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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Spitzen sowohl der Kampf um die neuen Erwerbsgebiete des
weiblichen Geschlechts wie das Ringen um eine wesentlich ver-
änderte Einrichtung der weiblichen Erziehung entgegen. Weder
kann die Meinung der neuen Bestrebungen für das Frauen-
studium die sein, eine unterschiedslose Menge von weiblichen
Wesen in die studirten Berufsarten hinüberzuführen und die
Mißstände, die wir an dem Studium und den Studirten des
männlichen Geschlechts kennen, zu verdoppeln, noch kann ein
vernünftiger Mensch daran denken, für die Gesammtheit oder
nur eine große Zahl der bisherigen Zöglinge der höheren
Töchterschule ein Hochschulstudium einführen zu wollen. Da-
gegen soll das Frauenstudium gleichsam den Gipfel der Reform-
bestrebungen in beiderlei Richtung bezeichnen, von welchem aus
man in eine neue Welt der weiblichen Berufsbildung und der
weiblichen Erziehung hinabschaut.

Um zunächst einen Maßstab für die Neuheit der Sache
zu gewinnen, ist es angemessen, theils einen Blick in die Ge-
schichte zu werfen, theils und namentlich eine Vorstellung davon
zu gewinnen, was im Auslande neuerdings auf diesem Gebiete
geschehen ist.

Seit den frühen Jahrhunderten des Mittelalters erscheinen
gelehrte Nonnen*), welche freilich in einem Zeitalter, in dem
große Dichter des Lesens unkundig waren (wie Wolfram von
Eschenbach, Ulrich von Lichtenstein, Graf Hugo von Montfort),
ihre Gelehrsamkeit meist auf die Kunst des Lesens und Schrei-
bens beschränkten. Aber einzelne erheben sich zu einem höheren
Grade der Gelehrsamkeit, und ihre Schriften hat die Geschichte
aufbewahrt. Zumal in der Zeit der Ottonen und theilweise

*) Weinhold, Geschichte der deutschen Frauen in dem Mittel-
alter, Bd. I, S. 121-143.

Spitzen sowohl der Kampf um die neuen Erwerbsgebiete des
weiblichen Geschlechts wie das Ringen um eine wesentlich ver-
änderte Einrichtung der weiblichen Erziehung entgegen. Weder
kann die Meinung der neuen Bestrebungen für das Frauen-
studium die sein, eine unterschiedslose Menge von weiblichen
Wesen in die studirten Berufsarten hinüberzuführen und die
Mißstände, die wir an dem Studium und den Studirten des
männlichen Geschlechts kennen, zu verdoppeln, noch kann ein
vernünftiger Mensch daran denken, für die Gesammtheit oder
nur eine große Zahl der bisherigen Zöglinge der höheren
Töchterschule ein Hochschulstudium einführen zu wollen. Da-
gegen soll das Frauenstudium gleichsam den Gipfel der Reform-
bestrebungen in beiderlei Richtung bezeichnen, von welchem aus
man in eine neue Welt der weiblichen Berufsbildung und der
weiblichen Erziehung hinabschaut.

Um zunächst einen Maßstab für die Neuheit der Sache
zu gewinnen, ist es angemessen, theils einen Blick in die Ge-
schichte zu werfen, theils und namentlich eine Vorstellung davon
zu gewinnen, was im Auslande neuerdings auf diesem Gebiete
geschehen ist.

Seit den frühen Jahrhunderten des Mittelalters erscheinen
gelehrte Nonnen*), welche freilich in einem Zeitalter, in dem
große Dichter des Lesens unkundig waren (wie Wolfram von
Eschenbach, Ulrich von Lichtenstein, Graf Hugo von Montfort),
ihre Gelehrsamkeit meist auf die Kunst des Lesens und Schrei-
bens beschränkten. Aber einzelne erheben sich zu einem höheren
Grade der Gelehrsamkeit, und ihre Schriften hat die Geschichte
aufbewahrt. Zumal in der Zeit der Ottonen und theilweise

*) Weinhold, Geschichte der deutschen Frauen in dem Mittel-
alter, Bd. I, S. 121-143.
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[162/0178] Spitzen sowohl der Kampf um die neuen Erwerbsgebiete des weiblichen Geschlechts wie das Ringen um eine wesentlich ver- änderte Einrichtung der weiblichen Erziehung entgegen. Weder kann die Meinung der neuen Bestrebungen für das Frauen- studium die sein, eine unterschiedslose Menge von weiblichen Wesen in die studirten Berufsarten hinüberzuführen und die Mißstände, die wir an dem Studium und den Studirten des männlichen Geschlechts kennen, zu verdoppeln, noch kann ein vernünftiger Mensch daran denken, für die Gesammtheit oder nur eine große Zahl der bisherigen Zöglinge der höheren Töchterschule ein Hochschulstudium einführen zu wollen. Da- gegen soll das Frauenstudium gleichsam den Gipfel der Reform- bestrebungen in beiderlei Richtung bezeichnen, von welchem aus man in eine neue Welt der weiblichen Berufsbildung und der weiblichen Erziehung hinabschaut. Um zunächst einen Maßstab für die Neuheit der Sache zu gewinnen, ist es angemessen, theils einen Blick in die Ge- schichte zu werfen, theils und namentlich eine Vorstellung davon zu gewinnen, was im Auslande neuerdings auf diesem Gebiete geschehen ist. Seit den frühen Jahrhunderten des Mittelalters erscheinen gelehrte Nonnen *), welche freilich in einem Zeitalter, in dem große Dichter des Lesens unkundig waren (wie Wolfram von Eschenbach, Ulrich von Lichtenstein, Graf Hugo von Montfort), ihre Gelehrsamkeit meist auf die Kunst des Lesens und Schrei- bens beschränkten. Aber einzelne erheben sich zu einem höheren Grade der Gelehrsamkeit, und ihre Schriften hat die Geschichte aufbewahrt. Zumal in der Zeit der Ottonen und theilweise *) Weinhold, Geschichte der deutschen Frauen in dem Mittel- alter, Bd. I, S. 121-143.

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/178>, abgerufen am 24.04.2024.