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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Arbeit, sondern auch - und in weitem Umfange - in den
bescheideneren Niederungen weiblicher Leistungsfähigkeit. Jede
intelligente Frau, so wird da behauptet, könnte (mit Ausnahme
der ersten Jahre der Ehe) täglich drei bis vier Stunden einem
Berufe widmen, ohne dadurch ihre nächsten Pflichten zu schä-
digen. Haben die Kinder das Haus verlassen, so könnten leicht
sechs Stunden daraus werden. Vollends könnten Mädchen vor
ihrer Verheirathung, kinderlose Frauen, Wittwen, alte Jungfern
viel Zeit erübrigen. Zu richtiger Verwendung dieser Zeit müsse
der Schritt von der gewohnten Handarbeit zum Handwerk, zum
Kunsthandwerk gemacht werden. Jede Technik, welche ohne
großen Aufwand von Werkzeugen ausgeübt werden kann, welche
die Unterbrechung der Arbeit ohne Schaden für den erzeugten
Gegenstand gestattet, eigne sich für die Thätigkeit im Hause.
Den glänzendsten Beweis aber dafür, daß sich häuslicher Beruf
mit einer anderen Thätigkeit der Frau vereinigen lasse, geben
jene Ehen, in welchen der Mann sein Weib sich selbst zur
Mitarbeiterin erzogen hat. Hier erweise die Nothwendigkeit sich
stärker als das Vorurtheil und löse ein scheinbar schwieriges
Problem auf einfache Weise. Viele Landärzte sind durch ihre
Entfernung von größeren Städten genöthigt, eine Apotheke zu
halten; und die Recepte, welche sie verschreiben, bereitet die
Frau, ohne daß Beschwerden über die Folgen bekannt geworden
seien. Oder vollends, wenn Jrrenärzte erzählen, ihre beste
Hülfe bei den Kranken sei ihre Frau. Diese Gattinnen haben
es gelernt, sich dem Berufe des Mannes anpassend, einen Theil
seiner Arbeit auf sich zu nehmen. Es gibt eine Landesirren-
anstalt, in welcher eine solche Frau, die vier Kinder ihr eigen
nennt und mit zärtlicher Sorgfalt pflegt, die Seele des Ganzen
ist. Sie hat ihre musikalische Begabung der edelsten Humanität
gewidmet, sie leitet einen Krankenchor, gibt den umnachteten

Arbeit, sondern auch – und in weitem Umfange – in den
bescheideneren Niederungen weiblicher Leistungsfähigkeit. Jede
intelligente Frau, so wird da behauptet, könnte (mit Ausnahme
der ersten Jahre der Ehe) täglich drei bis vier Stunden einem
Berufe widmen, ohne dadurch ihre nächsten Pflichten zu schä-
digen. Haben die Kinder das Haus verlassen, so könnten leicht
sechs Stunden daraus werden. Vollends könnten Mädchen vor
ihrer Verheirathung, kinderlose Frauen, Wittwen, alte Jungfern
viel Zeit erübrigen. Zu richtiger Verwendung dieser Zeit müsse
der Schritt von der gewohnten Handarbeit zum Handwerk, zum
Kunsthandwerk gemacht werden. Jede Technik, welche ohne
großen Aufwand von Werkzeugen ausgeübt werden kann, welche
die Unterbrechung der Arbeit ohne Schaden für den erzeugten
Gegenstand gestattet, eigne sich für die Thätigkeit im Hause.
Den glänzendsten Beweis aber dafür, daß sich häuslicher Beruf
mit einer anderen Thätigkeit der Frau vereinigen lasse, geben
jene Ehen, in welchen der Mann sein Weib sich selbst zur
Mitarbeiterin erzogen hat. Hier erweise die Nothwendigkeit sich
stärker als das Vorurtheil und löse ein scheinbar schwieriges
Problem auf einfache Weise. Viele Landärzte sind durch ihre
Entfernung von größeren Städten genöthigt, eine Apotheke zu
halten; und die Recepte, welche sie verschreiben, bereitet die
Frau, ohne daß Beschwerden über die Folgen bekannt geworden
seien. Oder vollends, wenn Jrrenärzte erzählen, ihre beste
Hülfe bei den Kranken sei ihre Frau. Diese Gattinnen haben
es gelernt, sich dem Berufe des Mannes anpassend, einen Theil
seiner Arbeit auf sich zu nehmen. Es gibt eine Landesirren-
anstalt, in welcher eine solche Frau, die vier Kinder ihr eigen
nennt und mit zärtlicher Sorgfalt pflegt, die Seele des Ganzen
ist. Sie hat ihre musikalische Begabung der edelsten Humanität
gewidmet, sie leitet einen Krankenchor, gibt den umnachteten

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[148/0164] Arbeit, sondern auch – und in weitem Umfange – in den bescheideneren Niederungen weiblicher Leistungsfähigkeit. Jede intelligente Frau, so wird da behauptet, könnte (mit Ausnahme der ersten Jahre der Ehe) täglich drei bis vier Stunden einem Berufe widmen, ohne dadurch ihre nächsten Pflichten zu schä- digen. Haben die Kinder das Haus verlassen, so könnten leicht sechs Stunden daraus werden. Vollends könnten Mädchen vor ihrer Verheirathung, kinderlose Frauen, Wittwen, alte Jungfern viel Zeit erübrigen. Zu richtiger Verwendung dieser Zeit müsse der Schritt von der gewohnten Handarbeit zum Handwerk, zum Kunsthandwerk gemacht werden. Jede Technik, welche ohne großen Aufwand von Werkzeugen ausgeübt werden kann, welche die Unterbrechung der Arbeit ohne Schaden für den erzeugten Gegenstand gestattet, eigne sich für die Thätigkeit im Hause. Den glänzendsten Beweis aber dafür, daß sich häuslicher Beruf mit einer anderen Thätigkeit der Frau vereinigen lasse, geben jene Ehen, in welchen der Mann sein Weib sich selbst zur Mitarbeiterin erzogen hat. Hier erweise die Nothwendigkeit sich stärker als das Vorurtheil und löse ein scheinbar schwieriges Problem auf einfache Weise. Viele Landärzte sind durch ihre Entfernung von größeren Städten genöthigt, eine Apotheke zu halten; und die Recepte, welche sie verschreiben, bereitet die Frau, ohne daß Beschwerden über die Folgen bekannt geworden seien. Oder vollends, wenn Jrrenärzte erzählen, ihre beste Hülfe bei den Kranken sei ihre Frau. Diese Gattinnen haben es gelernt, sich dem Berufe des Mannes anpassend, einen Theil seiner Arbeit auf sich zu nehmen. Es gibt eine Landesirren- anstalt, in welcher eine solche Frau, die vier Kinder ihr eigen nennt und mit zärtlicher Sorgfalt pflegt, die Seele des Ganzen ist. Sie hat ihre musikalische Begabung der edelsten Humanität gewidmet, sie leitet einen Krankenchor, gibt den umnachteten

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-02-18T15:54:56Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/164>, abgerufen am 25.04.2024.