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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Proletariats, sondern auf den Bestrebungen engerer und höherer
Schichten ruht.

Jn der That ist die Quantität weiblicher Erwerbsarbeit
so groß, daß die wirklichen Reformbestrebungen sich auf deren
Verminderung richten, woher wir zweierlei Bewegungen gegen-
über dem Zustande weiblicher Arbeit haben (in Deutschland
wie in England, Frankreich, der Schweiz u. s. w.), die sich
scheinbar einander widersprechen - die eine auf Einschränkung
der Frauenarbeit gerichtet, die andere auf Erweiterung der
Frauenarbeit. Die Erklärung des scheinbaren Widerspruches
liegt darin, daß sie im Wesentlichen sich auf verschiedene Arbeits-
gebiete erstrecken. Das Weib zum Lastthier auf dem Acker,
im Bergwerk, in der Fabrik zu machen, dazu hat es niemals
einer Reformbewegung bedurft; das Gegentheil war Sache der
Reform, und unser Jahrhundert hat sich bemüht, die ärger-
lichsten Auswüchse wegzuschneiden.*) Bis in unsere Zeit hinein
haben in den Bergwerken Englands und Schottlands Frauen
(sammt ihren Kindern) neben den Männern die Arbeit unter
Tage gethan und bezeichnender Weise in derselben primitiven
Kleidung, wie die Männer. Arbeiten dieser Art haben immer
so niedrig gelegen in der Schichtung der Gesellschaft und ihrer
Erwerbsthätigkeit, daß sie allen ohne Unterschied des Geschlechtes
zugänglich waren. Erst solche Thätigkeiten, welche höher hinauf

*) Ein neuer, vortrefflicher Bericht des englischen Arbeitsamtes,
aus der Feder von einem Mitgliede desselben, Miß Clara Collett
(Report by Miss Collett on the Statistics of Employment of Women
and Girls. London 1895
), liefert für England den Nachweis, daß
die verbreitete Annahme einer Vermehrung der weiblichen Arbeit
gegenüber der männlichen unrichtig ist und hauptsächlich auf die Ver-
wechselung der Zunahme weiblicher Arbeit in den Mittelclassen mit
der Zunahme derselben in den unteren Schichten zurückzuführen ist.
8*

Proletariats, sondern auf den Bestrebungen engerer und höherer
Schichten ruht.

Jn der That ist die Quantität weiblicher Erwerbsarbeit
so groß, daß die wirklichen Reformbestrebungen sich auf deren
Verminderung richten, woher wir zweierlei Bewegungen gegen-
über dem Zustande weiblicher Arbeit haben (in Deutschland
wie in England, Frankreich, der Schweiz u. s. w.), die sich
scheinbar einander widersprechen – die eine auf Einschränkung
der Frauenarbeit gerichtet, die andere auf Erweiterung der
Frauenarbeit. Die Erklärung des scheinbaren Widerspruches
liegt darin, daß sie im Wesentlichen sich auf verschiedene Arbeits-
gebiete erstrecken. Das Weib zum Lastthier auf dem Acker,
im Bergwerk, in der Fabrik zu machen, dazu hat es niemals
einer Reformbewegung bedurft; das Gegentheil war Sache der
Reform, und unser Jahrhundert hat sich bemüht, die ärger-
lichsten Auswüchse wegzuschneiden.*) Bis in unsere Zeit hinein
haben in den Bergwerken Englands und Schottlands Frauen
(sammt ihren Kindern) neben den Männern die Arbeit unter
Tage gethan und bezeichnender Weise in derselben primitiven
Kleidung, wie die Männer. Arbeiten dieser Art haben immer
so niedrig gelegen in der Schichtung der Gesellschaft und ihrer
Erwerbsthätigkeit, daß sie allen ohne Unterschied des Geschlechtes
zugänglich waren. Erst solche Thätigkeiten, welche höher hinauf

*) Ein neuer, vortrefflicher Bericht des englischen Arbeitsamtes,
aus der Feder von einem Mitgliede desselben, Miß Clara Collett
(Report by Miss Collett on the Statistics of Employment of Women
and Girls. London 1895
), liefert für England den Nachweis, daß
die verbreitete Annahme einer Vermehrung der weiblichen Arbeit
gegenüber der männlichen unrichtig ist und hauptsächlich auf die Ver-
wechselung der Zunahme weiblicher Arbeit in den Mittelclassen mit
der Zunahme derselben in den unteren Schichten zurückzuführen ist.
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[115/0131] Proletariats, sondern auf den Bestrebungen engerer und höherer Schichten ruht. Jn der That ist die Quantität weiblicher Erwerbsarbeit so groß, daß die wirklichen Reformbestrebungen sich auf deren Verminderung richten, woher wir zweierlei Bewegungen gegen- über dem Zustande weiblicher Arbeit haben (in Deutschland wie in England, Frankreich, der Schweiz u. s. w.), die sich scheinbar einander widersprechen – die eine auf Einschränkung der Frauenarbeit gerichtet, die andere auf Erweiterung der Frauenarbeit. Die Erklärung des scheinbaren Widerspruches liegt darin, daß sie im Wesentlichen sich auf verschiedene Arbeits- gebiete erstrecken. Das Weib zum Lastthier auf dem Acker, im Bergwerk, in der Fabrik zu machen, dazu hat es niemals einer Reformbewegung bedurft; das Gegentheil war Sache der Reform, und unser Jahrhundert hat sich bemüht, die ärger- lichsten Auswüchse wegzuschneiden. *) Bis in unsere Zeit hinein haben in den Bergwerken Englands und Schottlands Frauen (sammt ihren Kindern) neben den Männern die Arbeit unter Tage gethan und bezeichnender Weise in derselben primitiven Kleidung, wie die Männer. Arbeiten dieser Art haben immer so niedrig gelegen in der Schichtung der Gesellschaft und ihrer Erwerbsthätigkeit, daß sie allen ohne Unterschied des Geschlechtes zugänglich waren. Erst solche Thätigkeiten, welche höher hinauf *) Ein neuer, vortrefflicher Bericht des englischen Arbeitsamtes, aus der Feder von einem Mitgliede desselben, Miß Clara Collett (Report by Miss Collett on the Statistics of Employment of Women and Girls. London 1895), liefert für England den Nachweis, daß die verbreitete Annahme einer Vermehrung der weiblichen Arbeit gegenüber der männlichen unrichtig ist und hauptsächlich auf die Ver- wechselung der Zunahme weiblicher Arbeit in den Mittelclassen mit der Zunahme derselben in den unteren Schichten zurückzuführen ist. 8*

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/131>, abgerufen am 27.04.2024.