Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_614.001 p2c_614.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0138" n="614"/><lb n="p2c_614.001"/> Grunde. Deswegen läßt sich Homer auch nicht darauf ein, <lb n="p2c_614.002"/> lyrische Selbstgespräche zu halten. Er sucht seine Selbstständigkeit <lb n="p2c_614.003"/> darin, daß er den Sinn des Lebens, die Objekte <lb n="p2c_614.004"/> auffaßt und idealisch ausbildet. ─ <hi rendition="#g">Ossians</hi> Erzählungen <lb n="p2c_614.005"/> haben nicht den ächten <hi rendition="#g">epischen</hi> Ton. Es sind mehr <lb n="p2c_614.006"/> <hi rendition="#g">lyrische</hi> Erinnerungen. Hier ist <hi rendition="#g">Odeuschwung.</hi> Dies <lb n="p2c_614.007"/> ist eine andre Gattung. Ossians Gedichte sind auch kürzer, <lb n="p2c_614.008"/> sie sind mehr romantische Heldengedichte, als Epopöen. <lb n="p2c_614.009"/> Der Schauplatz ist <hi rendition="#g">dunkler</hi> gehalten, und läßt dem subjektiven <lb n="p2c_614.010"/> Gefühl mehr Spielraum. Homer dagegen, bey <lb n="p2c_614.011"/> dem alles lichte Anschauung seyn sollte, durfte sich nicht dem <lb n="p2c_614.012"/> lyrischen Gefühl hingeben. <hi rendition="#g">Milton</hi> hat zwar lyrische <lb n="p2c_614.013"/> Einleitungen. Sein Styl ist schon körnigter, sentenzenreicher, <lb n="p2c_614.014"/> phantastischer als der des Homer. Diesen höhern <lb n="p2c_614.015"/> Schwung erheischt der Gegenstand. Aber er hat doch den <lb n="p2c_614.016"/> <hi rendition="#g">epischen</hi> ruhigen licht darstellenden Ton genauer <lb n="p2c_614.017"/> gehalten, als <hi rendition="#g">Klopstock.</hi> Klopstocks Epopöe ist <lb n="p2c_614.018"/> im religiösen Hymnenton. Es sind Blumen aus einer <lb n="p2c_614.019"/> höhern Welt. ─ Aber die Welt selbst ist nicht dargestellt. <lb n="p2c_614.020"/> Der Sprachausdruck ist oft zu angespannt. Aus <lb n="p2c_614.021"/> diesem Grunde wird das Gedicht wegen der epischen Länge <lb n="p2c_614.022"/> für das anhaltende Lesen schwer. Doch wie viele lesen auch <lb n="p2c_614.023"/> den Homer, den Tasso auf einmal durch? Klopstocks Gegenstand <lb n="p2c_614.024"/> setzt in dem Erzähler ein hohes religiöses Gefühl <lb n="p2c_614.025"/> voraus. Er muß also seine Erzählung immer unterbrechen, <lb n="p2c_614.026"/> durch Aeußerungen der Andacht. <hi rendition="#g">Milton</hi> konnte seine <lb n="p2c_614.027"/> Welt schon mehr <hi rendition="#g">episch</hi> darstellen, Klopstock konnte sie <lb n="p2c_614.028"/> nur <hi rendition="#g">ahnen.</hi> Milton ist ein größerer Heldendichter in Ansehung </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [614/0138]
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Grunde. Deswegen läßt sich Homer auch nicht darauf ein, p2c_614.002
lyrische Selbstgespräche zu halten. Er sucht seine Selbstständigkeit p2c_614.003
darin, daß er den Sinn des Lebens, die Objekte p2c_614.004
auffaßt und idealisch ausbildet. ─ Ossians Erzählungen p2c_614.005
haben nicht den ächten epischen Ton. Es sind mehr p2c_614.006
lyrische Erinnerungen. Hier ist Odeuschwung. Dies p2c_614.007
ist eine andre Gattung. Ossians Gedichte sind auch kürzer, p2c_614.008
sie sind mehr romantische Heldengedichte, als Epopöen. p2c_614.009
Der Schauplatz ist dunkler gehalten, und läßt dem subjektiven p2c_614.010
Gefühl mehr Spielraum. Homer dagegen, bey p2c_614.011
dem alles lichte Anschauung seyn sollte, durfte sich nicht dem p2c_614.012
lyrischen Gefühl hingeben. Milton hat zwar lyrische p2c_614.013
Einleitungen. Sein Styl ist schon körnigter, sentenzenreicher, p2c_614.014
phantastischer als der des Homer. Diesen höhern p2c_614.015
Schwung erheischt der Gegenstand. Aber er hat doch den p2c_614.016
epischen ruhigen licht darstellenden Ton genauer p2c_614.017
gehalten, als Klopstock. Klopstocks Epopöe ist p2c_614.018
im religiösen Hymnenton. Es sind Blumen aus einer p2c_614.019
höhern Welt. ─ Aber die Welt selbst ist nicht dargestellt. p2c_614.020
Der Sprachausdruck ist oft zu angespannt. Aus p2c_614.021
diesem Grunde wird das Gedicht wegen der epischen Länge p2c_614.022
für das anhaltende Lesen schwer. Doch wie viele lesen auch p2c_614.023
den Homer, den Tasso auf einmal durch? Klopstocks Gegenstand p2c_614.024
setzt in dem Erzähler ein hohes religiöses Gefühl p2c_614.025
voraus. Er muß also seine Erzählung immer unterbrechen, p2c_614.026
durch Aeußerungen der Andacht. Milton konnte seine p2c_614.027
Welt schon mehr episch darstellen, Klopstock konnte sie p2c_614.028
nur ahnen. Milton ist ein größerer Heldendichter in Ansehung
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