Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_670.001 p2c_670.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0194" n="670"/><lb n="p2c_670.001"/> welchem sich die Personen und ihre Reden bewegen. Dazu <lb n="p2c_670.002"/> gehört, daß der Stoff aus der Götter=und Fabelzeit, aus <lb n="p2c_670.003"/> der romantischen Geschichte, aus der Schäfer=und Mährchenwelt <lb n="p2c_670.004"/> wie bey Gozzi genommen werde, ohnedem ist keine <lb n="p2c_670.005"/> Jllusion möglich. Jst das Wunderbare einmal als Princip <lb n="p2c_670.006"/> der Handlung angenommen, so läßt sich auch die beständige <lb n="p2c_670.007"/> <hi rendition="#g">Haupttheilnahme</hi> der Musik wahrscheinlich finden. ─ <lb n="p2c_670.008"/> Der Operndichter muß seine Materie so wählen, daß sie auch <lb n="p2c_670.009"/> ein romantisches Kostüme und Decoration giebt. Nazionen <lb n="p2c_670.010"/> wie die Spanier, deren Sitten noch viel romantisches haben, <lb n="p2c_670.011"/> können allerdings Geschichte für die Oper liefern, z. B. Don <lb n="p2c_670.012"/> Juan. Auch die morgenländischen Sitten und Kostüme <lb n="p2c_670.013"/> paßt für die Oper, z. B. Azur. Denn es läßt sich ein <lb n="p2c_670.014"/> Grad von Wunderbaren mit ihnen verbinden. Der Französische <lb n="p2c_670.015"/> Axur hat durch seinen wunderbaren Prolog einen <lb n="p2c_670.016"/> Vorzug vor dem Jtalienischen. ─ Nimmt die <hi rendition="#aq">opera seria</hi> <lb n="p2c_670.017"/> ihren Stoff aus der wirklichen Geschichte, z. B. <hi rendition="#aq">La Clemenza <lb n="p2c_670.018"/> di Tito</hi>, so wird die Darstellung schon an Wahrscheinlichkeit <lb n="p2c_670.019"/> und Ernst verliehren. Man wird nicht selten durch <lb n="p2c_670.020"/> Unschicklichkeiten gestöhrt werden. Es thut der Componist <lb n="p2c_670.021"/> alsdann gut, wenn er die <hi rendition="#g">Theilnahme</hi> der Musik vermindert, <lb n="p2c_670.022"/> wenn er die <hi rendition="#g">historische</hi> <hi rendition="#aq">opera seria</hi> mehr den <lb n="p2c_670.023"/> einfachen Melodramen, den Tragödien der Alten nähert, <lb n="p2c_670.024"/> wenn er der Poesie den Vorrang läßt und die Musik blos zu <lb n="p2c_670.025"/> ihrer Unterstützung anbringt. Sonst wird freylich diese <lb n="p2c_670.026"/> <hi rendition="#aq">opera seria</hi> ein abentheuerliches Kunstwerk, und man wird <lb n="p2c_670.027"/> es immer wider alle Wahrscheinlichkeit finden, daß ernste <lb n="p2c_670.028"/> Helden ihre Gedanken in gedehnten Kadenzen und Manieren </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [670/0194]
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welchem sich die Personen und ihre Reden bewegen. Dazu p2c_670.002
gehört, daß der Stoff aus der Götter=und Fabelzeit, aus p2c_670.003
der romantischen Geschichte, aus der Schäfer=und Mährchenwelt p2c_670.004
wie bey Gozzi genommen werde, ohnedem ist keine p2c_670.005
Jllusion möglich. Jst das Wunderbare einmal als Princip p2c_670.006
der Handlung angenommen, so läßt sich auch die beständige p2c_670.007
Haupttheilnahme der Musik wahrscheinlich finden. ─ p2c_670.008
Der Operndichter muß seine Materie so wählen, daß sie auch p2c_670.009
ein romantisches Kostüme und Decoration giebt. Nazionen p2c_670.010
wie die Spanier, deren Sitten noch viel romantisches haben, p2c_670.011
können allerdings Geschichte für die Oper liefern, z. B. Don p2c_670.012
Juan. Auch die morgenländischen Sitten und Kostüme p2c_670.013
paßt für die Oper, z. B. Azur. Denn es läßt sich ein p2c_670.014
Grad von Wunderbaren mit ihnen verbinden. Der Französische p2c_670.015
Axur hat durch seinen wunderbaren Prolog einen p2c_670.016
Vorzug vor dem Jtalienischen. ─ Nimmt die opera seria p2c_670.017
ihren Stoff aus der wirklichen Geschichte, z. B. La Clemenza p2c_670.018
di Tito, so wird die Darstellung schon an Wahrscheinlichkeit p2c_670.019
und Ernst verliehren. Man wird nicht selten durch p2c_670.020
Unschicklichkeiten gestöhrt werden. Es thut der Componist p2c_670.021
alsdann gut, wenn er die Theilnahme der Musik vermindert, p2c_670.022
wenn er die historische opera seria mehr den p2c_670.023
einfachen Melodramen, den Tragödien der Alten nähert, p2c_670.024
wenn er der Poesie den Vorrang läßt und die Musik blos zu p2c_670.025
ihrer Unterstützung anbringt. Sonst wird freylich diese p2c_670.026
opera seria ein abentheuerliches Kunstwerk, und man wird p2c_670.027
es immer wider alle Wahrscheinlichkeit finden, daß ernste p2c_670.028
Helden ihre Gedanken in gedehnten Kadenzen und Manieren
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