Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_106.001
sie nur bald wieder verlöschen.) - Eh' als die Schwere p1c_106.002
noch den Weg zum Fall gelernet, und auf die Nacht des p1c_106.003
alten Nichts, sich goß der erste Strom des Lichts, warst p1c_106.004
du, so weit als itzt von deinem Quell entfernet, und wenn p1c_106.005
ein zweytes Nichts wird diese Welt begraben, wenn von p1c_106.006
dem allen selbst nichts bleibet als die Stelle, wenn mancher p1c_106.007
Himmel noch von andern Sternen helle, wird seinen Lauf p1c_106.008
vollendet haben, wirst du so jung, als jetzt von deinem Tod p1c_106.009
gleich weit, gleich ewig künftig seyn, wie heut. Die schnellen p1c_106.010
Schwingen der Gedanken, wogegen Zeit und Schall p1c_106.011
und Wiud und selbst des Lichtes Flügel langsam sind, ermüden p1c_106.012
über dir und hoffen keine Schranken. Jch häufe ungeheure p1c_106.013
Zahlen, Gebürge, Millionen auf, ich wälze Zeit p1c_106.014
auf Zeit und Welt auf Welten hin, und wenn ich auf der p1c_106.015
March des Endlichen nun bin, und von der fürchterlichen p1c_106.016
Höhe, mit Schwindeln wieder nach dir sehe, ist alle Macht p1c_106.017
der Zahl vermehrt mit tausendmalen noch nicht ein Theil von p1c_106.018
dir, ich tilge sie und du liegst ganz vor mir. - (Man sieht, p1c_106.019
welche Mittel die Phantasie ergreift, sich die Vernunftidee p1c_106.020
oder vielmehr das schon zur Zeitausdehnung versinnlichte p1c_106.021
Schema der Unendlichkeit anschaulich zu machen. Sie p1c_106.022
setzt Ziele, gleichsam Marksteine, um messen zu können, p1c_106.023
sie setzt gränzenlose Fülle von Sternenhimmeln und Daseynsperioden p1c_106.024
in die Zeitstrecken und nimmt sie wieder hinweg. p1c_106.025
Sie ruft die schnellsten messenden Kräfte zu Hülfe und erklärt p1c_106.026
sie für unzulänglich. Sie fängt wirklich an zu messen, p1c_106.027
häuft Maaß auf Maaß, findet alles zu wenig, läßt das p1c_106.028
Maaß verschwinden und hat zuletzt im Nichts die anschauliche

p1c_106.001
sie nur bald wieder verlöschen.) ─ Eh' als die Schwere p1c_106.002
noch den Weg zum Fall gelernet, und auf die Nacht des p1c_106.003
alten Nichts, sich goß der erste Strom des Lichts, warst p1c_106.004
du, so weit als itzt von deinem Quell entfernet, und wenn p1c_106.005
ein zweytes Nichts wird diese Welt begraben, wenn von p1c_106.006
dem allen selbst nichts bleibet als die Stelle, wenn mancher p1c_106.007
Himmel noch von andern Sternen helle, wird seinen Lauf p1c_106.008
vollendet haben, wirst du so jung, als jetzt von deinem Tod p1c_106.009
gleich weit, gleich ewig künftig seyn, wie heut. Die schnellen p1c_106.010
Schwingen der Gedanken, wogegen Zeit und Schall p1c_106.011
und Wiud und selbst des Lichtes Flügel langsam sind, ermüden p1c_106.012
über dir und hoffen keine Schranken. Jch häufe ungeheure p1c_106.013
Zahlen, Gebürge, Millionen auf, ich wälze Zeit p1c_106.014
auf Zeit und Welt auf Welten hin, und wenn ich auf der p1c_106.015
March des Endlichen nun bin, und von der fürchterlichen p1c_106.016
Höhe, mit Schwindeln wieder nach dir sehe, ist alle Macht p1c_106.017
der Zahl vermehrt mit tausendmalen noch nicht ein Theil von p1c_106.018
dir, ich tilge sie und du liegst ganz vor mir. ─ (Man sieht, p1c_106.019
welche Mittel die Phantasie ergreift, sich die Vernunftidee p1c_106.020
oder vielmehr das schon zur Zeitausdehnung versinnlichte p1c_106.021
Schema der Unendlichkeit anschaulich zu machen. Sie p1c_106.022
setzt Ziele, gleichsam Marksteine, um messen zu können, p1c_106.023
sie setzt gränzenlose Fülle von Sternenhimmeln und Daseynsperioden p1c_106.024
in die Zeitstrecken und nimmt sie wieder hinweg. p1c_106.025
Sie ruft die schnellsten messenden Kräfte zu Hülfe und erklärt p1c_106.026
sie für unzulänglich. Sie fängt wirklich an zu messen, p1c_106.027
häuft Maaß auf Maaß, findet alles zu wenig, läßt das p1c_106.028
Maaß verschwinden und hat zuletzt im Nichts die anschauliche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0164" n="106"/><lb n="p1c_106.001"/>
sie nur bald wieder verlöschen.) &#x2500; Eh' als die Schwere <lb n="p1c_106.002"/>
noch den Weg zum Fall gelernet, und auf die Nacht des <lb n="p1c_106.003"/>
alten Nichts, sich goß der erste Strom des Lichts, warst <lb n="p1c_106.004"/>
du, so weit als itzt von deinem Quell entfernet, und wenn <lb n="p1c_106.005"/>
ein zweytes Nichts wird diese Welt begraben, wenn von <lb n="p1c_106.006"/>
dem allen selbst nichts bleibet als die Stelle, wenn mancher <lb n="p1c_106.007"/>
Himmel noch von andern Sternen helle, wird seinen Lauf <lb n="p1c_106.008"/>
vollendet haben, wirst du so jung, als jetzt von deinem Tod <lb n="p1c_106.009"/>
gleich weit, gleich ewig künftig seyn, wie heut. Die schnellen <lb n="p1c_106.010"/>
Schwingen der Gedanken, wogegen Zeit und Schall <lb n="p1c_106.011"/>
und Wiud und selbst des Lichtes Flügel langsam sind, ermüden <lb n="p1c_106.012"/>
über dir und hoffen keine Schranken. Jch häufe ungeheure <lb n="p1c_106.013"/>
Zahlen, Gebürge, Millionen auf, ich wälze Zeit <lb n="p1c_106.014"/>
auf Zeit und Welt auf Welten hin, und wenn ich auf der <lb n="p1c_106.015"/>
March des Endlichen nun bin, und von der fürchterlichen <lb n="p1c_106.016"/>
Höhe, mit Schwindeln wieder nach dir sehe, ist alle Macht <lb n="p1c_106.017"/>
der Zahl vermehrt mit tausendmalen noch nicht ein Theil von <lb n="p1c_106.018"/>
dir, ich tilge sie und du liegst ganz vor mir. &#x2500; (Man sieht, <lb n="p1c_106.019"/>
welche Mittel die Phantasie ergreift, sich die Vernunftidee <lb n="p1c_106.020"/>
oder vielmehr das schon zur Zeitausdehnung versinnlichte <lb n="p1c_106.021"/>
Schema der Unendlichkeit anschaulich zu machen. Sie <lb n="p1c_106.022"/>
setzt Ziele, gleichsam Marksteine, um messen zu können, <lb n="p1c_106.023"/>
sie setzt gränzenlose Fülle von Sternenhimmeln und Daseynsperioden <lb n="p1c_106.024"/>
in die Zeitstrecken und nimmt sie wieder hinweg. <lb n="p1c_106.025"/>
Sie ruft die schnellsten messenden Kräfte zu Hülfe und erklärt <lb n="p1c_106.026"/>
sie für unzulänglich. Sie fängt wirklich an zu messen, <lb n="p1c_106.027"/>
häuft Maaß auf Maaß, findet alles zu wenig, läßt das     <lb n="p1c_106.028"/>
Maaß verschwinden und hat zuletzt im Nichts die anschauliche
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0164] p1c_106.001 sie nur bald wieder verlöschen.) ─ Eh' als die Schwere p1c_106.002 noch den Weg zum Fall gelernet, und auf die Nacht des p1c_106.003 alten Nichts, sich goß der erste Strom des Lichts, warst p1c_106.004 du, so weit als itzt von deinem Quell entfernet, und wenn p1c_106.005 ein zweytes Nichts wird diese Welt begraben, wenn von p1c_106.006 dem allen selbst nichts bleibet als die Stelle, wenn mancher p1c_106.007 Himmel noch von andern Sternen helle, wird seinen Lauf p1c_106.008 vollendet haben, wirst du so jung, als jetzt von deinem Tod p1c_106.009 gleich weit, gleich ewig künftig seyn, wie heut. Die schnellen p1c_106.010 Schwingen der Gedanken, wogegen Zeit und Schall p1c_106.011 und Wiud und selbst des Lichtes Flügel langsam sind, ermüden p1c_106.012 über dir und hoffen keine Schranken. Jch häufe ungeheure p1c_106.013 Zahlen, Gebürge, Millionen auf, ich wälze Zeit p1c_106.014 auf Zeit und Welt auf Welten hin, und wenn ich auf der p1c_106.015 March des Endlichen nun bin, und von der fürchterlichen p1c_106.016 Höhe, mit Schwindeln wieder nach dir sehe, ist alle Macht p1c_106.017 der Zahl vermehrt mit tausendmalen noch nicht ein Theil von p1c_106.018 dir, ich tilge sie und du liegst ganz vor mir. ─ (Man sieht, p1c_106.019 welche Mittel die Phantasie ergreift, sich die Vernunftidee p1c_106.020 oder vielmehr das schon zur Zeitausdehnung versinnlichte p1c_106.021 Schema der Unendlichkeit anschaulich zu machen. Sie p1c_106.022 setzt Ziele, gleichsam Marksteine, um messen zu können, p1c_106.023 sie setzt gränzenlose Fülle von Sternenhimmeln und Daseynsperioden p1c_106.024 in die Zeitstrecken und nimmt sie wieder hinweg. p1c_106.025 Sie ruft die schnellsten messenden Kräfte zu Hülfe und erklärt p1c_106.026 sie für unzulänglich. Sie fängt wirklich an zu messen, p1c_106.027 häuft Maaß auf Maaß, findet alles zu wenig, läßt das p1c_106.028 Maaß verschwinden und hat zuletzt im Nichts die anschauliche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/164
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/164>, abgerufen am 21.11.2024.