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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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heißt die Deklamation, oder der poetische Vortrag. p1c_432.002
Ein jedes Gedicht muß, wenn es seine volle Wirkung p1c_432.003
thun soll, deklamirt werden. Da auch ein Anderer p1c_432.004
als der Dichter das Gedicht deklamiren kann, so ist p1c_432.005
die Deklamation als eine besondere, der freyen Kunst p1c_432.006
dienende Kunst anzusehen, welche zwar kein Genie p1c_432.007
im eigentlichen Sinne des Worts, aber ein besonderes p1c_432.008
Talent erfordert. Der Deklamator verhält sich also p1c_432.009
zum Dichter, wie der Sänger zum Componisten. Die p1c_432.010
Theorie einer guten poetischen Deklamation ist reichhaltig p1c_432.011
genug, um als ein besonderer Zweig der Poetik p1c_432.012
für sich ausgeführt zu werden. Die Poetik giebt p1c_432.013
durch ihre Untersuchungen über das Musikalische der p1c_432.014
Sprache zu jener Theorie die höchsten Grundsätze.

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Anmerk. 1. Man muß Deklamation und p1c_432.016
Aktion von einander genau unterscheiden. Gedichte p1c_432.017
müssen eigentlich, Schauspiele ausgenommen, blos deklamirt, p1c_432.018
nicht agirt werden. Die Person des Deklamators, p1c_432.019
selbst wenn er Schauspiele liest, darf schlechterdings p1c_432.020
die Aufmerksamkeit der Zuhörer nicht auf sich ziehen. Er p1c_432.021
darf nicht gestikuliren, und muß auf seinen Körper nur p1c_432.022
in so fern Rücksicht nehmen, daß er, wie der Conzertsänger, p1c_432.023
das prepon nicht verletze. Die poetische Deklamation p1c_432.024
ist also nicht mit der Schauspielkunst und dem rednerischen p1c_432.025
Vortrag zu vermengen. Redner und Schauspieler

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heißt die Deklamation, oder der poetische Vortrag. p1c_432.002
Ein jedes Gedicht muß, wenn es seine volle Wirkung p1c_432.003
thun soll, deklamirt werden. Da auch ein Anderer p1c_432.004
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für sich ausgeführt zu werden. Die Poetik giebt p1c_432.013
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in so fern Rücksicht nehmen, daß er, wie der Conzertsänger, p1c_432.023
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[432/0490] p1c_432.001 heißt die Deklamation, oder der poetische Vortrag. p1c_432.002 Ein jedes Gedicht muß, wenn es seine volle Wirkung p1c_432.003 thun soll, deklamirt werden. Da auch ein Anderer p1c_432.004 als der Dichter das Gedicht deklamiren kann, so ist p1c_432.005 die Deklamation als eine besondere, der freyen Kunst p1c_432.006 dienende Kunst anzusehen, welche zwar kein Genie p1c_432.007 im eigentlichen Sinne des Worts, aber ein besonderes p1c_432.008 Talent erfordert. Der Deklamator verhält sich also p1c_432.009 zum Dichter, wie der Sänger zum Componisten. Die p1c_432.010 Theorie einer guten poetischen Deklamation ist reichhaltig p1c_432.011 genug, um als ein besonderer Zweig der Poetik p1c_432.012 für sich ausgeführt zu werden. Die Poetik giebt p1c_432.013 durch ihre Untersuchungen über das Musikalische der p1c_432.014 Sprache zu jener Theorie die höchsten Grundsätze. p1c_432.015 Anmerk. 1. Man muß Deklamation und p1c_432.016 Aktion von einander genau unterscheiden. Gedichte p1c_432.017 müssen eigentlich, Schauspiele ausgenommen, blos deklamirt, p1c_432.018 nicht agirt werden. Die Person des Deklamators, p1c_432.019 selbst wenn er Schauspiele liest, darf schlechterdings p1c_432.020 die Aufmerksamkeit der Zuhörer nicht auf sich ziehen. Er p1c_432.021 darf nicht gestikuliren, und muß auf seinen Körper nur p1c_432.022 in so fern Rücksicht nehmen, daß er, wie der Conzertsänger, p1c_432.023 das πρεπον nicht verletze. Die poetische Deklamation p1c_432.024 ist also nicht mit der Schauspielkunst und dem rednerischen p1c_432.025 Vortrag zu vermengen. Redner und Schauspieler

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/490>, abgerufen am 18.06.2024.