ben; denn ist man einmal darauf eingegangen in der Mitte vorzudringen und sich die Seiten durch Heere zu decken die man rechts und links zurückläßt, so müßte man bei jedem möglichen Unfall eines solchen Heeres mit der Spitze gleich zurück eilen, und dann könnte wohl aus dem Angriff nicht Viel werden.
Man kann gar nicht sagen daß Bonaparte seine Seiten vernachlässigt habe. Gegen Wittgenstein blieb eine überlegene Macht stehen; vor Riga stand ein angemessenes Belagerungskorps, welches sogar dort überflüssig war, und im Süden hatte Schwarzenberg 50,000 Mann, wo- mit er Tormassof überlegen und selbst Tschitschagow bei- nahe gewachsen war; dazu kamen noch 30,000 Mann un- ter Victor im Mittelpunkt des Rückens. -- Selbst im Monat November, also im entscheidenden Augenblick als sich die russischen Streitkräfte verstärkt hatten, und die französischen schon sehr geschwächt waren, war die Überle- genheit der Russen im Rücken der moskauer Armee noch nicht so außerordentlich. Wittgenstein, Tschitschagow und Sacken bildeten zusammen eine Macht von 110,000 Mann. Schwarzenberg, Regnier, Victor, Oudinot und St. Cyr waren effektiv noch 80,000 Mann. Der behutsamste Ge- neral würde beim Vorgehen seinen Flanken kaum eine größere Streitkraft widmen.
Hätte Bonaparte von den 600,000 Mann, die im Jahr 1812 den Niemen überschritten haben, statt 50,000 die mit Schwarzenberg, Regnier und Macdonald über denselben zurückgegangen sind, 250,000 zurückgebracht, welches bei Vermeidung der Fehler die wir ihm vorge- worfen haben möglich war, so blieb es ein unglücklicher Feldzug, aber die Theorie hätte Nichts dagegen einwenden können, denn über die Hälfte seines Heeres einzubüßen ist
ben; denn iſt man einmal darauf eingegangen in der Mitte vorzudringen und ſich die Seiten durch Heere zu decken die man rechts und links zuruͤcklaͤßt, ſo muͤßte man bei jedem moͤglichen Unfall eines ſolchen Heeres mit der Spitze gleich zuruͤck eilen, und dann koͤnnte wohl aus dem Angriff nicht Viel werden.
Man kann gar nicht ſagen daß Bonaparte ſeine Seiten vernachlaͤſſigt habe. Gegen Wittgenſtein blieb eine uͤberlegene Macht ſtehen; vor Riga ſtand ein angemeſſenes Belagerungskorps, welches ſogar dort uͤberfluͤſſig war, und im Suͤden hatte Schwarzenberg 50,000 Mann, wo- mit er Tormaſſof uͤberlegen und ſelbſt Tſchitſchagow bei- nahe gewachſen war; dazu kamen noch 30,000 Mann un- ter Victor im Mittelpunkt des Ruͤckens. — Selbſt im Monat November, alſo im entſcheidenden Augenblick als ſich die ruſſiſchen Streitkraͤfte verſtaͤrkt hatten, und die franzoͤſiſchen ſchon ſehr geſchwaͤcht waren, war die Überle- genheit der Ruſſen im Ruͤcken der moskauer Armee noch nicht ſo außerordentlich. Wittgenſtein, Tſchitſchagow und Sacken bildeten zuſammen eine Macht von 110,000 Mann. Schwarzenberg, Regnier, Victor, Oudinot und St. Cyr waren effektiv noch 80,000 Mann. Der behutſamſte Ge- neral wuͤrde beim Vorgehen ſeinen Flanken kaum eine groͤßere Streitkraft widmen.
Haͤtte Bonaparte von den 600,000 Mann, die im Jahr 1812 den Niemen uͤberſchritten haben, ſtatt 50,000 die mit Schwarzenberg, Regnier und Macdonald uͤber denſelben zuruͤckgegangen ſind, 250,000 zuruͤckgebracht, welches bei Vermeidung der Fehler die wir ihm vorge- worfen haben moͤglich war, ſo blieb es ein ungluͤcklicher Feldzug, aber die Theorie haͤtte Nichts dagegen einwenden koͤnnen, denn uͤber die Haͤlfte ſeines Heeres einzubuͤßen iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0199"n="185"/>
ben; denn iſt man einmal darauf eingegangen in der Mitte<lb/>
vorzudringen und ſich die Seiten durch Heere zu decken<lb/>
die man rechts und links zuruͤcklaͤßt, ſo muͤßte man bei<lb/>
jedem moͤglichen Unfall eines ſolchen Heeres mit der Spitze<lb/>
gleich zuruͤck eilen, und dann koͤnnte wohl aus dem Angriff<lb/>
nicht Viel werden.</p><lb/><p>Man kann gar nicht ſagen daß Bonaparte ſeine<lb/>
Seiten vernachlaͤſſigt habe. Gegen Wittgenſtein blieb eine<lb/>
uͤberlegene Macht ſtehen; vor Riga ſtand ein angemeſſenes<lb/>
Belagerungskorps, welches ſogar dort uͤberfluͤſſig war,<lb/>
und im Suͤden hatte Schwarzenberg 50,000 Mann, wo-<lb/>
mit er Tormaſſof uͤberlegen und ſelbſt Tſchitſchagow bei-<lb/>
nahe gewachſen war; dazu kamen noch 30,000 Mann un-<lb/>
ter Victor im Mittelpunkt des Ruͤckens. — Selbſt im<lb/>
Monat November, alſo im entſcheidenden Augenblick als<lb/>ſich die ruſſiſchen Streitkraͤfte verſtaͤrkt hatten, und die<lb/>
franzoͤſiſchen ſchon ſehr geſchwaͤcht waren, war die Überle-<lb/>
genheit der Ruſſen im Ruͤcken der moskauer Armee noch<lb/>
nicht ſo außerordentlich. Wittgenſtein, Tſchitſchagow und<lb/>
Sacken bildeten zuſammen eine Macht von 110,000 Mann.<lb/>
Schwarzenberg, Regnier, Victor, Oudinot und St. Cyr<lb/>
waren effektiv noch 80,000 Mann. Der behutſamſte Ge-<lb/>
neral wuͤrde beim Vorgehen ſeinen Flanken kaum eine<lb/>
groͤßere Streitkraft widmen.</p><lb/><p>Haͤtte Bonaparte von den 600,000 Mann, die im<lb/>
Jahr 1812 den Niemen uͤberſchritten haben, ſtatt 50,000<lb/>
die mit Schwarzenberg, Regnier und Macdonald uͤber<lb/>
denſelben zuruͤckgegangen ſind, 250,000 zuruͤckgebracht,<lb/>
welches bei Vermeidung der Fehler die wir ihm vorge-<lb/>
worfen haben moͤglich war, ſo blieb es ein ungluͤcklicher<lb/>
Feldzug, aber die Theorie haͤtte Nichts dagegen einwenden<lb/>
koͤnnen, denn uͤber die Haͤlfte ſeines Heeres einzubuͤßen iſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[185/0199]
ben; denn iſt man einmal darauf eingegangen in der Mitte
vorzudringen und ſich die Seiten durch Heere zu decken
die man rechts und links zuruͤcklaͤßt, ſo muͤßte man bei
jedem moͤglichen Unfall eines ſolchen Heeres mit der Spitze
gleich zuruͤck eilen, und dann koͤnnte wohl aus dem Angriff
nicht Viel werden.
Man kann gar nicht ſagen daß Bonaparte ſeine
Seiten vernachlaͤſſigt habe. Gegen Wittgenſtein blieb eine
uͤberlegene Macht ſtehen; vor Riga ſtand ein angemeſſenes
Belagerungskorps, welches ſogar dort uͤberfluͤſſig war,
und im Suͤden hatte Schwarzenberg 50,000 Mann, wo-
mit er Tormaſſof uͤberlegen und ſelbſt Tſchitſchagow bei-
nahe gewachſen war; dazu kamen noch 30,000 Mann un-
ter Victor im Mittelpunkt des Ruͤckens. — Selbſt im
Monat November, alſo im entſcheidenden Augenblick als
ſich die ruſſiſchen Streitkraͤfte verſtaͤrkt hatten, und die
franzoͤſiſchen ſchon ſehr geſchwaͤcht waren, war die Überle-
genheit der Ruſſen im Ruͤcken der moskauer Armee noch
nicht ſo außerordentlich. Wittgenſtein, Tſchitſchagow und
Sacken bildeten zuſammen eine Macht von 110,000 Mann.
Schwarzenberg, Regnier, Victor, Oudinot und St. Cyr
waren effektiv noch 80,000 Mann. Der behutſamſte Ge-
neral wuͤrde beim Vorgehen ſeinen Flanken kaum eine
groͤßere Streitkraft widmen.
Haͤtte Bonaparte von den 600,000 Mann, die im
Jahr 1812 den Niemen uͤberſchritten haben, ſtatt 50,000
die mit Schwarzenberg, Regnier und Macdonald uͤber
denſelben zuruͤckgegangen ſind, 250,000 zuruͤckgebracht,
welches bei Vermeidung der Fehler die wir ihm vorge-
worfen haben moͤglich war, ſo blieb es ein ungluͤcklicher
Feldzug, aber die Theorie haͤtte Nichts dagegen einwenden
koͤnnen, denn uͤber die Haͤlfte ſeines Heeres einzubuͤßen iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/199>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.