Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_397.001
Diesen Vers kann der Rhythmus, seinem Gesetze nach, p1c_397.002
nicht als eine Reihe betrachten, weil kein proportionirliches p1c_397.003
Steigen statt findet. Denn der Trochäus steht zwischen p1c_397.004
zwey Päonen. Nothwendig wird also eine Cäsur zu machen p1c_397.005
seyn nach dem Trochäus, und Klopstock hat sie auch in der p1c_397.006
Ode beobachtet, hat eben deswegen die letzte Sylbe im Trochäen p1c_397.007
als anceps angenommen, wenn er gleich das Zeichen p1c_397.008
der Cäsur nicht gesetzt hat. Einige Kunstrichter haben sich p1c_397.009
an das Metrum der Ode: Siona, gestoßen: "Töne mir p1c_397.010
Harfe des Palmenhayns, der Lieder Gespielin die David p1c_397.011
sang. Es erhebt steigender sich Sions Lied, wie des p1c_397.012
Quells, welcher des Hufs Stampfen entscholl." Allerdings p1c_397.013
giebt die Zusammenstellung des Anapästen und Choriamben: p1c_397.014
es erhebnt steigender sich u. s. w. dem Verse durch p1c_397.015
den doppelten Jctus zu viel Kraft und trennt die Zeittheile p1c_397.016
zu gewaltsam. Das vorhergehende Metrum hat uns an p1c_397.017
einen ruhigern daktylischen Gang gewöhnt, der Sprung zu p1c_397.018
den Choriamben und der dazwischen geworfne Anapäst ist zu p1c_397.019
gewaltsam und wider die proportionirliche Evolution des p1c_397.020
Rhythmus. - Nun kann zwar ein lyrischer Kontrast p1c_397.021
der Füße zuweilen Wirkung thun. Auch die alten Grammatiker p1c_397.022
haben metra kat' antipatheian mikta. Jndessen p1c_397.023
zeigt Hermann, daß die Antipathie nach richtiger Eintheilung p1c_397.024
verschwindet. Uebrigens kann man oft ungerecht werden, p1c_397.025
wenn man sich dieses Gesetz des Rhythmus zu einseitig

p1c_397.001
Diesen Vers kann der Rhythmus, seinem Gesetze nach, p1c_397.002
nicht als eine Reihe betrachten, weil kein proportionirliches p1c_397.003
Steigen statt findet. Denn der Trochäus steht zwischen p1c_397.004
zwey Päonen. Nothwendig wird also eine Cäsur zu machen p1c_397.005
seyn nach dem Trochäus, und Klopstock hat sie auch in der p1c_397.006
Ode beobachtet, hat eben deswegen die letzte Sylbe im Trochäen p1c_397.007
als anceps angenommen, wenn er gleich das Zeichen p1c_397.008
der Cäsur nicht gesetzt hat. Einige Kunstrichter haben sich p1c_397.009
an das Metrum der Ode: Siona, gestoßen: „Töné mir p1c_397.010
Harfe des Palmenhayns, der Líeder Gespielin die David p1c_397.011
sang. Es erhébt steígender sich Sions Lied, wie des p1c_397.012
Quells, welcher des Hufs Stampfen entscholl.“ Allerdings p1c_397.013
giebt die Zusammenstellung des Anapästen und Choriamben: p1c_397.014
ĕs er̆heb̄t stēigen̆der̆ sīch u. s. w. dem Verse durch p1c_397.015
den doppelten Jctus zu viel Kraft und trennt die Zeittheile p1c_397.016
zu gewaltsam. Das vorhergehende Metrum hat uns an p1c_397.017
einen ruhigern daktylischen Gang gewöhnt, der Sprung zu p1c_397.018
den Choriamben und der dazwischen geworfne Anapäst ist zu p1c_397.019
gewaltsam und wider die proportionirliche Evolution des p1c_397.020
Rhythmus. ─ Nun kann zwar ein lyrischer Kontrast p1c_397.021
der Füße zuweilen Wirkung thun. Auch die alten Grammatiker p1c_397.022
haben metra κατ' ἀντιπαθειαν μικτα. Jndessen p1c_397.023
zeigt Hermann, daß die Antipathie nach richtiger Eintheilung p1c_397.024
verschwindet. Uebrigens kann man oft ungerecht werden, p1c_397.025
wenn man sich dieses Gesetz des Rhythmus zu einseitig

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0455" n="397"/><lb n="p1c_397.001"/>
Diesen Vers kann der <hi rendition="#g">Rhythmus,</hi> seinem Gesetze nach, <lb n="p1c_397.002"/>
nicht als eine Reihe betrachten, weil kein proportionirliches <lb n="p1c_397.003"/>
Steigen statt findet. Denn der Trochäus steht zwischen <lb n="p1c_397.004"/>
zwey Päonen. Nothwendig wird also eine Cäsur zu machen <lb n="p1c_397.005"/>
seyn nach dem Trochäus, und Klopstock hat sie auch in der <lb n="p1c_397.006"/>
Ode beobachtet, hat eben deswegen die letzte Sylbe im Trochäen <lb n="p1c_397.007"/>
als <hi rendition="#aq">anceps</hi> angenommen, wenn er gleich das Zeichen <lb n="p1c_397.008"/>
der Cäsur nicht gesetzt hat. Einige Kunstrichter haben sich <lb n="p1c_397.009"/>
an das Metrum der Ode: <hi rendition="#g">Siona,</hi> gestoßen: &#x201E;Töné mir <lb n="p1c_397.010"/>
Harfe des Palmenhayns, der Líeder Gespielin die David <lb n="p1c_397.011"/> <hi rendition="#g">sang. Es erhébt</hi> steígender sich Sions Lied, wie des <lb n="p1c_397.012"/>
Quells, welcher des Hufs Stampfen entscholl.&#x201C; Allerdings <lb n="p1c_397.013"/>
giebt die Zusammenstellung des Anapästen und Choriamben: <lb n="p1c_397.014"/>
&#x0115;s er&#x0306;heb&#x0304;t st&#x0113;igen&#x0306;der&#x0306; s&#x012B;ch u. s. w. dem Verse durch <lb n="p1c_397.015"/>
den doppelten Jctus zu viel Kraft und trennt die Zeittheile <lb n="p1c_397.016"/>
zu gewaltsam. Das vorhergehende Metrum hat uns an <lb n="p1c_397.017"/>
einen ruhigern daktylischen Gang gewöhnt, der Sprung zu <lb n="p1c_397.018"/>
den Choriamben und der dazwischen geworfne Anapäst ist zu <lb n="p1c_397.019"/>
gewaltsam und wider die proportionirliche Evolution des <lb n="p1c_397.020"/>
Rhythmus. &#x2500; Nun kann zwar ein lyrischer <hi rendition="#g">Kontrast</hi> <lb n="p1c_397.021"/>
der Füße zuweilen Wirkung thun. Auch die alten Grammatiker <lb n="p1c_397.022"/>
haben <hi rendition="#aq">metra <foreign xml:lang="grc">&#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;' &#x1F00;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B9;&#x03C0;&#x03B1;&#x03B8;&#x03B5;&#x03B9;&#x03B1;&#x03BD; &#x03BC;&#x03B9;&#x03BA;&#x03C4;&#x03B1;</foreign></hi>. Jndessen <lb n="p1c_397.023"/>
zeigt Hermann, daß die Antipathie nach richtiger Eintheilung <lb n="p1c_397.024"/>
verschwindet. Uebrigens kann man oft ungerecht werden,     <lb n="p1c_397.025"/>
wenn man sich dieses Gesetz des Rhythmus zu einseitig
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0455] p1c_397.001 Diesen Vers kann der Rhythmus, seinem Gesetze nach, p1c_397.002 nicht als eine Reihe betrachten, weil kein proportionirliches p1c_397.003 Steigen statt findet. Denn der Trochäus steht zwischen p1c_397.004 zwey Päonen. Nothwendig wird also eine Cäsur zu machen p1c_397.005 seyn nach dem Trochäus, und Klopstock hat sie auch in der p1c_397.006 Ode beobachtet, hat eben deswegen die letzte Sylbe im Trochäen p1c_397.007 als anceps angenommen, wenn er gleich das Zeichen p1c_397.008 der Cäsur nicht gesetzt hat. Einige Kunstrichter haben sich p1c_397.009 an das Metrum der Ode: Siona, gestoßen: „Töné mir p1c_397.010 Harfe des Palmenhayns, der Líeder Gespielin die David p1c_397.011 sang. Es erhébt steígender sich Sions Lied, wie des p1c_397.012 Quells, welcher des Hufs Stampfen entscholl.“ Allerdings p1c_397.013 giebt die Zusammenstellung des Anapästen und Choriamben: p1c_397.014 ĕs er̆heb̄t stēigen̆der̆ sīch u. s. w. dem Verse durch p1c_397.015 den doppelten Jctus zu viel Kraft und trennt die Zeittheile p1c_397.016 zu gewaltsam. Das vorhergehende Metrum hat uns an p1c_397.017 einen ruhigern daktylischen Gang gewöhnt, der Sprung zu p1c_397.018 den Choriamben und der dazwischen geworfne Anapäst ist zu p1c_397.019 gewaltsam und wider die proportionirliche Evolution des p1c_397.020 Rhythmus. ─ Nun kann zwar ein lyrischer Kontrast p1c_397.021 der Füße zuweilen Wirkung thun. Auch die alten Grammatiker p1c_397.022 haben metra κατ' ἀντιπαθειαν μικτα. Jndessen p1c_397.023 zeigt Hermann, daß die Antipathie nach richtiger Eintheilung p1c_397.024 verschwindet. Uebrigens kann man oft ungerecht werden, p1c_397.025 wenn man sich dieses Gesetz des Rhythmus zu einseitig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/455
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/455>, abgerufen am 27.07.2024.