p2c_613.001 ist, so geziemt sich für ihn ein lichter, gleichmäßiger p2c_613.002 einfacher schöner Styl, ohne lyrische Spannung. p2c_613.003 Er muß eine gewisse Hoheit und Selbstständigkeit, p2c_613.004 Ruhe beobachten, die des Jnnhaltsp2c_613.005 würdig sey. Er muß natürlich erzählen, damit der p2c_613.006 Geist nicht durch unnütze Figuren bey der Größe des p2c_613.007 Werks ermüdet werde. Man kann also dem Stylp2c_613.008 der Erzählung den Charakter des Edlen beylegen. p2c_613.009 Das Metrum muß der Sprache die größte Ausdehnung p2c_613.010 zulassen, in seinem Gange stark, feyerlich, ruhig p2c_613.011 seyn.
p2c_613.012 Anmerk. Homer ist hier völlig Jdeal. Wenn er p2c_613.013 auch die Größe seiner Gegenstände als unerfaßlich angiebt, p2c_613.014 ganz unterliegt er nicht. Sein Geist behält eine lichte nüchterne p2c_613.015 Vorstellkraft, die ohne allen lyrischen Schwung ist. p2c_613.016 Wenn er auch noch so rührende Szenen schildert, er selbst p2c_613.017 nimmt nicht Theil. Er schwebt, wie ein anschauender Gott p2c_613.018 über dem Ganzen. Wie ruhig ist die Wiederholung Il XXII. p2c_613.019 vs. 78-91. oud' ektori thumon epeithon. - Die Personen p2c_613.020 reden mit der heftigsten Leidenschaft, wiewohl auch p2c_613.021 immer im einfachen Styl. Er selbst der Erzähler bleibt p2c_613.022 zwar nicht gefühllos, das zeigen seine Epitheten philon uion, p2c_613.023 deiloi brotoi. Aber im ganzen zeigt er, um mit dem Horaz p2c_613.024 zu reden, aequam mentem in rebus arduis. - p2c_613.025 Dies ist die höchste moralische Maxime der Epopöe. Keine p2c_613.026 andere, so viel auch Le Bossu dafür sagen mag, liegt nicht zu
p2c_613.001 ist, so geziemt sich für ihn ein lichter, gleichmäßiger p2c_613.002 einfacher schöner Styl, ohne lyrische Spannung. p2c_613.003 Er muß eine gewisse Hoheit und Selbstständigkeit, p2c_613.004 Ruhe beobachten, die des Jnnhaltsp2c_613.005 würdig sey. Er muß natürlich erzählen, damit der p2c_613.006 Geist nicht durch unnütze Figuren bey der Größe des p2c_613.007 Werks ermüdet werde. Man kann also dem Stylp2c_613.008 der Erzählung den Charakter des Edlen beylegen. p2c_613.009 Das Metrum muß der Sprache die größte Ausdehnung p2c_613.010 zulassen, in seinem Gange stark, feyerlich, ruhig p2c_613.011 seyn.
p2c_613.012 Anmerk. Homer ist hier völlig Jdeal. Wenn er p2c_613.013 auch die Größe seiner Gegenstände als unerfaßlich angiebt, p2c_613.014 ganz unterliegt er nicht. Sein Geist behält eine lichte nüchterne p2c_613.015 Vorstellkraft, die ohne allen lyrischen Schwung ist. p2c_613.016 Wenn er auch noch so rührende Szenen schildert, er selbst p2c_613.017 nimmt nicht Theil. Er schwebt, wie ein anschauender Gott p2c_613.018 über dem Ganzen. Wie ruhig ist die Wiederholung Il XXII. p2c_613.019 vs. 78─91. ουδ' ἐκτορι θυμον ἐπειθον. ─ Die Personen p2c_613.020 reden mit der heftigsten Leidenschaft, wiewohl auch p2c_613.021 immer im einfachen Styl. Er selbst der Erzähler bleibt p2c_613.022 zwar nicht gefühllos, das zeigen seine Epitheten φιλον ὑιον, p2c_613.023 δειλοι βροτοι. Aber im ganzen zeigt er, um mit dem Horaz p2c_613.024 zu reden, aequam mentem in rebus arduis. ─ p2c_613.025 Dies ist die höchste moralische Maxime der Epopöe. Keine p2c_613.026 andere, so viel auch Le Bossu dafür sagen mag, liegt nicht zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0137"n="613"/><lbn="p2c_613.001"/>
ist, so geziemt sich für ihn ein lichter, <hirendition="#g">gleichmäßiger <lbn="p2c_613.002"/>
einfacher schöner</hi> Styl, ohne lyrische Spannung. <lbn="p2c_613.003"/>
Er muß eine gewisse <hirendition="#g">Hoheit</hi> und Selbstständigkeit, <lbn="p2c_613.004"/>
Ruhe beobachten, die des <hirendition="#g">Jnnhalts</hi><lbn="p2c_613.005"/>
würdig sey. Er muß natürlich erzählen, damit der <lbn="p2c_613.006"/>
Geist nicht durch unnütze Figuren bey der Größe des <lbn="p2c_613.007"/>
Werks ermüdet werde. Man kann also dem <hirendition="#g">Styl</hi><lbn="p2c_613.008"/>
der Erzählung den Charakter des <hirendition="#g">Edlen</hi> beylegen. <lbn="p2c_613.009"/>
Das <hirendition="#g">Metrum</hi> muß der Sprache die größte Ausdehnung <lbn="p2c_613.010"/>
zulassen, in seinem Gange stark, feyerlich, ruhig <lbn="p2c_613.011"/>
seyn.</p><p><lbn="p2c_613.012"/><hirendition="#g">Anmerk.</hi> Homer ist hier völlig Jdeal. Wenn er <lbn="p2c_613.013"/>
auch die Größe seiner Gegenstände als unerfaßlich angiebt, <lbn="p2c_613.014"/>
ganz unterliegt er nicht. Sein Geist behält eine lichte nüchterne <lbn="p2c_613.015"/>
Vorstellkraft, die ohne allen lyrischen Schwung ist. <lbn="p2c_613.016"/>
Wenn er auch noch so rührende Szenen schildert, er selbst <lbn="p2c_613.017"/>
nimmt nicht Theil. Er schwebt, wie ein anschauender Gott <lbn="p2c_613.018"/>
über dem Ganzen. Wie ruhig ist die Wiederholung <hirendition="#aq">Il XXII. <lbn="p2c_613.019"/>
vs. 78─91. <foreignxml:lang="grc">ουδ' ἐκτοριθυμονἐπειθον</foreign></hi>. ─ Die Personen <lbn="p2c_613.020"/>
reden mit der heftigsten Leidenschaft, wiewohl auch <lbn="p2c_613.021"/>
immer im einfachen Styl. Er selbst der Erzähler bleibt <lbn="p2c_613.022"/>
zwar nicht gefühllos, das zeigen seine Epitheten <foreignxml:lang="grc">φιλονὑιον</foreign>, <lbn="p2c_613.023"/><foreignxml:lang="grc">δειλοιβροτοι</foreign>. Aber im ganzen zeigt er, um mit dem Horaz <lbn="p2c_613.024"/>
zu reden, <hirendition="#aq">aequam mentem in rebus arduis</hi>. ─<lbn="p2c_613.025"/>
Dies ist die höchste moralische Maxime der Epopöe. Keine <lbn="p2c_613.026"/>
andere, so viel auch Le Bossu dafür sagen mag, liegt nicht zu
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[613/0137]
p2c_613.001
ist, so geziemt sich für ihn ein lichter, gleichmäßiger p2c_613.002
einfacher schöner Styl, ohne lyrische Spannung. p2c_613.003
Er muß eine gewisse Hoheit und Selbstständigkeit, p2c_613.004
Ruhe beobachten, die des Jnnhalts p2c_613.005
würdig sey. Er muß natürlich erzählen, damit der p2c_613.006
Geist nicht durch unnütze Figuren bey der Größe des p2c_613.007
Werks ermüdet werde. Man kann also dem Styl p2c_613.008
der Erzählung den Charakter des Edlen beylegen. p2c_613.009
Das Metrum muß der Sprache die größte Ausdehnung p2c_613.010
zulassen, in seinem Gange stark, feyerlich, ruhig p2c_613.011
seyn.
p2c_613.012
Anmerk. Homer ist hier völlig Jdeal. Wenn er p2c_613.013
auch die Größe seiner Gegenstände als unerfaßlich angiebt, p2c_613.014
ganz unterliegt er nicht. Sein Geist behält eine lichte nüchterne p2c_613.015
Vorstellkraft, die ohne allen lyrischen Schwung ist. p2c_613.016
Wenn er auch noch so rührende Szenen schildert, er selbst p2c_613.017
nimmt nicht Theil. Er schwebt, wie ein anschauender Gott p2c_613.018
über dem Ganzen. Wie ruhig ist die Wiederholung Il XXII. p2c_613.019
vs. 78─91. ουδ' ἐκτορι θυμον ἐπειθον. ─ Die Personen p2c_613.020
reden mit der heftigsten Leidenschaft, wiewohl auch p2c_613.021
immer im einfachen Styl. Er selbst der Erzähler bleibt p2c_613.022
zwar nicht gefühllos, das zeigen seine Epitheten φιλον ὑιον, p2c_613.023
δειλοι βροτοι. Aber im ganzen zeigt er, um mit dem Horaz p2c_613.024
zu reden, aequam mentem in rebus arduis. ─ p2c_613.025
Dies ist die höchste moralische Maxime der Epopöe. Keine p2c_613.026
andere, so viel auch Le Bossu dafür sagen mag, liegt nicht zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/137>, abgerufen am 25.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.