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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

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. Allein Ossians Gesänge gehören auch mehr unter p2c_610.002
die Gattung des romantischen Gedichts, als daß p2c_610.003
sie eigentliche Epopöen seyn sollten. Glovers Leonidas ist p2c_610.004
auch ohne das Wunderbare, aber es ist auch keine eigentliche p2c_610.005
Epopöe. Uebrigens muß selbst das Wunderbare p2c_610.006
eine Art physische und psychologische Wahrscheinlichkeit p2c_610.007
haben, damit es dem Menschen begreiflich p2c_610.008
werde, die wunderbaren Kräfte müssen menschlich handeln. p2c_610.009
Es muß mehr Bewunderung als Verwunderung p2c_610.010
erregen, also zweckmäßig seyn.

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§. 2.

p2c_610.012
Der im vorhergehenden angegebene objektive p2c_610.013
Stoff der Epopöe bestimmt nun auch den ästhetischen p2c_610.014
Jnnhalt
derselben. Die Hauptempfindung, p2c_610.015
welche in ihr herrschen muß, ist das Große. p2c_610.016
Nach ihr modifiziren sich die übrigen.

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Anmerk. Das Heldengedicht muß mit dem Großen p2c_610.018
beginnen und mit dem Großen enden, in beyden Fällen einfach p2c_610.019
seyn, der Stoff selbst ist hinlänglich, diese Empfindung p2c_610.020
zu wecken. So schließt Homer mit dem Grabe des Hektors. p2c_610.021
Os oi g' amphiepon taphon ektoros ippodamoio. Es ist p2c_610.022
als wenn man am Grabe einer Welt stünde. Die Hauptempfindung p2c_610.023
ist also nicht tragisch, wie Marmontel glaubt, p2c_610.024
nicht stark, nicht heftig, sondern Bewunderung der p2c_610.025
Größe des Schicksals. - Man sieht Glanz, Herrlichkeit,

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§. 2.

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Der im vorhergehenden angegebene objektive p2c_610.013
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seyn, der Stoff selbst ist hinlänglich, diese Empfindung p2c_610.020
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Ως ὁι γ' αμφιεπον ταφον ἑκτορος ἰπποδαμοιο. Es ist p2c_610.022
als wenn man am Grabe einer Welt stünde. Die Hauptempfindung p2c_610.023
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 610. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/134>, abgerufen am 02.05.2024.