In seinen Briefen an den Marquis d'Argens sieht man die Ungeduld mit der er den Winterquartieren entgegen sieht, und wie froh er ist wenn er sie wieder beziehen kann ohne merklich eingebüßt zu haben.
Wer Friedrich hierin tadeln und darin nur seinen gesunkenen Muth sehen wollte, würde, wie es uns scheint, ein sehr unüberlegtes Urtheil fällen.
Wenn das verschanzte Lager von Bunzelwitz, die Po- stirungen des Prinzen Heinrich in Sachsen und des Königs im schlesischen Gebirge uns jetzt nicht mehr wie solche Maaßnehmungen erscheinen, auf welche man seine letzte Hoffnung setzen kann, weil ein Bonaparte diese taktischen Spinngewebe bald durchstoßen würde: so muß man nicht vergessen daß die Zeiten sich geändert haben, daß der Krieg ein ganz anderer geworden ist, von andern Kräften belebt, und daß also damals Stellungen wirksam sein konnten die es nicht mehr sind, daß aber auch der Charakter des Gegners Rücksicht verdient. Gegen die Reichsarmee, gegen Daun und Butterlin konnte der Gebrauch von Mitteln, die Friedrich selbst für Nichts gehalten haben würde, die höchste Weisheit sein.
Der Erfolg hat diese Ansicht gerechtfertigt. Im ru- higen Abwarten hat Friedrich das Ziel erreicht, und Schwierigkeiten umgangen, gegen die seine Kraft zerschellt sein würde. --
Das Verhältniß der Streitkräfte, welche die Russen den Franzosen im Jahr 1812 bei Eröffnung des Feld- zugs entgegenzustellen hatten, war noch viel ungünstiger als es für Friedrich dem Großen im siebenjährigen Kriege gewesen war. Allein die Russen hatten die Aussicht sich im Laufe des Feldzugs beträchtlich zu verstärken. Bona- parte hatte ganz Europa zu heimlichen Feinden, seine Macht
In ſeinen Briefen an den Marquis d’Argens ſieht man die Ungeduld mit der er den Winterquartieren entgegen ſieht, und wie froh er iſt wenn er ſie wieder beziehen kann ohne merklich eingebuͤßt zu haben.
Wer Friedrich hierin tadeln und darin nur ſeinen geſunkenen Muth ſehen wollte, wuͤrde, wie es uns ſcheint, ein ſehr unuͤberlegtes Urtheil faͤllen.
Wenn das verſchanzte Lager von Bunzelwitz, die Po- ſtirungen des Prinzen Heinrich in Sachſen und des Koͤnigs im ſchleſiſchen Gebirge uns jetzt nicht mehr wie ſolche Maaßnehmungen erſcheinen, auf welche man ſeine letzte Hoffnung ſetzen kann, weil ein Bonaparte dieſe taktiſchen Spinngewebe bald durchſtoßen wuͤrde: ſo muß man nicht vergeſſen daß die Zeiten ſich geaͤndert haben, daß der Krieg ein ganz anderer geworden iſt, von andern Kraͤften belebt, und daß alſo damals Stellungen wirkſam ſein konnten die es nicht mehr ſind, daß aber auch der Charakter des Gegners Ruͤckſicht verdient. Gegen die Reichsarmee, gegen Daun und Butterlin konnte der Gebrauch von Mitteln, die Friedrich ſelbſt fuͤr Nichts gehalten haben wuͤrde, die hoͤchſte Weisheit ſein.
Der Erfolg hat dieſe Anſicht gerechtfertigt. Im ru- higen Abwarten hat Friedrich das Ziel erreicht, und Schwierigkeiten umgangen, gegen die ſeine Kraft zerſchellt ſein wuͤrde. —
Das Verhaͤltniß der Streitkraͤfte, welche die Ruſſen den Franzoſen im Jahr 1812 bei Eroͤffnung des Feld- zugs entgegenzuſtellen hatten, war noch viel unguͤnſtiger als es fuͤr Friedrich dem Großen im ſiebenjaͤhrigen Kriege geweſen war. Allein die Ruſſen hatten die Ausſicht ſich im Laufe des Feldzugs betraͤchtlich zu verſtaͤrken. Bona- parte hatte ganz Europa zu heimlichen Feinden, ſeine Macht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0173"n="159"/>
In ſeinen Briefen an den Marquis d’Argens ſieht man<lb/>
die Ungeduld mit der er den Winterquartieren entgegen<lb/>ſieht, und wie froh er iſt wenn er ſie wieder beziehen kann<lb/>
ohne merklich eingebuͤßt zu haben.</p><lb/><p>Wer Friedrich hierin tadeln und darin nur ſeinen<lb/>
geſunkenen Muth ſehen wollte, wuͤrde, wie es uns ſcheint,<lb/>
ein ſehr unuͤberlegtes Urtheil faͤllen.</p><lb/><p>Wenn das verſchanzte Lager von Bunzelwitz, die Po-<lb/>ſtirungen des Prinzen Heinrich in Sachſen und des Koͤnigs<lb/>
im ſchleſiſchen Gebirge uns jetzt nicht mehr wie ſolche<lb/>
Maaßnehmungen erſcheinen, auf welche man ſeine letzte<lb/>
Hoffnung ſetzen kann, weil ein Bonaparte dieſe taktiſchen<lb/>
Spinngewebe bald durchſtoßen wuͤrde: ſo muß man nicht<lb/>
vergeſſen daß die Zeiten ſich geaͤndert haben, daß der Krieg<lb/>
ein ganz anderer geworden iſt, von andern Kraͤften belebt,<lb/>
und daß alſo damals Stellungen wirkſam ſein konnten die<lb/>
es nicht mehr ſind, daß aber auch der Charakter des<lb/>
Gegners Ruͤckſicht verdient. Gegen die Reichsarmee, gegen<lb/>
Daun und Butterlin konnte der Gebrauch von Mitteln,<lb/>
die Friedrich ſelbſt fuͤr Nichts gehalten haben wuͤrde, die<lb/>
hoͤchſte Weisheit ſein.</p><lb/><p>Der Erfolg hat dieſe Anſicht gerechtfertigt. Im ru-<lb/>
higen Abwarten hat Friedrich das Ziel erreicht, und<lb/>
Schwierigkeiten umgangen, gegen die ſeine Kraft zerſchellt<lb/>ſein wuͤrde. —</p><lb/><p>Das Verhaͤltniß der Streitkraͤfte, welche die Ruſſen<lb/>
den Franzoſen im Jahr 1812 bei Eroͤffnung des Feld-<lb/>
zugs entgegenzuſtellen hatten, war noch viel unguͤnſtiger<lb/>
als es fuͤr Friedrich dem Großen im ſiebenjaͤhrigen Kriege<lb/>
geweſen war. Allein die Ruſſen hatten die Ausſicht ſich<lb/>
im Laufe des Feldzugs betraͤchtlich zu verſtaͤrken. Bona-<lb/>
parte hatte ganz Europa zu heimlichen Feinden, ſeine Macht<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[159/0173]
In ſeinen Briefen an den Marquis d’Argens ſieht man
die Ungeduld mit der er den Winterquartieren entgegen
ſieht, und wie froh er iſt wenn er ſie wieder beziehen kann
ohne merklich eingebuͤßt zu haben.
Wer Friedrich hierin tadeln und darin nur ſeinen
geſunkenen Muth ſehen wollte, wuͤrde, wie es uns ſcheint,
ein ſehr unuͤberlegtes Urtheil faͤllen.
Wenn das verſchanzte Lager von Bunzelwitz, die Po-
ſtirungen des Prinzen Heinrich in Sachſen und des Koͤnigs
im ſchleſiſchen Gebirge uns jetzt nicht mehr wie ſolche
Maaßnehmungen erſcheinen, auf welche man ſeine letzte
Hoffnung ſetzen kann, weil ein Bonaparte dieſe taktiſchen
Spinngewebe bald durchſtoßen wuͤrde: ſo muß man nicht
vergeſſen daß die Zeiten ſich geaͤndert haben, daß der Krieg
ein ganz anderer geworden iſt, von andern Kraͤften belebt,
und daß alſo damals Stellungen wirkſam ſein konnten die
es nicht mehr ſind, daß aber auch der Charakter des
Gegners Ruͤckſicht verdient. Gegen die Reichsarmee, gegen
Daun und Butterlin konnte der Gebrauch von Mitteln,
die Friedrich ſelbſt fuͤr Nichts gehalten haben wuͤrde, die
hoͤchſte Weisheit ſein.
Der Erfolg hat dieſe Anſicht gerechtfertigt. Im ru-
higen Abwarten hat Friedrich das Ziel erreicht, und
Schwierigkeiten umgangen, gegen die ſeine Kraft zerſchellt
ſein wuͤrde. —
Das Verhaͤltniß der Streitkraͤfte, welche die Ruſſen
den Franzoſen im Jahr 1812 bei Eroͤffnung des Feld-
zugs entgegenzuſtellen hatten, war noch viel unguͤnſtiger
als es fuͤr Friedrich dem Großen im ſiebenjaͤhrigen Kriege
geweſen war. Allein die Ruſſen hatten die Ausſicht ſich
im Laufe des Feldzugs betraͤchtlich zu verſtaͤrken. Bona-
parte hatte ganz Europa zu heimlichen Feinden, ſeine Macht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/173>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.