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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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zu retten, und dieses Mal im eigensten Jnteresse. Allein ich
glaube gezeigt zu haben, daß eben in den letzten Jahren auch
in Deutschland sich Manches geändert hat, daß in die ehr-
würdigsten Vesten der alten Vorurtheile der Hauch des neuen
Europa eingezogen ist. Mir persönlich verbindet sich damit die
Genugthuung, daß ich einst vor reichlich einem Vierteljahr-
hundert, als ich zum ersten Male vor einem größeren Publicum
sprach, im fernen Nordosten, auf einem halbverlorenen Posten
der deutschen Cultur, die ersten Ansänge der deutschen Frauen-
bewegung in diesem Sinne deutete, zunächst mit dem natür-
lichen Erfolge, dem Philisterthum Stoff für geringfügigen Spott
zu geben. Heute ist es anders geworden. Schon sieht man,
wie die Zugvögel herüberkommen, die es in dem kalten Klima
der Minderheit nicht lange aushalten; schon drehen sich die
Wetterfahnen herum, nach denen man auszuschauen pflegt,
wenn man wissen will, welche Luftströmung in den höheren
Regionen herrscht. Schon werden die Romantiker irre, die aus
Mangel an historischen und socialpolitischen Gesichtspunkten den
Kern dieser Frage nicht erfaßt haben, oder jene Species von
Fortschrittsmännern, die konservativ sind in den Dingen, an
denen sie den Beruf hätten, ihr Fortschrittsbedürfniß zu be-
friedigen.

Und ein anderes bedeutsames Zeichen ist zu sehen. Jn
dem weiblichen Geschlechte selber bemerkt man mehrund mehr,
wie die tüchtigeren, begabteren, strebsameren Persönlichkeiten
auch in deutschen Landen von dieser neuen Erscheinung ergriffen
werden, wie sie darin den Widerklang finden der besten Jm-
pulse, die bisher halblaut aus ihrem Jnnern sich kundgegeben.

Ja, bedeutungsvolle Analogien zeigen sich bei uns bereits
zu dem, was wir in der englischen Bewegung wahrgenommen
haben. Nicht bloß Gesinnungen, Bestrebungen, sondern Thaten.

zu retten, und dieses Mal im eigensten Jnteresse. Allein ich
glaube gezeigt zu haben, daß eben in den letzten Jahren auch
in Deutschland sich Manches geändert hat, daß in die ehr-
würdigsten Vesten der alten Vorurtheile der Hauch des neuen
Europa eingezogen ist. Mir persönlich verbindet sich damit die
Genugthuung, daß ich einst vor reichlich einem Vierteljahr-
hundert, als ich zum ersten Male vor einem größeren Publicum
sprach, im fernen Nordosten, auf einem halbverlorenen Posten
der deutschen Cultur, die ersten Ansänge der deutschen Frauen-
bewegung in diesem Sinne deutete, zunächst mit dem natür-
lichen Erfolge, dem Philisterthum Stoff für geringfügigen Spott
zu geben. Heute ist es anders geworden. Schon sieht man,
wie die Zugvögel herüberkommen, die es in dem kalten Klima
der Minderheit nicht lange aushalten; schon drehen sich die
Wetterfahnen herum, nach denen man auszuschauen pflegt,
wenn man wissen will, welche Luftströmung in den höheren
Regionen herrscht. Schon werden die Romantiker irre, die aus
Mangel an historischen und socialpolitischen Gesichtspunkten den
Kern dieser Frage nicht erfaßt haben, oder jene Species von
Fortschrittsmännern, die konservativ sind in den Dingen, an
denen sie den Beruf hätten, ihr Fortschrittsbedürfniß zu be-
friedigen.

Und ein anderes bedeutsames Zeichen ist zu sehen. Jn
dem weiblichen Geschlechte selber bemerkt man mehrund mehr,
wie die tüchtigeren, begabteren, strebsameren Persönlichkeiten
auch in deutschen Landen von dieser neuen Erscheinung ergriffen
werden, wie sie darin den Widerklang finden der besten Jm-
pulse, die bisher halblaut aus ihrem Jnnern sich kundgegeben.

Ja, bedeutungsvolle Analogien zeigen sich bei uns bereits
zu dem, was wir in der englischen Bewegung wahrgenommen
haben. Nicht bloß Gesinnungen, Bestrebungen, sondern Thaten.

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[214/0230] zu retten, und dieses Mal im eigensten Jnteresse. Allein ich glaube gezeigt zu haben, daß eben in den letzten Jahren auch in Deutschland sich Manches geändert hat, daß in die ehr- würdigsten Vesten der alten Vorurtheile der Hauch des neuen Europa eingezogen ist. Mir persönlich verbindet sich damit die Genugthuung, daß ich einst vor reichlich einem Vierteljahr- hundert, als ich zum ersten Male vor einem größeren Publicum sprach, im fernen Nordosten, auf einem halbverlorenen Posten der deutschen Cultur, die ersten Ansänge der deutschen Frauen- bewegung in diesem Sinne deutete, zunächst mit dem natür- lichen Erfolge, dem Philisterthum Stoff für geringfügigen Spott zu geben. Heute ist es anders geworden. Schon sieht man, wie die Zugvögel herüberkommen, die es in dem kalten Klima der Minderheit nicht lange aushalten; schon drehen sich die Wetterfahnen herum, nach denen man auszuschauen pflegt, wenn man wissen will, welche Luftströmung in den höheren Regionen herrscht. Schon werden die Romantiker irre, die aus Mangel an historischen und socialpolitischen Gesichtspunkten den Kern dieser Frage nicht erfaßt haben, oder jene Species von Fortschrittsmännern, die konservativ sind in den Dingen, an denen sie den Beruf hätten, ihr Fortschrittsbedürfniß zu be- friedigen. Und ein anderes bedeutsames Zeichen ist zu sehen. Jn dem weiblichen Geschlechte selber bemerkt man mehrund mehr, wie die tüchtigeren, begabteren, strebsameren Persönlichkeiten auch in deutschen Landen von dieser neuen Erscheinung ergriffen werden, wie sie darin den Widerklang finden der besten Jm- pulse, die bisher halblaut aus ihrem Jnnern sich kundgegeben. Ja, bedeutungsvolle Analogien zeigen sich bei uns bereits zu dem, was wir in der englischen Bewegung wahrgenommen haben. Nicht bloß Gesinnungen, Bestrebungen, sondern Thaten.

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/230>, abgerufen am 03.05.2024.