p1c_388.001 längere folgen, so sey der Daktylus unrein, z. B. liebender p1c_388.002 ist besser als: offenbar. Letzterer nähert sich schon p1c_388.003 dem Creticus. Die Bemerkung ist sehr wahr, denn der p1c_388.004 Jctus macht die erste Sylbe: liebender, so lang, daß die p1c_388.005 zweyte, wenn gleich etwas länger als die dritte, dennoch in p1c_388.006 Vergleichung mit der ersten kurz erscheint. Bey offenbarp1c_388.007 aber wird die dritte Sylbe, in Vergleichung mit der zweyten p1c_388.008 kürzern, lang erscheinen müssen. Sollte nicht aber diese p1c_388.009 Bemerkung eben so gut für die griechische Sprache passen? p1c_388.010 Sind denn alle Daktylen im Homer gleich rein? t~e p1c_388.011 K~ai - proparonith~e p~odon war vielleicht kein so reiner p1c_388.012 Daktylus, als otruneon, und eben aus dem oben angeführten p1c_388.013 Grunde. - Aus diesem allen folgt, daß die Annahme p1c_388.014 einer Kürze, als Grundmaaß der Sylben, in p1c_388.015 jeder Sprache ziemlich willkührlich ist, und daß keine einzige p1c_388.016 Sprache eine durchaus bestimmte Prosodie besitzt. p1c_388.017 Die neuern Sprachen scheinen anfangs so muthlos gewesen p1c_388.018 zu seyn, daß sie gar keine Quantität berücksichtigten, sondern p1c_388.019 blos die Sylben zählten. Man nahm jede Sylbep1c_388.020 als einen gleichen Zeittheil an, und glaubte, Verse müßten p1c_388.021 sich correspondiren, wenn sie auf diese Weise gleiche p1c_388.022 Zeitlängen erhalten hätten. Es war damit, wie vielleicht p1c_388.023 in der ältesten griechischen Poesie. Quinctilian sagt, wie p1c_388.024 es sich denn auch denken läßt, man habe die pedes und den p1c_388.025 Grund des Wohllauts, der aus der Quantität entsteht, erst
p1c_388.001 längere folgen, so sey der Daktylus unrein, z. B. līebēn̆dĕr p1c_388.002 ist besser als: ōffĕnbār. Letzterer nähert sich schon p1c_388.003 dem Creticus. Die Bemerkung ist sehr wahr, denn der p1c_388.004 Jctus macht die erste Sylbe: líebender, so lang, daß die p1c_388.005 zweyte, wenn gleich etwas länger als die dritte, dennoch in p1c_388.006 Vergleichung mit der ersten kurz erscheint. Bey óffenbārp1c_388.007 aber wird die dritte Sylbe, in Vergleichung mit der zweyten p1c_388.008 kürzern, lang erscheinen müssen. Sollte nicht aber diese p1c_388.009 Bemerkung eben so gut für die griechische Sprache passen? p1c_388.010 Sind denn alle Daktylen im Homer gleich rein? τ~̆ε p1c_388.011 Κ~̆αι ─ προπαρο̄ιθ~̆ε π~̆οδων war vielleicht kein so reiner p1c_388.012 Daktylus, als ὀτρυνεων, und eben aus dem oben angeführten p1c_388.013 Grunde. ─ Aus diesem allen folgt, daß die Annahme p1c_388.014 einer Kürze, als Grundmaaß der Sylben, in p1c_388.015 jeder Sprache ziemlich willkührlich ist, und daß keine einzige p1c_388.016 Sprache eine durchaus bestimmte Prosodie besitzt. p1c_388.017 Die neuern Sprachen scheinen anfangs so muthlos gewesen p1c_388.018 zu seyn, daß sie gar keine Quantität berücksichtigten, sondern p1c_388.019 blos die Sylben zählten. Man nahm jede Sylbep1c_388.020 als einen gleichen Zeittheil an, und glaubte, Verse müßten p1c_388.021 sich correspondiren, wenn sie auf diese Weise gleiche p1c_388.022 Zeitlängen erhalten hätten. Es war damit, wie vielleicht p1c_388.023 in der ältesten griechischen Poesie. Quinctilian sagt, wie p1c_388.024 es sich denn auch denken läßt, man habe die pedes und den p1c_388.025 Grund des Wohllauts, der aus der Quantität entsteht, erst
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0446"n="388"/><lbn="p1c_388.001"/>
längere folgen, so sey der Daktylus <hirendition="#g">unrein,</hi> z. B. līebēn̆dĕr <lbn="p1c_388.002"/>
ist besser als: ōffĕnbār. Letzterer nähert sich schon <lbn="p1c_388.003"/>
dem Creticus. Die Bemerkung ist sehr wahr, denn der <lbn="p1c_388.004"/>
Jctus macht die erste Sylbe: líebender, so lang, daß die <lbn="p1c_388.005"/>
zweyte, wenn gleich etwas länger als die dritte, dennoch in <lbn="p1c_388.006"/>
Vergleichung mit der ersten kurz erscheint. Bey <hirendition="#g">óffenbār</hi><lbn="p1c_388.007"/>
aber wird die dritte Sylbe, in Vergleichung mit der zweyten <lbn="p1c_388.008"/>
kürzern, lang erscheinen müssen. Sollte nicht aber diese <lbn="p1c_388.009"/>
Bemerkung eben so gut für die griechische Sprache passen? <lbn="p1c_388.010"/>
Sind denn alle Daktylen im Homer gleich rein? <foreignxml:lang="grc">τ</foreign>~̆<foreignxml:lang="grc">ε</foreign><lbn="p1c_388.011"/><foreignxml:lang="grc">Κ</foreign>~̆<foreignxml:lang="grc">αι</foreign>─<foreignxml:lang="grc">προπαρο̄ιθ</foreign>~̆<foreignxml:lang="grc">επ</foreign>~̆<foreignxml:lang="grc">οδων</foreign> war vielleicht kein so reiner <lbn="p1c_388.012"/>
Daktylus, als <foreignxml:lang="grc">ὀτρυνεων</foreign>, und eben aus dem oben angeführten <lbn="p1c_388.013"/>
Grunde. ─ Aus diesem allen folgt, daß die Annahme <lbn="p1c_388.014"/>
einer <hirendition="#g">Kürze,</hi> als <hirendition="#g">Grundmaaß</hi> der Sylben, in <lbn="p1c_388.015"/>
jeder Sprache ziemlich willkührlich ist, und daß keine einzige <lbn="p1c_388.016"/>
Sprache eine durchaus bestimmte <hirendition="#g">Prosodie</hi> besitzt. <lbn="p1c_388.017"/>
Die neuern Sprachen scheinen anfangs so muthlos gewesen <lbn="p1c_388.018"/>
zu seyn, daß sie gar keine Quantität berücksichtigten, sondern <lbn="p1c_388.019"/>
blos die <hirendition="#g">Sylben</hi> zählten. Man nahm jede <hirendition="#g">Sylbe</hi><lbn="p1c_388.020"/>
als einen <hirendition="#g">gleichen</hi> Zeittheil an, und glaubte, Verse müßten <lbn="p1c_388.021"/>
sich correspondiren, wenn sie auf diese Weise gleiche <lbn="p1c_388.022"/>
Zeitlängen erhalten hätten. Es war damit, wie vielleicht <lbn="p1c_388.023"/>
in der ältesten griechischen Poesie. Quinctilian sagt, wie <lbn="p1c_388.024"/>
es sich denn auch denken läßt, man habe die <hirendition="#aq">pedes</hi> und den <lbn="p1c_388.025"/>
Grund des Wohllauts, der aus der Quantität entsteht, erst
</p></div></div></body></text></TEI>
[388/0446]
p1c_388.001
längere folgen, so sey der Daktylus unrein, z. B. līebēn̆dĕr p1c_388.002
ist besser als: ōffĕnbār. Letzterer nähert sich schon p1c_388.003
dem Creticus. Die Bemerkung ist sehr wahr, denn der p1c_388.004
Jctus macht die erste Sylbe: líebender, so lang, daß die p1c_388.005
zweyte, wenn gleich etwas länger als die dritte, dennoch in p1c_388.006
Vergleichung mit der ersten kurz erscheint. Bey óffenbār p1c_388.007
aber wird die dritte Sylbe, in Vergleichung mit der zweyten p1c_388.008
kürzern, lang erscheinen müssen. Sollte nicht aber diese p1c_388.009
Bemerkung eben so gut für die griechische Sprache passen? p1c_388.010
Sind denn alle Daktylen im Homer gleich rein? τ~̆ε p1c_388.011
Κ~̆αι ─ προπαρο̄ιθ~̆ε π~̆οδων war vielleicht kein so reiner p1c_388.012
Daktylus, als ὀτρυνεων, und eben aus dem oben angeführten p1c_388.013
Grunde. ─ Aus diesem allen folgt, daß die Annahme p1c_388.014
einer Kürze, als Grundmaaß der Sylben, in p1c_388.015
jeder Sprache ziemlich willkührlich ist, und daß keine einzige p1c_388.016
Sprache eine durchaus bestimmte Prosodie besitzt. p1c_388.017
Die neuern Sprachen scheinen anfangs so muthlos gewesen p1c_388.018
zu seyn, daß sie gar keine Quantität berücksichtigten, sondern p1c_388.019
blos die Sylben zählten. Man nahm jede Sylbe p1c_388.020
als einen gleichen Zeittheil an, und glaubte, Verse müßten p1c_388.021
sich correspondiren, wenn sie auf diese Weise gleiche p1c_388.022
Zeitlängen erhalten hätten. Es war damit, wie vielleicht p1c_388.023
in der ältesten griechischen Poesie. Quinctilian sagt, wie p1c_388.024
es sich denn auch denken läßt, man habe die pedes und den p1c_388.025
Grund des Wohllauts, der aus der Quantität entsteht, erst
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/446>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.