Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_572.001 p2c_572.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0096" n="572"/><lb n="p2c_572.001"/><hi rendition="#aq">Sonetti satirici (sonetos burlescos), sonetti pedantesci, <lb n="p2c_572.002"/> eroici (sonetos heroicos</hi>). Man hat spanische und <lb n="p2c_572.003"/> französische sehr schöne <hi rendition="#g">geistliche</hi> Sonnette (von Desbarreaur <lb n="p2c_572.004"/> und de Modene). Doch das sind Ausnahmen von <lb n="p2c_572.005"/> der Regel, oft auch verdorbener Geschmack, und ist dabey <lb n="p2c_572.006"/> nur vom Reimsysteme die Rede. Das eigentliche Sonnet <lb n="p2c_572.007"/> schwankt seinem lyrischen Jnhalte nach zwischen der Ode und <lb n="p2c_572.008"/> Elegie. Jnsofern die <hi rendition="#g">Ode</hi> als Jdyllion, als Kunstwerk <lb n="p2c_572.009"/> der Phantasie mehr Vollendung hat, als die <hi rendition="#g">Elegie,</hi> <lb n="p2c_572.010"/> nähert sich das <hi rendition="#g">Sonnet</hi> mehr der Ode. Denn die Jtaliänischen <lb n="p2c_572.011"/> Kunstrichter verlangen <hi rendition="#g">Neuheit, Einheit, <lb n="p2c_572.012"/> Ueberraschung, unerwarteten</hi> Schluß (der zuweilen <lb n="p2c_572.013"/> beynah epigrammatisch ist) für das Sonnet. Da soll <lb n="p2c_572.014"/> auch nicht ein rauher Reim, ein unpoetisches Wort, eine <lb n="p2c_572.015"/> gezwungene Wendung mit unter laufen. Es soll die größte <lb n="p2c_572.016"/> <hi rendition="#g">lyrische</hi> und <hi rendition="#g">musikalische</hi> Vollkommenheit darinnen <lb n="p2c_572.017"/> seyn. Jndessen, insofern die <hi rendition="#g">Ode</hi> mehr erhabene Gemüthsstimmung <lb n="p2c_572.018"/> ausdrückt, das Sonnet aber zärtliche, <lb n="p2c_572.019"/> romantische, graziöse, naive, niedliche Gefühle ausdrückt, <lb n="p2c_572.020"/> insofern ist das <hi rendition="#g">Sonnet</hi> der <hi rendition="#g">Elegie</hi> näher, und da wir <lb n="p2c_572.021"/> die Dichtungsarten nach ihrem gewöhnlichen Hauptinhalte <lb n="p2c_572.022"/> bestimmen, so müssen wir das Sonnet zur <hi rendition="#g">Elegie</hi> zählen, <lb n="p2c_572.023"/> wiewohl einige Sonnete Petrarks auch wahre Oden sind. ─ <lb n="p2c_572.024"/> Uebrigens nimmt das Sonnet noch andere zufällige Formen an. <lb n="p2c_572.025"/> Z. B. die erzählende. Petrark <hi rendition="#g">erzählt, Träume, Gesichte,</hi> <lb n="p2c_572.026"/> die er gehabt hat. Es giebt <hi rendition="#g">dramatisirte</hi> <lb n="p2c_572.027"/> Sonnette, Sonnette in Briefform. <hi rendition="#g">Peinlich</hi> und <lb n="p2c_572.028"/> <hi rendition="#g">verdienstlich</hi> ist das Sonnet für unmusikalische Sprachen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [572/0096]
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Sonetti satirici (sonetos burlescos), sonetti pedantesci, p2c_572.002
eroici (sonetos heroicos). Man hat spanische und p2c_572.003
französische sehr schöne geistliche Sonnette (von Desbarreaur p2c_572.004
und de Modene). Doch das sind Ausnahmen von p2c_572.005
der Regel, oft auch verdorbener Geschmack, und ist dabey p2c_572.006
nur vom Reimsysteme die Rede. Das eigentliche Sonnet p2c_572.007
schwankt seinem lyrischen Jnhalte nach zwischen der Ode und p2c_572.008
Elegie. Jnsofern die Ode als Jdyllion, als Kunstwerk p2c_572.009
der Phantasie mehr Vollendung hat, als die Elegie, p2c_572.010
nähert sich das Sonnet mehr der Ode. Denn die Jtaliänischen p2c_572.011
Kunstrichter verlangen Neuheit, Einheit, p2c_572.012
Ueberraschung, unerwarteten Schluß (der zuweilen p2c_572.013
beynah epigrammatisch ist) für das Sonnet. Da soll p2c_572.014
auch nicht ein rauher Reim, ein unpoetisches Wort, eine p2c_572.015
gezwungene Wendung mit unter laufen. Es soll die größte p2c_572.016
lyrische und musikalische Vollkommenheit darinnen p2c_572.017
seyn. Jndessen, insofern die Ode mehr erhabene Gemüthsstimmung p2c_572.018
ausdrückt, das Sonnet aber zärtliche, p2c_572.019
romantische, graziöse, naive, niedliche Gefühle ausdrückt, p2c_572.020
insofern ist das Sonnet der Elegie näher, und da wir p2c_572.021
die Dichtungsarten nach ihrem gewöhnlichen Hauptinhalte p2c_572.022
bestimmen, so müssen wir das Sonnet zur Elegie zählen, p2c_572.023
wiewohl einige Sonnete Petrarks auch wahre Oden sind. ─ p2c_572.024
Uebrigens nimmt das Sonnet noch andere zufällige Formen an. p2c_572.025
Z. B. die erzählende. Petrark erzählt, Träume, Gesichte, p2c_572.026
die er gehabt hat. Es giebt dramatisirte p2c_572.027
Sonnette, Sonnette in Briefform. Peinlich und p2c_572.028
verdienstlich ist das Sonnet für unmusikalische Sprachen
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