Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_583.001 p2c_583.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0107" n="583"/><lb n="p2c_583.001"/> die ewigen Wiederholungen und Ausdehnungen der Worte, <lb n="p2c_583.002"/> die Vernachlässigung der Recitative, die Ungleichheit in der <lb n="p2c_583.003"/> Melodie, die musikalische Mahlerey in Nebendingen, die <lb n="p2c_583.004"/> Manieren, Kadenzen, der Lärm der Jnstrumente, welche <lb n="p2c_583.005"/> den Gesang unverständlich und unwichtig machen. Noch <lb n="p2c_583.006"/> jetzt dauert in den Kantaten, wie in den Opern, diese Despotie <lb n="p2c_583.007"/> der Musik fort, und wird nicht eher aufhören, bis <lb n="p2c_583.008"/> große Dichter und große Musiker zusammen arbeiten und <lb n="p2c_583.009"/> sich wechselseitig beschränken, damit ein höheres Ziel der <lb n="p2c_583.010"/> Kunst erreicht werde. Freylich müßte da die Musik von <lb n="p2c_583.011"/> ihrem glänzenden Reichthum an übertäubenden Tönen etwas <lb n="p2c_583.012"/> nachlassen. Auch nehmen sich einzelne Kantaten, wie <lb n="p2c_583.013"/> z. B. Haydns Ariadne, nur für das Fortepiano, sehr gut aus. <lb n="p2c_583.014"/> Die Poesie würde gewiß durch diese vereinigten nicht isolirten <lb n="p2c_583.015"/> Arbeiten an Neuheit und Wärme und Metrum gewinnen. <lb n="p2c_583.016"/> Wie wenig gute Kantaten haben wir, wenn man einige von <lb n="p2c_583.017"/> Metastasio, Rousseau, Ramler, Meißner ausnimmt. <lb n="p2c_583.018"/> Die Musiker scheinen selbst die guten Texte zur Composition <lb n="p2c_583.019"/> zu fliehn, weil sie ihnen zu viele Schranken setzen. ─ <lb n="p2c_583.020"/> Das <hi rendition="#g">musikalische</hi> Gedicht kann sich zweytens auch deswegen <lb n="p2c_583.021"/> noch nicht vervollkommnen, weil man noch in der Meinung <lb n="p2c_583.022"/> steht, es müsse für sich <hi rendition="#g">ohne Musik</hi> bestehen, <lb n="p2c_583.023"/> und beurtheilt werden. Dies beschränkt die Freyheit der <lb n="p2c_583.024"/> Dichter, und macht, daß sie sich nicht so an die Musik anschmiegen <lb n="p2c_583.025"/> können, wie es seyn müßte. Ein eigentlich <hi rendition="#g">musikalisches</hi> <lb n="p2c_583.026"/> Gedicht muß aus ganz kurzen und langen <lb n="p2c_583.027"/> Versen und Reimen bestehn können, muß aussehn dürfen, <lb n="p2c_583.028"/> wie kein andres das für sich zu beurtheilen wäre. Die <hi rendition="#g">ma= </hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [583/0107]
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die ewigen Wiederholungen und Ausdehnungen der Worte, p2c_583.002
die Vernachlässigung der Recitative, die Ungleichheit in der p2c_583.003
Melodie, die musikalische Mahlerey in Nebendingen, die p2c_583.004
Manieren, Kadenzen, der Lärm der Jnstrumente, welche p2c_583.005
den Gesang unverständlich und unwichtig machen. Noch p2c_583.006
jetzt dauert in den Kantaten, wie in den Opern, diese Despotie p2c_583.007
der Musik fort, und wird nicht eher aufhören, bis p2c_583.008
große Dichter und große Musiker zusammen arbeiten und p2c_583.009
sich wechselseitig beschränken, damit ein höheres Ziel der p2c_583.010
Kunst erreicht werde. Freylich müßte da die Musik von p2c_583.011
ihrem glänzenden Reichthum an übertäubenden Tönen etwas p2c_583.012
nachlassen. Auch nehmen sich einzelne Kantaten, wie p2c_583.013
z. B. Haydns Ariadne, nur für das Fortepiano, sehr gut aus. p2c_583.014
Die Poesie würde gewiß durch diese vereinigten nicht isolirten p2c_583.015
Arbeiten an Neuheit und Wärme und Metrum gewinnen. p2c_583.016
Wie wenig gute Kantaten haben wir, wenn man einige von p2c_583.017
Metastasio, Rousseau, Ramler, Meißner ausnimmt. p2c_583.018
Die Musiker scheinen selbst die guten Texte zur Composition p2c_583.019
zu fliehn, weil sie ihnen zu viele Schranken setzen. ─ p2c_583.020
Das musikalische Gedicht kann sich zweytens auch deswegen p2c_583.021
noch nicht vervollkommnen, weil man noch in der Meinung p2c_583.022
steht, es müsse für sich ohne Musik bestehen, p2c_583.023
und beurtheilt werden. Dies beschränkt die Freyheit der p2c_583.024
Dichter, und macht, daß sie sich nicht so an die Musik anschmiegen p2c_583.025
können, wie es seyn müßte. Ein eigentlich musikalisches p2c_583.026
Gedicht muß aus ganz kurzen und langen p2c_583.027
Versen und Reimen bestehn können, muß aussehn dürfen, p2c_583.028
wie kein andres das für sich zu beurtheilen wäre. Die ma=
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