Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_619.001
von einander trennt. - Nur muß man dergleichen dramatisirte p2c_619.002
Biographien nicht als wahre Dramen und p2c_619.003
Tragödien betrachten. Denn sonst wären sie fehlerhaft. p2c_619.004
Wenn man also hier eine neue Eintheilung macht, und diese p2c_619.005
dramatischen Geschichten zum romantischen Gedicht p2c_619.006
rechnet, wohin sie auch gehören, so rettet man eine ganze p2c_619.007
Menge Werke des Genies von dem Vorwurf der Unvollkommenheit. p2c_619.008
Warum soll sich alles unter das Joch des p2c_619.009
Aristoteles beugen? warum soll überall ein Drama seyn? p2c_619.010
das Genie thut recht, sich nicht an die einseitigen Regeln p2c_619.011
zu binden, und stets neue Formen zu erfinden, nur muß es p2c_619.012
ihnen auch bestimmte Nahmen geben. Die heroischen p2c_619.013
dramatisirten
Biographien haben also noch einen weitern p2c_619.014
Jnhalt, als das gewöhnliche romantische Gedicht. p2c_619.015
Dieses umfaßt nur Situationen. Hier wird oft ein ganzes p2c_619.016
Leben dargestellt. Wie der eigentliche Roman, eine p2c_619.017
Untergattung der niedern historischen Poesie, den Charakter p2c_619.018
und die Handlungsweise eines Menschen aus der bürgerlichen p2c_619.019
Welt entwickelt, eben so haben die dramatisirten p2c_619.020
romantischen Biographien
die Entwicklung eines p2c_619.021
heroischen Charakters zum Hauptgegenstand, der p2c_619.022
ästhetische Jnhalt des Gedichts ist das Romantische. p2c_619.023
Das Leben muß voll verwickelter Schicksale seyn. - Das p2c_619.024
Gedicht kann auch größere Decorationen vorschreiben, als p2c_619.025
die eigentliche Tragödie, weil nicht nöthig, ja nicht einmal p2c_619.026
möglich ist, daß alles davon auf die Bühne gebracht p2c_619.027
werde. Der Styl kann zuweilen selbst scherzhaft seyn. p2c_619.028
Denn es ist eine Darstellung des ganzen Lebens, wie

p2c_619.001
von einander trennt. ─ Nur muß man dergleichen dramatisirte p2c_619.002
Biographien nicht als wahre Dramen und p2c_619.003
Tragödien betrachten. Denn sonst wären sie fehlerhaft. p2c_619.004
Wenn man also hier eine neue Eintheilung macht, und diese p2c_619.005
dramatischen Geschichten zum romantischen Gedicht p2c_619.006
rechnet, wohin sie auch gehören, so rettet man eine ganze p2c_619.007
Menge Werke des Genies von dem Vorwurf der Unvollkommenheit. p2c_619.008
Warum soll sich alles unter das Joch des p2c_619.009
Aristoteles beugen? warum soll überall ein Drama seyn? p2c_619.010
das Genie thut recht, sich nicht an die einseitigen Regeln p2c_619.011
zu binden, und stets neue Formen zu erfinden, nur muß es p2c_619.012
ihnen auch bestimmte Nahmen geben. Die heroischen p2c_619.013
dramatisirten
Biographien haben also noch einen weitern p2c_619.014
Jnhalt, als das gewöhnliche romantische Gedicht. p2c_619.015
Dieses umfaßt nur Situationen. Hier wird oft ein ganzes p2c_619.016
Leben dargestellt. Wie der eigentliche Roman, eine p2c_619.017
Untergattung der niedern historischen Poesie, den Charakter p2c_619.018
und die Handlungsweise eines Menschen aus der bürgerlichen p2c_619.019
Welt entwickelt, eben so haben die dramatisirten p2c_619.020
romantischen Biographien
die Entwicklung eines p2c_619.021
heroischen Charakters zum Hauptgegenstand, der p2c_619.022
ästhetische Jnhalt des Gedichts ist das Romantische. p2c_619.023
Das Leben muß voll verwickelter Schicksale seyn. ─ Das p2c_619.024
Gedicht kann auch größere Decorationen vorschreiben, als p2c_619.025
die eigentliche Tragödie, weil nicht nöthig, ja nicht einmal p2c_619.026
möglich ist, daß alles davon auf die Bühne gebracht p2c_619.027
werde. Der Styl kann zuweilen selbst scherzhaft seyn. p2c_619.028
Denn es ist eine Darstellung des ganzen Lebens, wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0143" n="619"/><lb n="p2c_619.001"/>
von einander trennt. &#x2500; Nur muß man dergleichen <hi rendition="#g">dramatisirte</hi> <lb n="p2c_619.002"/>
Biographien nicht als wahre <hi rendition="#g">Dramen</hi> und <lb n="p2c_619.003"/> <hi rendition="#g">Tragödien</hi> betrachten. Denn sonst wären sie fehlerhaft. <lb n="p2c_619.004"/>
Wenn man also hier eine neue Eintheilung macht, und diese <lb n="p2c_619.005"/>
dramatischen Geschichten zum <hi rendition="#g">romantischen</hi> Gedicht <lb n="p2c_619.006"/>
rechnet, wohin sie auch gehören, so rettet man eine ganze <lb n="p2c_619.007"/>
Menge Werke des Genies von dem Vorwurf der Unvollkommenheit. <lb n="p2c_619.008"/>
Warum soll sich alles unter das Joch des <lb n="p2c_619.009"/>
Aristoteles beugen? warum soll überall ein <hi rendition="#g">Drama</hi> seyn? <lb n="p2c_619.010"/>
das Genie thut recht, sich nicht an die einseitigen Regeln <lb n="p2c_619.011"/>
zu binden, und stets neue Formen zu erfinden, nur muß es <lb n="p2c_619.012"/>
ihnen auch bestimmte Nahmen geben. Die <hi rendition="#g">heroischen <lb n="p2c_619.013"/>
dramatisirten</hi> Biographien haben also noch einen weitern <lb n="p2c_619.014"/>
Jnhalt, als das gewöhnliche <hi rendition="#g">romantische</hi> Gedicht. <lb n="p2c_619.015"/>
Dieses umfaßt nur Situationen. Hier wird oft ein ganzes <lb n="p2c_619.016"/> <hi rendition="#g">Leben</hi> dargestellt. Wie der eigentliche <hi rendition="#g">Roman,</hi> eine <lb n="p2c_619.017"/>
Untergattung der niedern historischen Poesie, den Charakter <lb n="p2c_619.018"/>
und die Handlungsweise eines Menschen aus der bürgerlichen <lb n="p2c_619.019"/>
Welt entwickelt, eben so haben die <hi rendition="#g">dramatisirten <lb n="p2c_619.020"/>
romantischen Biographien</hi> die Entwicklung eines <lb n="p2c_619.021"/> <hi rendition="#g">heroischen</hi> Charakters zum Hauptgegenstand, der <lb n="p2c_619.022"/>
ästhetische Jnhalt des Gedichts ist das <hi rendition="#g">Romantische.</hi> <lb n="p2c_619.023"/>
Das Leben muß voll verwickelter Schicksale seyn. &#x2500; Das <lb n="p2c_619.024"/>
Gedicht kann auch größere Decorationen vorschreiben, als <lb n="p2c_619.025"/>
die eigentliche Tragödie, weil nicht nöthig, ja nicht einmal <lb n="p2c_619.026"/>
möglich ist, daß <hi rendition="#g">alles</hi> davon auf die Bühne gebracht <lb n="p2c_619.027"/>
werde. Der Styl kann zuweilen selbst <hi rendition="#g">scherzhaft</hi> seyn. <lb n="p2c_619.028"/>
Denn es ist eine <hi rendition="#g">Darstellung</hi> des ganzen Lebens, wie
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[619/0143] p2c_619.001 von einander trennt. ─ Nur muß man dergleichen dramatisirte p2c_619.002 Biographien nicht als wahre Dramen und p2c_619.003 Tragödien betrachten. Denn sonst wären sie fehlerhaft. p2c_619.004 Wenn man also hier eine neue Eintheilung macht, und diese p2c_619.005 dramatischen Geschichten zum romantischen Gedicht p2c_619.006 rechnet, wohin sie auch gehören, so rettet man eine ganze p2c_619.007 Menge Werke des Genies von dem Vorwurf der Unvollkommenheit. p2c_619.008 Warum soll sich alles unter das Joch des p2c_619.009 Aristoteles beugen? warum soll überall ein Drama seyn? p2c_619.010 das Genie thut recht, sich nicht an die einseitigen Regeln p2c_619.011 zu binden, und stets neue Formen zu erfinden, nur muß es p2c_619.012 ihnen auch bestimmte Nahmen geben. Die heroischen p2c_619.013 dramatisirten Biographien haben also noch einen weitern p2c_619.014 Jnhalt, als das gewöhnliche romantische Gedicht. p2c_619.015 Dieses umfaßt nur Situationen. Hier wird oft ein ganzes p2c_619.016 Leben dargestellt. Wie der eigentliche Roman, eine p2c_619.017 Untergattung der niedern historischen Poesie, den Charakter p2c_619.018 und die Handlungsweise eines Menschen aus der bürgerlichen p2c_619.019 Welt entwickelt, eben so haben die dramatisirten p2c_619.020 romantischen Biographien die Entwicklung eines p2c_619.021 heroischen Charakters zum Hauptgegenstand, der p2c_619.022 ästhetische Jnhalt des Gedichts ist das Romantische. p2c_619.023 Das Leben muß voll verwickelter Schicksale seyn. ─ Das p2c_619.024 Gedicht kann auch größere Decorationen vorschreiben, als p2c_619.025 die eigentliche Tragödie, weil nicht nöthig, ja nicht einmal p2c_619.026 möglich ist, daß alles davon auf die Bühne gebracht p2c_619.027 werde. Der Styl kann zuweilen selbst scherzhaft seyn. p2c_619.028 Denn es ist eine Darstellung des ganzen Lebens, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/143
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/143>, abgerufen am 02.05.2024.