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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

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edeln Lustspiel, sondern als kleinliche Labyrinthe, in die p2c_661.002
sich der bürgerliche Mensch gefangen hat, wenn er handeln p2c_661.003
will. Die Verlegenheiten, in die er dabey geräth, die klugen p2c_661.004
spitzfindigen Mittel, wie er sich durch die Convenzion p2c_661.005
zu seinem Zwecke durchzuarbeiten sucht, geben hier hauptsächlich p2c_661.006
die lächerliche Ansicht. Die Charaktere müssen p2c_661.007
also auch hier mehr als je durch die Handlung selbst gezeigt p2c_661.008
werden, weil lächerliche Gestalten durch Bewegung an p2c_661.009
Wirksamkeit gewinnen. Daher wird die Charakterzeichnung p2c_661.010
hier vorzüglich durch die Jntrigue bewirkt. p2c_661.011
Weil man den Unterschied zwischen dem edeln und dem komischen p2c_661.012
Lustspiel fühlte, in dem ersten gewöhnlich mehr tiefen p2c_661.013
Charakter, in dem letztern mehr Jntrigue fand, so machte p2c_661.014
man einen Hauptunterschied zwischen Charakterstücken p2c_661.015
und Jntriguenstücken. Allein diese Unterscheidung p2c_661.016
sollte von der Theorie nicht angenommen werden, p2c_661.017
weil sie gar leicht zu Mißverständnissen führen, und fehlerhafte p2c_661.018
Stücke entschuldigen kann. Es muß in jedem guten p2c_661.019
Stück Handlung und Charakter beysammen seyn. p2c_661.020
Die Jntriguenstücke werden fade, wenn die Charaktere p2c_661.021
zu flach, allgemein und gewöhnlich gehalten sind, wenn p2c_661.022
alles in der Verwicklung gesucht wird. Jüngers Jntriguenstücke p2c_661.023
sind vielleicht bey uns die besten. Allein die Personen p2c_661.024
sehn sich doch immer einander ähnlich. Das sind p2c_661.025
junge verschuldete Leute, verschmitzte Bediente u. s. w. p2c_661.026
Hier könnte man eben so gut, wie bey den Römern und Jtalienern p2c_661.027
Charaktermasquen brauchen. Jn Schröders Lustspielen p2c_661.028
haben die Personen schon mehr individuelles und charakteristisches

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edeln Lustspiel, sondern als kleinliche Labyrinthe, in die p2c_661.002
sich der bürgerliche Mensch gefangen hat, wenn er handeln p2c_661.003
will. Die Verlegenheiten, in die er dabey geräth, die klugen p2c_661.004
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zu seinem Zwecke durchzuarbeiten sucht, geben hier hauptsächlich p2c_661.006
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/185>, abgerufen am 05.05.2024.