p1c_303.001 Die Gedichte, die den Charakter des Starken und Niedlichen p1c_303.002 haben, machen hier freylich eine Ausnahme. Z. B. Das p1c_303.003 Epigramm hat oft einen Stachel. Der niedliche Gedanke p1c_303.004 muß nichts zu denken mehr übrig lassen, so schließen p1c_303.005 denn viele Gedichte mit einer Antithese, welche das Ganze p1c_303.006 erschöpft. Dies lieben besonders die französischen Dichter p1c_303.007 in poetischen Kleinigkeiten. Zuweilen schneidet auch in der p1c_303.008 höhern Poesie ein starker Gedanke am Ende alles ab, was p1c_303.009 sich noch hinzufügen ließe. "Finstrer Gedanke laß ab, laß p1c_303.010 ab in die Seele zu donnern, wie die Ewigkeit groß, furchtbar, p1c_303.011 wie das Gericht, laß ab, die verstummende Seele p1c_303.012 faßt dich Gedanke nicht mehr." Klopstock. "Mir winkt p1c_303.013 ihr eiserner Arm, ich schweige, und sinne dem edlen schrekkenden p1c_303.014 Gedanken nach, deiner werth zu seyn mein Vaterland." p1c_303.015 Cbenders. - Horaz, dessen Einbildungskraft p1c_303.016 nach griechischen Mustern gebildet, ein freyeres Spiel hat, p1c_303.017 schließt selten mit so vorzüglicher Kraft, wie L. III. od. 11. p1c_303.018 in fin. L. II. od. 6. L. I. od. 1. u. s. w. Wenn auch p1c_303.019 gegen das Ende eine Sentenz steht, wie z. B. nil mortalibus p1c_303.020 arduum est, so wird sie noch durch ein Bild erläutert, p1c_303.021 das der Einbildungskraft noch Raum zum Nachsinnen p1c_303.022 giebt. Mehr davon bey der Ode. - Einfacher kann p1c_303.023 nicht geschlossen werden, als zuweilen Euripides in seinen p1c_303.024 Trauerspielen: toiond' apebe tode pragma, wenn gleich p1c_303.025 die vorhergehende Sentenz tiefen Sinn hat. - Bey den p1c_303.026 einzelnen Dichtungsarten wird sich näher bestimmen lassen, p1c_303.027 wie sie schließen müssen. - 15) An dieser Stelle kann man p1c_303.028 auch das Wiederkehren der Verse (Epistrophe) erwähnen
p1c_303.001 Die Gedichte, die den Charakter des Starken und Niedlichen p1c_303.002 haben, machen hier freylich eine Ausnahme. Z. B. Das p1c_303.003 Epigramm hat oft einen Stachel. Der niedliche Gedanke p1c_303.004 muß nichts zu denken mehr übrig lassen, so schließen p1c_303.005 denn viele Gedichte mit einer Antithese, welche das Ganze p1c_303.006 erschöpft. Dies lieben besonders die französischen Dichter p1c_303.007 in poetischen Kleinigkeiten. Zuweilen schneidet auch in der p1c_303.008 höhern Poesie ein starker Gedanke am Ende alles ab, was p1c_303.009 sich noch hinzufügen ließe. „Finstrer Gedanke laß ab, laß p1c_303.010 ab in die Seele zu donnern, wie die Ewigkeit groß, furchtbar, p1c_303.011 wie das Gericht, laß ab, die verstummende Seele p1c_303.012 faßt dich Gedanke nicht mehr.“ Klopstock. „Mir winkt p1c_303.013 ihr eiserner Arm, ich schweige, und sinne dem edlen schrekkenden p1c_303.014 Gedanken nach, deiner werth zu seyn mein Vaterland.“ p1c_303.015 Cbenders. ─ Horaz, dessen Einbildungskraft p1c_303.016 nach griechischen Mustern gebildet, ein freyeres Spiel hat, p1c_303.017 schließt selten mit so vorzüglicher Kraft, wie L. III. od. 11. p1c_303.018 in fin. L. II. od. 6. L. I. od. 1. u. s. w. Wenn auch p1c_303.019 gegen das Ende eine Sentenz steht, wie z. B. nil mortalibus p1c_303.020 arduum est, so wird sie noch durch ein Bild erläutert, p1c_303.021 das der Einbildungskraft noch Raum zum Nachsinnen p1c_303.022 giebt. Mehr davon bey der Ode. ─ Einfacher kann p1c_303.023 nicht geschlossen werden, als zuweilen Euripides in seinen p1c_303.024 Trauerspielen: τοιονδ' ἀπεβη τοδε πραγμα, wenn gleich p1c_303.025 die vorhergehende Sentenz tiefen Sinn hat. ─ Bey den p1c_303.026 einzelnen Dichtungsarten wird sich näher bestimmen lassen, p1c_303.027 wie sie schließen müssen. ─ 15) An dieser Stelle kann man p1c_303.028 auch das Wiederkehren der Verse (Epistrophe) erwähnen
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Die Gedichte, die den Charakter des Starken und Niedlichen p1c_303.002
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ab in die Seele zu donnern, wie die Ewigkeit groß, furchtbar, p1c_303.011
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faßt dich Gedanke nicht mehr.“ Klopstock. „Mir winkt p1c_303.013
ihr eiserner Arm, ich schweige, und sinne dem edlen schrekkenden p1c_303.014
Gedanken nach, deiner werth zu seyn mein Vaterland.“ p1c_303.015
Cbenders. ─ Horaz, dessen Einbildungskraft p1c_303.016
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gegen das Ende eine Sentenz steht, wie z. B. nil mortalibus p1c_303.020
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auch das Wiederkehren der Verse (Epistrophe) erwähnen
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/361>, abgerufen am 23.11.2024.
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