Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.
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p2c_537.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0061" n="537"/><lb n="p2c_537.001"/> sirte</hi> Oden, wo mehrere historisch bestimmbare Personen <lb n="p2c_537.002"/> sprechen, z. B. Horaz <hi rendition="#aq">I</hi>. 28. Doch auch hier liegt keine <lb n="p2c_537.003"/> Handlung zum Grunde. Die Gedankenreihe des Gesprächs <lb n="p2c_537.004"/> ist lyrisch so verbunden, daß man weiter keine äußern Umstände <lb n="p2c_537.005"/> braucht sie zu erklären. Zwey sprechen. Aber es <lb n="p2c_537.006"/> ist, als wenn nur Einer spräche. So fließt eins aus dem <lb n="p2c_537.007"/> andern. ─ Es giebt auch <hi rendition="#g">Oden,</hi> wo der Dichter sagt, <lb n="p2c_537.008"/> daß er handeln will, wo er uns Entschlüsse bekannt macht. <lb n="p2c_537.009"/> Z. B. „Freund, laß die Laub uns schließen“ u. s. w. Klopstock <lb n="p2c_537.010"/> an den Rheinwein. <hi rendition="#aq">cf</hi>. Horaz <hi rendition="#aq">I</hi>. 27. Hier spricht <lb n="p2c_537.011"/> Horaz mit seinen Freunden beym Gastmahl. Zwischen den <lb n="p2c_537.012"/> Worten <hi rendition="#aq">depone tutis auribus</hi> und <hi rendition="#aq">ah miser</hi> kann man <lb n="p2c_537.013"/> sich zwar eine Handlung denken, als wenn der Freund dazwischen <lb n="p2c_537.014"/> gesprochen hätte. Allein es läßt sich auch so erklären, <lb n="p2c_537.015"/> daß Horaz ahnet, was er antworten wird, wie <lb n="p2c_537.016"/> Klopstock in der Rheinweinode und weiter spricht. Auch <lb n="p2c_537.017"/> dadurch bekömmt die Ode noch keine Handlung, wenn die <lb n="p2c_537.018"/> Phantasie des Dichters ihm etwas vergegenwärtigt, wie in <lb n="p2c_537.019"/> Klopstocks Ode an Ebert: „Leitet den sterbenden Greis!“ <lb n="p2c_537.020"/> Nur muß die augenblickliche Stärke der Begeisterung so groß <lb n="p2c_537.021"/> seyn, daß man sich die Handlung als phantastisch, nicht als <lb n="p2c_537.022"/> wirklich denkt. <hi rendition="#g">Klopstocks</hi> Wingolf ist ein künstliches <lb n="p2c_537.023"/> dramatisches Odengebäude. Für solche und ähnliche Stücke <lb n="p2c_537.024"/> sollte man mehr den Ausdruck <hi rendition="#g">lyrische Scene</hi> gebrauchen. <lb n="p2c_537.025"/> Wo wirkliche Handlung zum Grunde liegt, ist es <lb n="p2c_537.026"/> eine historische Dichtungsart, und die lyrische Form zufällig. <lb n="p2c_537.027"/> ─ Will man übrigens, wie Klopstock einmal in seiner <lb n="p2c_537.028"/> Gelehrten Republik, jeden Entschluß in der Seele, jedes </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [537/0061]
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sirte Oden, wo mehrere historisch bestimmbare Personen p2c_537.002
sprechen, z. B. Horaz I. 28. Doch auch hier liegt keine p2c_537.003
Handlung zum Grunde. Die Gedankenreihe des Gesprächs p2c_537.004
ist lyrisch so verbunden, daß man weiter keine äußern Umstände p2c_537.005
braucht sie zu erklären. Zwey sprechen. Aber es p2c_537.006
ist, als wenn nur Einer spräche. So fließt eins aus dem p2c_537.007
andern. ─ Es giebt auch Oden, wo der Dichter sagt, p2c_537.008
daß er handeln will, wo er uns Entschlüsse bekannt macht. p2c_537.009
Z. B. „Freund, laß die Laub uns schließen“ u. s. w. Klopstock p2c_537.010
an den Rheinwein. cf. Horaz I. 27. Hier spricht p2c_537.011
Horaz mit seinen Freunden beym Gastmahl. Zwischen den p2c_537.012
Worten depone tutis auribus und ah miser kann man p2c_537.013
sich zwar eine Handlung denken, als wenn der Freund dazwischen p2c_537.014
gesprochen hätte. Allein es läßt sich auch so erklären, p2c_537.015
daß Horaz ahnet, was er antworten wird, wie p2c_537.016
Klopstock in der Rheinweinode und weiter spricht. Auch p2c_537.017
dadurch bekömmt die Ode noch keine Handlung, wenn die p2c_537.018
Phantasie des Dichters ihm etwas vergegenwärtigt, wie in p2c_537.019
Klopstocks Ode an Ebert: „Leitet den sterbenden Greis!“ p2c_537.020
Nur muß die augenblickliche Stärke der Begeisterung so groß p2c_537.021
seyn, daß man sich die Handlung als phantastisch, nicht als p2c_537.022
wirklich denkt. Klopstocks Wingolf ist ein künstliches p2c_537.023
dramatisches Odengebäude. Für solche und ähnliche Stücke p2c_537.024
sollte man mehr den Ausdruck lyrische Scene gebrauchen. p2c_537.025
Wo wirkliche Handlung zum Grunde liegt, ist es p2c_537.026
eine historische Dichtungsart, und die lyrische Form zufällig. p2c_537.027
─ Will man übrigens, wie Klopstock einmal in seiner p2c_537.028
Gelehrten Republik, jeden Entschluß in der Seele, jedes
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