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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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dieses Kürzesten giebt die Länge. Allein wenn man auch p1c_379.002
auf diese Art gleiche Zeittheile erhielte, indem bald eine p1c_379.003
Länge, bald zwey Kürzen auf einander folgten, so würde p1c_379.004
das Grundmaaß der Sylben noch zu unbedeutend und p1c_379.005
klein seyn, als daß man eine wiederkehrende Ordnung bemerken p1c_379.006
könnte. Daher haben die musikalischen Dichter p1c_379.007
größere Maaße erfunden, welche leichter ins Gehör p1c_379.008
fallen, durch Zusammenstellung mehrerer Sylben entstehen, p1c_379.009
und eine gewisse Ordnung angeben, wie Längen und Kürzen p1c_379.010
immer abwechseln sollen, woraus denn nicht nur Einheit, p1c_379.011
sondern auch Mannichfaltigkeit entsteht. Diese Maaße, p1c_379.012
welche das Gesetz angeben, wie in einer Sylbenreihe Länge p1c_379.013
und Kürzen immer mit einander abwechseln sollen, heißen p1c_379.014
pedes, Füße. An sich sind diese Füße zwar bloße Maaße, p1c_379.015
Quantitäten ohne Accent. Werden sie aber zusammengesetzt, p1c_379.016
so schneidet jeder Fuß einige Zeittheile ab, erfordert p1c_379.017
also einen Jctus. Und weil dies Maaß wiederkehrt, also p1c_379.018
das Ohr an einen bestimmten ähnlichen Gang der Sylbenreihen p1c_379.019
gewöhnt ist, so wird auch der Jctus nach einer gewissen p1c_379.020
Ordnung wiederkehren und gleiche Zeittheile abschneiden p1c_379.021
müssen. Hierdurch unterscheidet sich der Jctus des Metrums p1c_379.022
von dem des freyen Rhythmus. Natürlich wird der Jctus p1c_379.023
dahin fallen, wo die erste Länge in dem Fuße ursprünglich p1c_379.024
steht, weil auf den Kürzen die Stimme nicht verweilt. Es p1c_379.025
entsteht also durch dies Aneinanderreihen der Füße, die immer p1c_379.026
wiederkehren, metrische Reihen, und diese metrischen p1c_379.027
Reihen müssen sich auf wenige Gattungen zurückführen lassen, p1c_379.028
so vielerley auch die Füße sind. Ein einziger Fuß an

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dieses Kürzesten giebt die Länge. Allein wenn man auch p1c_379.002
auf diese Art gleiche Zeittheile erhielte, indem bald eine p1c_379.003
Länge, bald zwey Kürzen auf einander folgten, so würde p1c_379.004
das Grundmaaß der Sylben noch zu unbedeutend und p1c_379.005
klein seyn, als daß man eine wiederkehrende Ordnung bemerken p1c_379.006
könnte. Daher haben die musikalischen Dichter p1c_379.007
größere Maaße erfunden, welche leichter ins Gehör p1c_379.008
fallen, durch Zusammenstellung mehrerer Sylben entstehen, p1c_379.009
und eine gewisse Ordnung angeben, wie Längen und Kürzen p1c_379.010
immer abwechseln sollen, woraus denn nicht nur Einheit, p1c_379.011
sondern auch Mannichfaltigkeit entsteht. Diese Maaße, p1c_379.012
welche das Gesetz angeben, wie in einer Sylbenreihe Länge p1c_379.013
und Kürzen immer mit einander abwechseln sollen, heißen p1c_379.014
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Quantitäten ohne Accent. Werden sie aber zusammengesetzt, p1c_379.016
so schneidet jeder Fuß einige Zeittheile ab, erfordert p1c_379.017
also einen Jctus. Und weil dies Maaß wiederkehrt, also p1c_379.018
das Ohr an einen bestimmten ähnlichen Gang der Sylbenreihen p1c_379.019
gewöhnt ist, so wird auch der Jctus nach einer gewissen p1c_379.020
Ordnung wiederkehren und gleiche Zeittheile abschneiden p1c_379.021
müssen. Hierdurch unterscheidet sich der Jctus des Metrums p1c_379.022
von dem des freyen Rhythmus. Natürlich wird der Jctus p1c_379.023
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/437>, abgerufen am 27.07.2024.