p1c_011.001 Sinnesart durchaus verderbt ist, nur zu den Zeiten und in p1c_011.002 den Augen eines Boileau erscheint die Poesie als eine von p1c_011.003 der Wahrheit getrennte müssige Lüge, und der Dichter, als p1c_011.004 ein geringes Wesen, welches Allotria treibt. Je mehr aber p1c_011.005 unsre Aufklärer, Wissenschaftler und Philosophen einsehen p1c_011.006 lernen, daß die göttliche Wahrheit nicht erklügelt werden p1c_011.007 kann, sondern durch Erleuchtung in die Gemüther der p1c_011.008 Menschen kommt, desto heiliger wird das Amt der Poesie. p1c_011.009 Wir, die wir uns der göttlichen Offenbarung rühmen, sollten p1c_011.010 es am leichtesten einsehen, daß sich Gott keiner wissenschaftlichen p1c_011.011 Demonstrationen, keines Systems oder Geistesgeripps p1c_011.012 von abstrakten Begriffen, sondern einer geheiligteren p1c_011.013 Poesie bedient habe, uns zu unterrichten. Nur der Profanen p1c_011.014 Auge ist es verborgen, daß unsre heiligen Bücher von p1c_011.015 Männern geschrieben wurden, welche der Geist Gottes trieb, p1c_011.016 daß nicht nur das alte Testament, sondern auch das p1c_011.017 Evangelium die höchste Poesie sey, zu deren Bewunderung p1c_011.018 sich das menschliche Gemüth erheben könne. Nur den p1c_011.019 Aufklärern, welche das Christenthum in eine mattherzige p1c_011.020 glaubenlose Kompendienmoral verwandelt haben, müssen p1c_011.021 wir es danken, wenn unsre schönen Geister darinnen keine p1c_011.022 Erhebung für die Phantasie, keine Poesie erblicken. Poesie p1c_011.023 kann also wohl unter den Heiden als eine Erdichtungskunst p1c_011.024 erscheinen, wenn man beym Herodot liest, Homer und Hesiodus p1c_011.025 hätten den Griechen ihre Götter gemacht (poiesantes, p1c_011.026 nach Wolf Prolegom. LIV., nicht nach Wessel, p1c_011.027 daher auch der griechische Ausdruck Poet, ein Jdeenschöpfer). p1c_011.028 Wir aber sollten in der höhern Poesie die Jdee der
p1c_011.001 Sinnesart durchaus verderbt ist, nur zu den Zeiten und in p1c_011.002 den Augen eines Boileau erscheint die Poesie als eine von p1c_011.003 der Wahrheit getrennte müssige Lüge, und der Dichter, als p1c_011.004 ein geringes Wesen, welches Allotria treibt. Je mehr aber p1c_011.005 unsre Aufklärer, Wissenschaftler und Philosophen einsehen p1c_011.006 lernen, daß die göttliche Wahrheit nicht erklügelt werden p1c_011.007 kann, sondern durch Erleuchtung in die Gemüther der p1c_011.008 Menschen kommt, desto heiliger wird das Amt der Poesie. p1c_011.009 Wir, die wir uns der göttlichen Offenbarung rühmen, sollten p1c_011.010 es am leichtesten einsehen, daß sich Gott keiner wissenschaftlichen p1c_011.011 Demonstrationen, keines Systems oder Geistesgeripps p1c_011.012 von abstrakten Begriffen, sondern einer geheiligteren p1c_011.013 Poesie bedient habe, uns zu unterrichten. Nur der Profanen p1c_011.014 Auge ist es verborgen, daß unsre heiligen Bücher von p1c_011.015 Männern geschrieben wurden, welche der Geist Gottes trieb, p1c_011.016 daß nicht nur das alte Testament, sondern auch das p1c_011.017 Evangelium die höchste Poesie sey, zu deren Bewunderung p1c_011.018 sich das menschliche Gemüth erheben könne. Nur den p1c_011.019 Aufklärern, welche das Christenthum in eine mattherzige p1c_011.020 glaubenlose Kompendienmoral verwandelt haben, müssen p1c_011.021 wir es danken, wenn unsre schönen Geister darinnen keine p1c_011.022 Erhebung für die Phantasie, keine Poesie erblicken. Poesie p1c_011.023 kann also wohl unter den Heiden als eine Erdichtungskunst p1c_011.024 erscheinen, wenn man beym Herodot liest, Homer und Hesiodus p1c_011.025 hätten den Griechen ihre Götter gemacht (ποιησαντες, p1c_011.026 nach Wolf Prolegom. LIV., nicht nach Wessel, p1c_011.027 daher auch der griechische Ausdruck Poet, ein Jdeenschöpfer). p1c_011.028 Wir aber sollten in der höhern Poesie die Jdee der
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/69>, abgerufen am 27.11.2024.
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