Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_586.001 p2c_586.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0110" n="586"/><lb n="p2c_586.001"/><hi rendition="#g">Reim,</hi> wie wir bewiesen haben, so viel zur Bezeichnung <lb n="p2c_586.002"/> der <hi rendition="#g">rhythmischen</hi> Glieder des Perioden thut, so ist er <lb n="p2c_586.003"/> bey dem <hi rendition="#g">Rezitativ</hi> nicht so unnöthig, als einige Theoretiker <lb n="p2c_586.004"/> meynen. Ein <hi rendition="#g">Reim,</hi> wo die rhythmische Reihe <lb n="p2c_586.005"/> <hi rendition="#g">endet,</hi> (dahin muß er kommen) thut allemal eine sehr gute <lb n="p2c_586.006"/> Wirkung. Daß der Dichter und Musiker richtig declamiren, <lb n="p2c_586.007"/> die Accente, die guten und schlechten Noten beobachten, <lb n="p2c_586.008"/> daß die Worte von vorzüglichem Wohlklang seyn müssen, <lb n="p2c_586.009"/> versteht sich von selbst. Die <hi rendition="#g">Arie</hi> erfordert ein gleichmäßigeres, <lb n="p2c_586.010"/> strophisches Metrum. Sie besteht gewöhnlich <lb n="p2c_586.011"/> aus zwey Hälften mit correspondirenden Reimen, deren <lb n="p2c_586.012"/> erste die Caprice der Musiker mehr heraushebt, und am <lb n="p2c_586.013"/> Ende noch einmal wiederholt. Die Wiederholungen müssen <lb n="p2c_586.014"/> nicht blos musikalische Figuren, sondern auch dichterisch <lb n="p2c_586.015"/> nothwendig seyn. Für die Arie muß von dem Dichter ein <lb n="p2c_586.016"/> vorzüglich gefühlvoller Stoff gewählt werden. Wunderbar <lb n="p2c_586.017"/> klingen die Verse von Rousseau in seiner Kantate <hi rendition="#aq">contre <lb n="p2c_586.018"/> l'hiver</hi> in einer Arie: <hi rendition="#aq">tandis, qu'assis à table dans un <lb n="p2c_586.019"/> réduit aimable sans soins et sans amour près d'un ami <lb n="p2c_586.020"/> fidele de la saison nouvelle s'attendrai le retour</hi>. Jn <lb n="p2c_586.021"/> den Oratorien, wo mehrere Stimmen statt finden, giebt <lb n="p2c_586.022"/> es Duette, Terzette, Chöre, Chorale u. s. w. ─ Die <lb n="p2c_586.023"/> eigentlichen Kantaten sind gewöhnlich Monologen, die bey <lb n="p2c_586.024"/> den Engländern bey Pope und Dryden die Form der Oden <lb n="p2c_586.025"/> haben, bey den Jtalienern und Franzosen oft mehr elegisch <lb n="p2c_586.026"/> sind.</p> <lb n="p2c_586.027"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> <div n="2"> </div> </div> </body> </text> </TEI> [586/0110]
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Reim, wie wir bewiesen haben, so viel zur Bezeichnung p2c_586.002
der rhythmischen Glieder des Perioden thut, so ist er p2c_586.003
bey dem Rezitativ nicht so unnöthig, als einige Theoretiker p2c_586.004
meynen. Ein Reim, wo die rhythmische Reihe p2c_586.005
endet, (dahin muß er kommen) thut allemal eine sehr gute p2c_586.006
Wirkung. Daß der Dichter und Musiker richtig declamiren, p2c_586.007
die Accente, die guten und schlechten Noten beobachten, p2c_586.008
daß die Worte von vorzüglichem Wohlklang seyn müssen, p2c_586.009
versteht sich von selbst. Die Arie erfordert ein gleichmäßigeres, p2c_586.010
strophisches Metrum. Sie besteht gewöhnlich p2c_586.011
aus zwey Hälften mit correspondirenden Reimen, deren p2c_586.012
erste die Caprice der Musiker mehr heraushebt, und am p2c_586.013
Ende noch einmal wiederholt. Die Wiederholungen müssen p2c_586.014
nicht blos musikalische Figuren, sondern auch dichterisch p2c_586.015
nothwendig seyn. Für die Arie muß von dem Dichter ein p2c_586.016
vorzüglich gefühlvoller Stoff gewählt werden. Wunderbar p2c_586.017
klingen die Verse von Rousseau in seiner Kantate contre p2c_586.018
l'hiver in einer Arie: tandis, qu'assis à table dans un p2c_586.019
réduit aimable sans soins et sans amour près d'un ami p2c_586.020
fidele de la saison nouvelle s'attendrai le retour. Jn p2c_586.021
den Oratorien, wo mehrere Stimmen statt finden, giebt p2c_586.022
es Duette, Terzette, Chöre, Chorale u. s. w. ─ Die p2c_586.023
eigentlichen Kantaten sind gewöhnlich Monologen, die bey p2c_586.024
den Engländern bey Pope und Dryden die Form der Oden p2c_586.025
haben, bey den Jtalienern und Franzosen oft mehr elegisch p2c_586.026
sind.
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