Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_660.001
schlechterdings blos weibische Rührung und Niedergeschlagenheit p2c_660.002
erregt, wo sich gar keine Empfindung des höhern p2c_660.003
Schönen findet, wo blos der glückliche Ausgang am Ende p2c_660.004
wieder Muth machen soll, so ist eine solche Tortur des Zuschauers p2c_660.005
allerdings wider die Würde der Kunst. Durch p2c_660.006
die Tragödie will Aristoteles den Menschen an Schreck und p2c_660.007
Jammer gewöhnt wissen. Dieser Eindruck ist wohlthätig. p2c_660.008
Wenn man aber in lauter sanfter Trauer hinschmelzen, und p2c_660.009
am Ende blos durch eine glückliche Wendung der Dinge wieder p2c_660.010
aufgerichtet werden soll, so wird dies schwerlich ein Zuschauer p2c_660.011
mehrere Stunden aushalten. Jfflands Jäger geben p2c_660.012
bey vielen idyllisch schönen Zügen, das Beyspiel zu so einer p2c_660.013
Comedie larmoyante, in mißverstandenem Sinne. 2) p2c_660.014
Das feinkomische Lustspiel, die eigentliche Komödie p2c_660.015
im engern Sinn, wo das Lächerliche und insbesondere p2c_660.016
das Feinkomische herrschend ist. Hier werden p2c_660.017
die Charaktere und Verhältnisse nicht nach ganzer p2c_660.018
Tiese und Umfang gezeichnet, sondern nur die äußere p2c_660.019
lächerliche
Seite von ihnen aufgegriffen, die aber originell p2c_660.020
seyn muß. Das edle Lustspiel schildert Menschen, p2c_660.021
in menschlichen Lagen, die Komödie schildert nur p2c_660.022
die feinen Karrikaturen der bürgerlichen Welt, in bürgerlichen p2c_660.023
Verhältnissen. Der Unterschied der Stände und Gewerbe p2c_660.024
verzerrt nämlich den allgemeinen Menschencharakter p2c_660.025
in der Gesellschaft. Das komische Talent des Dichters p2c_660.026
faßt diese lächerlichen Züge auf, und stellt sie dar. Die p2c_660.027
Verhältnisse des geselligen Lebens werden hier nicht von ihrer p2c_660.028
heitern schönen oder rührenden Seite gezeigt, wie im

p2c_660.001
schlechterdings blos weibische Rührung und Niedergeschlagenheit p2c_660.002
erregt, wo sich gar keine Empfindung des höhern p2c_660.003
Schönen findet, wo blos der glückliche Ausgang am Ende p2c_660.004
wieder Muth machen soll, so ist eine solche Tortur des Zuschauers p2c_660.005
allerdings wider die Würde der Kunst. Durch p2c_660.006
die Tragödie will Aristoteles den Menschen an Schreck und p2c_660.007
Jammer gewöhnt wissen. Dieser Eindruck ist wohlthätig. p2c_660.008
Wenn man aber in lauter sanfter Trauer hinschmelzen, und p2c_660.009
am Ende blos durch eine glückliche Wendung der Dinge wieder p2c_660.010
aufgerichtet werden soll, so wird dies schwerlich ein Zuschauer p2c_660.011
mehrere Stunden aushalten. Jfflands Jäger geben p2c_660.012
bey vielen idyllisch schönen Zügen, das Beyspiel zu so einer p2c_660.013
Comédie larmoyante, in mißverstandenem Sinne. 2) p2c_660.014
Das feinkomische Lustspiel, die eigentliche Komödie p2c_660.015
im engern Sinn, wo das Lächerliche und insbesondere p2c_660.016
das Feinkomische herrschend ist. Hier werden p2c_660.017
die Charaktere und Verhältnisse nicht nach ganzer p2c_660.018
Tiese und Umfang gezeichnet, sondern nur die äußere p2c_660.019
lächerliche
Seite von ihnen aufgegriffen, die aber originell p2c_660.020
seyn muß. Das edle Lustspiel schildert Menschen, p2c_660.021
in menschlichen Lagen, die Komödie schildert nur p2c_660.022
die feinen Karrikaturen der bürgerlichen Welt, in bürgerlichen p2c_660.023
Verhältnissen. Der Unterschied der Stände und Gewerbe p2c_660.024
verzerrt nämlich den allgemeinen Menschencharakter p2c_660.025
in der Gesellschaft. Das komische Talent des Dichters p2c_660.026
faßt diese lächerlichen Züge auf, und stellt sie dar. Die p2c_660.027
Verhältnisse des geselligen Lebens werden hier nicht von ihrer p2c_660.028
heitern schönen oder rührenden Seite gezeigt, wie im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0184" n="660"/><lb n="p2c_660.001"/>
schlechterdings blos weibische Rührung und Niedergeschlagenheit <lb n="p2c_660.002"/>
erregt, wo sich gar keine Empfindung des höhern <lb n="p2c_660.003"/>
Schönen findet, wo blos der glückliche Ausgang am Ende <lb n="p2c_660.004"/>
wieder Muth machen soll, so ist eine solche Tortur des Zuschauers <lb n="p2c_660.005"/>
allerdings wider die Würde der Kunst. Durch <lb n="p2c_660.006"/>
die Tragödie will Aristoteles den Menschen an Schreck und <lb n="p2c_660.007"/>
Jammer gewöhnt wissen. Dieser Eindruck ist wohlthätig. <lb n="p2c_660.008"/>
Wenn man aber in lauter sanfter Trauer hinschmelzen, und <lb n="p2c_660.009"/>
am Ende blos durch eine glückliche Wendung der Dinge wieder <lb n="p2c_660.010"/>
aufgerichtet werden soll, so wird dies schwerlich ein Zuschauer <lb n="p2c_660.011"/>
mehrere Stunden aushalten. Jfflands Jäger geben <lb n="p2c_660.012"/>
bey vielen idyllisch schönen Zügen, das Beyspiel zu so einer <lb n="p2c_660.013"/> <hi rendition="#aq">Comédie larmoyante</hi>, in mißverstandenem Sinne. 2) <lb n="p2c_660.014"/>
Das <hi rendition="#g">feinkomische Lustspiel,</hi> die eigentliche <hi rendition="#g">Komödie</hi> <lb n="p2c_660.015"/>
im engern Sinn, wo das <hi rendition="#g">Lächerliche</hi> und insbesondere <lb n="p2c_660.016"/>
das <hi rendition="#g">Feinkomische</hi> herrschend ist. Hier werden <lb n="p2c_660.017"/>
die <hi rendition="#g">Charaktere</hi> und <hi rendition="#g">Verhältnisse</hi> nicht nach ganzer <lb n="p2c_660.018"/>
Tiese und Umfang gezeichnet, sondern nur die <hi rendition="#g">äußere <lb n="p2c_660.019"/>
lächerliche</hi> Seite von ihnen aufgegriffen, die aber originell <lb n="p2c_660.020"/>
seyn muß. Das <hi rendition="#g">edle</hi> Lustspiel schildert <hi rendition="#g">Menschen,</hi> <lb n="p2c_660.021"/>
in <hi rendition="#g">menschlichen</hi> Lagen, die <hi rendition="#g">Komödie</hi> schildert nur <lb n="p2c_660.022"/>
die <hi rendition="#g">feinen</hi> Karrikaturen der bürgerlichen Welt, in bürgerlichen <lb n="p2c_660.023"/>
Verhältnissen. Der Unterschied der Stände und Gewerbe <lb n="p2c_660.024"/>
verzerrt nämlich den allgemeinen Menschencharakter <lb n="p2c_660.025"/>
in der Gesellschaft. Das <hi rendition="#g">komische</hi> Talent des Dichters <lb n="p2c_660.026"/>
faßt diese lächerlichen Züge auf, und stellt sie dar. Die <lb n="p2c_660.027"/>
Verhältnisse des geselligen Lebens werden hier nicht von ihrer <lb n="p2c_660.028"/>
heitern schönen oder rührenden Seite gezeigt, wie im
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[660/0184] p2c_660.001 schlechterdings blos weibische Rührung und Niedergeschlagenheit p2c_660.002 erregt, wo sich gar keine Empfindung des höhern p2c_660.003 Schönen findet, wo blos der glückliche Ausgang am Ende p2c_660.004 wieder Muth machen soll, so ist eine solche Tortur des Zuschauers p2c_660.005 allerdings wider die Würde der Kunst. Durch p2c_660.006 die Tragödie will Aristoteles den Menschen an Schreck und p2c_660.007 Jammer gewöhnt wissen. Dieser Eindruck ist wohlthätig. p2c_660.008 Wenn man aber in lauter sanfter Trauer hinschmelzen, und p2c_660.009 am Ende blos durch eine glückliche Wendung der Dinge wieder p2c_660.010 aufgerichtet werden soll, so wird dies schwerlich ein Zuschauer p2c_660.011 mehrere Stunden aushalten. Jfflands Jäger geben p2c_660.012 bey vielen idyllisch schönen Zügen, das Beyspiel zu so einer p2c_660.013 Comédie larmoyante, in mißverstandenem Sinne. 2) p2c_660.014 Das feinkomische Lustspiel, die eigentliche Komödie p2c_660.015 im engern Sinn, wo das Lächerliche und insbesondere p2c_660.016 das Feinkomische herrschend ist. Hier werden p2c_660.017 die Charaktere und Verhältnisse nicht nach ganzer p2c_660.018 Tiese und Umfang gezeichnet, sondern nur die äußere p2c_660.019 lächerliche Seite von ihnen aufgegriffen, die aber originell p2c_660.020 seyn muß. Das edle Lustspiel schildert Menschen, p2c_660.021 in menschlichen Lagen, die Komödie schildert nur p2c_660.022 die feinen Karrikaturen der bürgerlichen Welt, in bürgerlichen p2c_660.023 Verhältnissen. Der Unterschied der Stände und Gewerbe p2c_660.024 verzerrt nämlich den allgemeinen Menschencharakter p2c_660.025 in der Gesellschaft. Das komische Talent des Dichters p2c_660.026 faßt diese lächerlichen Züge auf, und stellt sie dar. Die p2c_660.027 Verhältnisse des geselligen Lebens werden hier nicht von ihrer p2c_660.028 heitern schönen oder rührenden Seite gezeigt, wie im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/184
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 660. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/184>, abgerufen am 05.05.2024.