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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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freyen Kunst verwandten Kunst, nämlich der Mimik. p1c_433.003
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und Cicero verlangen mit vollkommnem p1c_433.004
Recht zu einem Redner die Aktion. Denn der Redner muß p1c_433.005
aus politischen Gründen durch seine Person selbst gefallen p1c_433.006
und Eindruck machen. Wie er sich des poetischen Gewandes p1c_433.007
bedient, um seiner Rede Eingang zu verschaffen, eben p1c_433.008
so benutzt er in einem gewissen Grade die Regeln der Schauspielkunst. p1c_433.009
Cicero beginnt seine Rede pro Milone mit einer p1c_433.010
pathetischen Beschreibung des Schauplatzes, wo er auftrat, p1c_433.011
der Krieger, welche den Gerichtshof umgaben, des Volkes, p1c_433.012
welches erwartungsvoll von allen Seiten den Gerichtsverhandlungen p1c_433.013
zusah. ethos und pathos wechseln also in p1c_433.014
den Bewegungen beym Redner ab, wie beym Schauspieler. p1c_433.015
Die poetische Deklamation hat es blos mit der Stimme p1c_433.016
zu thun. Man möchte einwenden, der Deklamator p1c_433.017
sey eigentlich auch ein Schauspieler, er vertrete die p1c_433.018
Stelle des Dichters. Es ist nicht zu läugnen, daß bey den p1c_433.019
Griechen dies gewissermaßen der Fall war. Athenäus p1c_433.020
berichtet uns, Demetrius Phalereus habe die Rhapsoden, p1c_433.021
oder Deklamatoren aufs Theater eingeführt. Aus dem p1c_433.022
Jon des Plato lernen wir, die Rhapsoden hätten ihren Körper p1c_433.023
besonders schmücken müssen, um schön zu sehn, sie hätten p1c_433.024
bey den Opfern und Festen herrliche Kleider und goldene p1c_433.025
Kronen getragen. Einige leiten sogar das Wort Rhapsode p1c_433.026
von dem rabdos daphnes, oder dem Lorbeerzweig her, den p1c_433.027
die Deklamatoren in der Hand trugen, gerade, wie ihn die p1c_433.028
Dichter nach dem Pausanias und Callimachus beym Singen

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/491>, abgerufen am 26.06.2024.