Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_657.001
Anmerk. 1. Der Hauptunterschied des Lustspiels p2c_657.002
von dem Trauerspiele liegt also nicht im Stande der Personen, p2c_657.003
(denn es giebt wie gesagt auch bürgerliche Trauerspiele) p2c_657.004
nicht im Ausgange (denn nicht alle Tragödien, wie z. B. p2c_657.005
Jphigenie) enden traurig - sondern darinnen, daß in p2c_657.006
der Tragödie die Handlung heroisch ist, die höchste p2c_657.007
menschliche Willenskraft mit dem Schicksal zusammengestellt p2c_657.008
wird. Jn der Komödie dagegen ist die Handlung mehr interessant p2c_657.009
für das niedere Begehrungsvermögen. Es ist hier p2c_657.010
Kampf mit Verhältnissen, die sich umändern lassen, nicht p2c_657.011
mit dem nothwendigen unvermeidlichen Schicksal. Es giebt p2c_657.012
hier auch Entschlüsse, Plane, aber keine heroischen Akte p2c_657.013
der Freyheit. Die eigentliche Sphäre des Lustspiels ist deshalb p2c_657.014
freylich das gesellige häusliche Leben von Privatpersonen, p2c_657.015
weil sich darinnen das niedere Begehrungsvermögen, p2c_657.016
und jeder gemeinere eigennützige Trieb der Menschen p2c_657.017
am meisten entwickelt.

p2c_657.018
Anmerk. 2. Der objektive Jnnhalt der Komödie, p2c_657.019
in seinem idealen Sinn genommen, ist also eine gewöhnlich p2c_657.020
erdichtete Thatsache aus dem bürgerlichen, geselligen, p2c_657.021
häuslichen Leben. Das Jnteresse der Haupthandlung p2c_657.022
ist ein Jnteresse des niedern Begehrungsvermögens. p2c_657.023
Die Charaktere interessiren nicht wegen ihrer einfachen p2c_657.024
Hoheit, sondern wegen ihrer Mannichfaltigkeit, Lebendigkeit, p2c_657.025
und als treue Nachbildungen der Wirklichkeit. Der p2c_657.026
Plan der Komödie kann verwickelt seyn, es kann nächst p2c_657.027
dem Hauptknoten noch mehrere Nebenknoten geben, weil

p2c_657.001
Anmerk. 1. Der Hauptunterschied des Lustspiels p2c_657.002
von dem Trauerspiele liegt also nicht im Stande der Personen, p2c_657.003
(denn es giebt wie gesagt auch bürgerliche Trauerspiele) p2c_657.004
nicht im Ausgange (denn nicht alle Tragödien, wie z. B. p2c_657.005
Jphigenie) enden traurig ─ sondern darinnen, daß in p2c_657.006
der Tragödie die Handlung heroisch ist, die höchste p2c_657.007
menschliche Willenskraft mit dem Schicksal zusammengestellt p2c_657.008
wird. Jn der Komödie dagegen ist die Handlung mehr interessant p2c_657.009
für das niedere Begehrungsvermögen. Es ist hier p2c_657.010
Kampf mit Verhältnissen, die sich umändern lassen, nicht p2c_657.011
mit dem nothwendigen unvermeidlichen Schicksal. Es giebt p2c_657.012
hier auch Entschlüsse, Plane, aber keine heroischen Akte p2c_657.013
der Freyheit. Die eigentliche Sphäre des Lustspiels ist deshalb p2c_657.014
freylich das gesellige häusliche Leben von Privatpersonen, p2c_657.015
weil sich darinnen das niedere Begehrungsvermögen, p2c_657.016
und jeder gemeinere eigennützige Trieb der Menschen p2c_657.017
am meisten entwickelt.

p2c_657.018
Anmerk. 2. Der objektive Jnnhalt der Komödie, p2c_657.019
in seinem idealen Sinn genommen, ist also eine gewöhnlich p2c_657.020
erdichtete Thatsache aus dem bürgerlichen, geselligen, p2c_657.021
häuslichen Leben. Das Jnteresse der Haupthandlung p2c_657.022
ist ein Jnteresse des niedern Begehrungsvermögens. p2c_657.023
Die Charaktere interessiren nicht wegen ihrer einfachen p2c_657.024
Hoheit, sondern wegen ihrer Mannichfaltigkeit, Lebendigkeit, p2c_657.025
und als treue Nachbildungen der Wirklichkeit. Der p2c_657.026
Plan der Komödie kann verwickelt seyn, es kann nächst p2c_657.027
dem Hauptknoten noch mehrere Nebenknoten geben, weil

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0181" n="657"/>
            <p><lb n="p2c_657.001"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> 1. Der Hauptunterschied des Lustspiels <lb n="p2c_657.002"/>
von dem Trauerspiele liegt also nicht im Stande der Personen, <lb n="p2c_657.003"/>
(denn es giebt wie gesagt auch bürgerliche Trauerspiele) <lb n="p2c_657.004"/>
nicht im Ausgange (denn nicht alle Tragödien, wie z. B. <lb n="p2c_657.005"/>
Jphigenie) enden traurig &#x2500; sondern darinnen, daß in <lb n="p2c_657.006"/>
der Tragödie die Handlung <hi rendition="#g">heroisch</hi> ist, die höchste <lb n="p2c_657.007"/>
menschliche Willenskraft mit dem Schicksal zusammengestellt <lb n="p2c_657.008"/>
wird. Jn der Komödie dagegen ist die Handlung mehr interessant <lb n="p2c_657.009"/>
für das niedere Begehrungsvermögen. Es ist hier <lb n="p2c_657.010"/>
Kampf mit Verhältnissen, die sich umändern lassen, nicht <lb n="p2c_657.011"/>
mit dem nothwendigen unvermeidlichen Schicksal. Es giebt <lb n="p2c_657.012"/>
hier auch Entschlüsse, Plane, aber keine heroischen Akte <lb n="p2c_657.013"/>
der Freyheit. Die eigentliche Sphäre des Lustspiels ist deshalb <lb n="p2c_657.014"/>
freylich das <hi rendition="#g">gesellige häusliche</hi> Leben von Privatpersonen, <lb n="p2c_657.015"/>
weil sich darinnen das niedere Begehrungsvermögen, <lb n="p2c_657.016"/>
und jeder gemeinere eigennützige Trieb der Menschen <lb n="p2c_657.017"/>
am meisten entwickelt.</p>
            <p><lb n="p2c_657.018"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> 2. Der <hi rendition="#g">objektive</hi> Jnnhalt der Komödie, <lb n="p2c_657.019"/>
in seinem idealen Sinn genommen, ist also eine gewöhnlich <lb n="p2c_657.020"/> <hi rendition="#g">erdichtete</hi> Thatsache aus dem bürgerlichen, geselligen, <lb n="p2c_657.021"/>
häuslichen Leben. Das <hi rendition="#g">Jnteresse</hi> der Haupthandlung <lb n="p2c_657.022"/>
ist ein Jnteresse des niedern Begehrungsvermögens. <lb n="p2c_657.023"/>
Die <hi rendition="#g">Charaktere</hi> interessiren nicht wegen ihrer einfachen <lb n="p2c_657.024"/>
Hoheit, sondern wegen ihrer Mannichfaltigkeit, Lebendigkeit, <lb n="p2c_657.025"/>
und als treue Nachbildungen der Wirklichkeit. Der <lb n="p2c_657.026"/> <hi rendition="#g">Plan</hi> der Komödie kann verwickelt seyn, es kann nächst <lb n="p2c_657.027"/>
dem Hauptknoten noch mehrere Nebenknoten geben, weil
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[657/0181] p2c_657.001 Anmerk. 1. Der Hauptunterschied des Lustspiels p2c_657.002 von dem Trauerspiele liegt also nicht im Stande der Personen, p2c_657.003 (denn es giebt wie gesagt auch bürgerliche Trauerspiele) p2c_657.004 nicht im Ausgange (denn nicht alle Tragödien, wie z. B. p2c_657.005 Jphigenie) enden traurig ─ sondern darinnen, daß in p2c_657.006 der Tragödie die Handlung heroisch ist, die höchste p2c_657.007 menschliche Willenskraft mit dem Schicksal zusammengestellt p2c_657.008 wird. Jn der Komödie dagegen ist die Handlung mehr interessant p2c_657.009 für das niedere Begehrungsvermögen. Es ist hier p2c_657.010 Kampf mit Verhältnissen, die sich umändern lassen, nicht p2c_657.011 mit dem nothwendigen unvermeidlichen Schicksal. Es giebt p2c_657.012 hier auch Entschlüsse, Plane, aber keine heroischen Akte p2c_657.013 der Freyheit. Die eigentliche Sphäre des Lustspiels ist deshalb p2c_657.014 freylich das gesellige häusliche Leben von Privatpersonen, p2c_657.015 weil sich darinnen das niedere Begehrungsvermögen, p2c_657.016 und jeder gemeinere eigennützige Trieb der Menschen p2c_657.017 am meisten entwickelt. p2c_657.018 Anmerk. 2. Der objektive Jnnhalt der Komödie, p2c_657.019 in seinem idealen Sinn genommen, ist also eine gewöhnlich p2c_657.020 erdichtete Thatsache aus dem bürgerlichen, geselligen, p2c_657.021 häuslichen Leben. Das Jnteresse der Haupthandlung p2c_657.022 ist ein Jnteresse des niedern Begehrungsvermögens. p2c_657.023 Die Charaktere interessiren nicht wegen ihrer einfachen p2c_657.024 Hoheit, sondern wegen ihrer Mannichfaltigkeit, Lebendigkeit, p2c_657.025 und als treue Nachbildungen der Wirklichkeit. Der p2c_657.026 Plan der Komödie kann verwickelt seyn, es kann nächst p2c_657.027 dem Hauptknoten noch mehrere Nebenknoten geben, weil

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/181
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/181>, abgerufen am 24.11.2024.