p1c_363.001 weiblichen Reime abwechseln, wie die obigen Beyspiele zeigen: p1c_363.002 nido, dolcemente, fido. Was also der englische p1c_363.003 Reim zu hart ist, das ist das italienische Reimsystem, p1c_363.004 wie selbst Gottsched findet, zu klangreich und zart. Die p1c_363.005 Franzosen haben zwar auch ein stummes e, wie die Engländer, p1c_363.006 aber sie lassen es doch mehr hören. Daher haben p1c_363.007 sie hierdurch einen weiblichen Reim, dessen Accent auf der p1c_363.008 vorletzten Sylbe liegt. Mere, pere, sind trochäische Ausgänge. p1c_363.009 Jn allen übrigen Fällen, wenn sie auch zweysylbig p1c_363.010 reimen, liegt der Accent des Reims doch auf p1c_363.011 der letzten Sylbe und der Reim ist männlich, weil der Ausgang p1c_363.012 jambisch ist, z. B. raison, saison, perilleux, pointilleux. p1c_363.013 Jn der Abwechslung männlicher und weiblicher p1c_363.014 Reime, die frey, nicht allemal paarweise in einander geschoben p1c_363.015 werden, besteht größtentheils die Schönheit ihrer lyrischen p1c_363.016 Stanzen. Der deutsche Reim steht zwischen dem Englischen p1c_363.017 und Jtalienischen ganz in der Mitte. Wir haben p1c_363.018 weibliche und männliche Ausgänge. Leider sind unsre p1c_363.019 weiblichen oder trochäischen Reime auch wie die französischen p1c_363.020 nur durch e bewirkt, und also nicht musikalisch. Doch p1c_363.021 sind wir nun im Stande weibliche und männliche abwechseln p1c_363.022 zu lassen, und dadurch eine Mannichfaltigkeit in p1c_363.023 das Reimsystem zu bringen. Unsre ältesten Dichter haben p1c_363.024 schon weibliche Reime, allein erst der Minnegesang war p1c_363.025 es, der eine gewisse trochäische Weichheit und längere Zeilen p1c_363.026 aus der Provenzalpoesie annahm. Bey den Minnesängern, p1c_363.027 welche noch mehr e hatten, als wir, z. B. empore statt p1c_363.028 empor, (wie die französischen Dichter encore und encor
p1c_363.001 weiblichen Reime abwechseln, wie die obigen Beyspiele zeigen: p1c_363.002 nido, dolcemente, fido. Was also der englische p1c_363.003 Reim zu hart ist, das ist das italienische Reimsystem, p1c_363.004 wie selbst Gottsched findet, zu klangreich und zart. Die p1c_363.005 Franzosen haben zwar auch ein stummes e, wie die Engländer, p1c_363.006 aber sie lassen es doch mehr hören. Daher haben p1c_363.007 sie hierdurch einen weiblichen Reim, dessen Accent auf der p1c_363.008 vorletzten Sylbe liegt. Mère, père, sind trochäische Ausgänge. p1c_363.009 Jn allen übrigen Fällen, wenn sie auch zweysylbig p1c_363.010 reimen, liegt der Accent des Reims doch auf p1c_363.011 der letzten Sylbe und der Reim ist männlich, weil der Ausgang p1c_363.012 jambisch ist, z. B. raison, saison, perilleux, pointilleux. p1c_363.013 Jn der Abwechslung männlicher und weiblicher p1c_363.014 Reime, die frey, nicht allemal paarweise in einander geschoben p1c_363.015 werden, besteht größtentheils die Schönheit ihrer lyrischen p1c_363.016 Stanzen. Der deutsche Reim steht zwischen dem Englischen p1c_363.017 und Jtalienischen ganz in der Mitte. Wir haben p1c_363.018 weibliche und männliche Ausgänge. Leider sind unsre p1c_363.019 weiblichen oder trochäischen Reime auch wie die französischen p1c_363.020 nur durch e bewirkt, und also nicht musikalisch. Doch p1c_363.021 sind wir nun im Stande weibliche und männliche abwechseln p1c_363.022 zu lassen, und dadurch eine Mannichfaltigkeit in p1c_363.023 das Reimsystem zu bringen. Unsre ältesten Dichter haben p1c_363.024 schon weibliche Reime, allein erst der Minnegesang war p1c_363.025 es, der eine gewisse trochäische Weichheit und längere Zeilen p1c_363.026 aus der Provenzalpoesie annahm. Bey den Minnesängern, p1c_363.027 welche noch mehr e hatten, als wir, z. B. empore statt p1c_363.028 empor, (wie die französischen Dichter encore und encor
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/421>, abgerufen am 23.11.2024.
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