiege des Erstgeborenen ge- sponnen; diese Tücher waren in einer Zeit schweren Kummers gesäumt worden. … So war der Leinenschrank eine Art Familienarchiv, das aber nicht nach Staub und Moder, sondern nach Lavendel roch.“ Die alte Familienwirthschaft war eine Wirthschaftsform, welche reiches Glück für die Frau ermöglichte, sie war das goldene Zeitalter des weiblichen Geschlechts. Wie anders heute! Ein Stück Frauenarbeit nach dem andern reißt die Maschine an sich und entwerthet die häusliche Arbeit der weiblichen Hände. Aus Producenten werden die Frauen bloße Consumenten. Das Hauswesen bietet nicht genug zweckmäßige Arbeit. An deren Stelle treten dilettantische Kunst- übungen, Putz, Tändelei, Jagd nach Zerstreuung. Die Eltern begünstigen oft die Sucht nach geselligen Freuden, weil sie darin den Weg zu ehelicher Versorgung der Töchter sehen, der so häufig versagt. Nicht minder bedauerlich als die untüchtigen

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-02-18T15:54:56Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/62>, abgerufen am 28.11.2024.