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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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massenhafte Auswanderung, ja Zerstörung aller Cultur die
Folge davon sein.

Wie mit der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen, so ist
es - näher noch an die Gegenwart heranreichend - mit
anderen Elementen des deutschen Verfassungswesens, so ist es
in den letzten Jahrzehnten namentlich mit den socialen Re-
formen und ihren grundlegenden Jdeen gegangen. Nicht nur
die pommerschen Landstände, sondern auch die Niebuhr's, die
Altenstein's von heute haben immer wieder die verderblichen
Jdeen der französischen Revolution angeklagt, haben immer
wieder den Untergang der Cultur prophezeit, wenn neue Ge-
danken zur Umgestaltung des Lebens drängten. Wir haben es
erlebt, wie dann dieselben Propheten einige Jahre später den
Ton herabstimmten und am Ende die Letzten waren, daran zu
erinnern, wie sehr sie sich geirrt hatten.

Dasselbe Spiel erneuert sich unablässig. Wer die Ge-
schichte, wer nur seine eigenen Erlebnisse sich gegenwärtig hält,
läßt sich dadurch nicht irre machen, und die Welt geht ihren
Zielen entgegen, ohne auf solche Proteste zu achten.

Dies bleibt auch für Denjenigen wahr, welcher - gleich
mir selber - von den Schwierigkeiten des Neuen durchdrungen
ist, welcher an seinem Theile, so sehr wie irgend Jemand,
empfindet, es müsse bei den Aufgaben der vorliegenden Frage
mit Besonnenheit verfahren, es müssen die nothwendig er-
scheinenden Umgestaltungen des Unterrichts und des Berufs-
lebens mit vorsichtiger Hand an das Alte angeknüpft werden.

Aber erst das Verständniß für das Nothwendige des Neuen
gibt das gute Recht, den unvernünftigen Neuerungen zu wider-
stehen.

massenhafte Auswanderung, ja Zerstörung aller Cultur die
Folge davon sein.

Wie mit der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen, so ist
es – näher noch an die Gegenwart heranreichend – mit
anderen Elementen des deutschen Verfassungswesens, so ist es
in den letzten Jahrzehnten namentlich mit den socialen Re-
formen und ihren grundlegenden Jdeen gegangen. Nicht nur
die pommerschen Landstände, sondern auch die Niebuhr's, die
Altenstein's von heute haben immer wieder die verderblichen
Jdeen der französischen Revolution angeklagt, haben immer
wieder den Untergang der Cultur prophezeit, wenn neue Ge-
danken zur Umgestaltung des Lebens drängten. Wir haben es
erlebt, wie dann dieselben Propheten einige Jahre später den
Ton herabstimmten und am Ende die Letzten waren, daran zu
erinnern, wie sehr sie sich geirrt hatten.

Dasselbe Spiel erneuert sich unablässig. Wer die Ge-
schichte, wer nur seine eigenen Erlebnisse sich gegenwärtig hält,
läßt sich dadurch nicht irre machen, und die Welt geht ihren
Zielen entgegen, ohne auf solche Proteste zu achten.

Dies bleibt auch für Denjenigen wahr, welcher – gleich
mir selber – von den Schwierigkeiten des Neuen durchdrungen
ist, welcher an seinem Theile, so sehr wie irgend Jemand,
empfindet, es müsse bei den Aufgaben der vorliegenden Frage
mit Besonnenheit verfahren, es müssen die nothwendig er-
scheinenden Umgestaltungen des Unterrichts und des Berufs-
lebens mit vorsichtiger Hand an das Alte angeknüpft werden.

Aber erst das Verständniß für das Nothwendige des Neuen
gibt das gute Recht, den unvernünftigen Neuerungen zu wider-
stehen.

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[217/0233] massenhafte Auswanderung, ja Zerstörung aller Cultur die Folge davon sein. Wie mit der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen, so ist es – näher noch an die Gegenwart heranreichend – mit anderen Elementen des deutschen Verfassungswesens, so ist es in den letzten Jahrzehnten namentlich mit den socialen Re- formen und ihren grundlegenden Jdeen gegangen. Nicht nur die pommerschen Landstände, sondern auch die Niebuhr's, die Altenstein's von heute haben immer wieder die verderblichen Jdeen der französischen Revolution angeklagt, haben immer wieder den Untergang der Cultur prophezeit, wenn neue Ge- danken zur Umgestaltung des Lebens drängten. Wir haben es erlebt, wie dann dieselben Propheten einige Jahre später den Ton herabstimmten und am Ende die Letzten waren, daran zu erinnern, wie sehr sie sich geirrt hatten. Dasselbe Spiel erneuert sich unablässig. Wer die Ge- schichte, wer nur seine eigenen Erlebnisse sich gegenwärtig hält, läßt sich dadurch nicht irre machen, und die Welt geht ihren Zielen entgegen, ohne auf solche Proteste zu achten. Dies bleibt auch für Denjenigen wahr, welcher – gleich mir selber – von den Schwierigkeiten des Neuen durchdrungen ist, welcher an seinem Theile, so sehr wie irgend Jemand, empfindet, es müsse bei den Aufgaben der vorliegenden Frage mit Besonnenheit verfahren, es müssen die nothwendig er- scheinenden Umgestaltungen des Unterrichts und des Berufs- lebens mit vorsichtiger Hand an das Alte angeknüpft werden. Aber erst das Verständniß für das Nothwendige des Neuen gibt das gute Recht, den unvernünftigen Neuerungen zu wider- stehen.

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/233>, abgerufen am 03.05.2024.