Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese könnte an das äußerste Ziel der Anstrengungen
führen, wenn sich ein solches bestimmen ließe. Dann
würde aber die Rücksicht auf die Größe der politischen
Forderungen verloren gehen, das Mittel alles Verhältniß
zum Zweck verlieren, und in den meisten Fällen diese
Absicht einer äußersten Anstrengung an dem Gegengewicht
der eigenen inneren Verhältnisse scheitern.

Auf diese Weise wird der Kriegsunternehmer wieder in
einen Mittelweg zurückgeführt, in welchem er gewisser-
maaßen nach dem direkten Grundsatz handelt, um diejenigen
Kräfte aufzuwenden und sich im Kriege dasjenige Ziel zu
stellen, welches zur Erreichung seines politischen Zweckes
eben hinreicht. Um diesen Grundsatz möglich zu machen,
muß er jeder absoluten Nothwendigkeit des Erfolges entsagen,
die entfernten Möglichkeiten aus der Rechnung weglassen.

Hier verläßt also die Thätigkeit des Verstandes das
Gebiet der strengen Wissenschaft, der Logik und Mathe-
matik, und wird, im weiten Verstande des Wortes, zur
Kunst, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unübersehbaren
Menge von Gegenständen und Verhältnissen die wichtigsten
und entscheidenden durch den Takt des Urtheils herauszu-
finden. Dieser Takt des Urtheils besteht unstreitig mehr
oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Größen
und Verhältnisse, wodurch die entfernten und unwichtigen
schneller beseitigt und die nächsten und wichtigsten schneller
herausgefunden werden, als wenn dies auf dem Wege
strenger Schlußfolge geschehen sollte.

Um also das Maaß der Mittel kennen zu lernen,
welches wir für den Krieg aufzubieten haben, müssen wir
den politischen Zweck desselben unserer Seits und von Seiten
des Feindes bedenken; wir müssen die Kräfte und Verhält-
nisse des feindlichen Staates und des unsrigen; wir müssen

Dieſe koͤnnte an das aͤußerſte Ziel der Anſtrengungen
fuͤhren, wenn ſich ein ſolches beſtimmen ließe. Dann
wuͤrde aber die Ruͤckſicht auf die Groͤße der politiſchen
Forderungen verloren gehen, das Mittel alles Verhaͤltniß
zum Zweck verlieren, und in den meiſten Faͤllen dieſe
Abſicht einer aͤußerſten Anſtrengung an dem Gegengewicht
der eigenen inneren Verhaͤltniſſe ſcheitern.

Auf dieſe Weiſe wird der Kriegsunternehmer wieder in
einen Mittelweg zuruͤckgefuͤhrt, in welchem er gewiſſer-
maaßen nach dem direkten Grundſatz handelt, um diejenigen
Kraͤfte aufzuwenden und ſich im Kriege dasjenige Ziel zu
ſtellen, welches zur Erreichung ſeines politiſchen Zweckes
eben hinreicht. Um dieſen Grundſatz moͤglich zu machen,
muß er jeder abſoluten Nothwendigkeit des Erfolges entſagen,
die entfernten Moͤglichkeiten aus der Rechnung weglaſſen.

Hier verlaͤßt alſo die Thaͤtigkeit des Verſtandes das
Gebiet der ſtrengen Wiſſenſchaft, der Logik und Mathe-
matik, und wird, im weiten Verſtande des Wortes, zur
Kunſt, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unuͤberſehbaren
Menge von Gegenſtaͤnden und Verhaͤltniſſen die wichtigſten
und entſcheidenden durch den Takt des Urtheils herauszu-
finden. Dieſer Takt des Urtheils beſteht unſtreitig mehr
oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Groͤßen
und Verhaͤltniſſe, wodurch die entfernten und unwichtigen
ſchneller beſeitigt und die naͤchſten und wichtigſten ſchneller
herausgefunden werden, als wenn dies auf dem Wege
ſtrenger Schlußfolge geſchehen ſollte.

Um alſo das Maaß der Mittel kennen zu lernen,
welches wir fuͤr den Krieg aufzubieten haben, muͤſſen wir
den politiſchen Zweck deſſelben unſerer Seits und von Seiten
des Feindes bedenken; wir muͤſſen die Kraͤfte und Verhaͤlt-
niſſe des feindlichen Staates und des unſrigen; wir muͤſſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0117" n="103"/>
          <p>Die&#x017F;e ko&#x0364;nnte an das a&#x0364;ußer&#x017F;te Ziel der An&#x017F;trengungen<lb/>
fu&#x0364;hren, wenn &#x017F;ich ein &#x017F;olches be&#x017F;timmen ließe. Dann<lb/>
wu&#x0364;rde aber die Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf die Gro&#x0364;ße der politi&#x017F;chen<lb/>
Forderungen verloren gehen, das Mittel alles Verha&#x0364;ltniß<lb/>
zum Zweck verlieren, und in den mei&#x017F;ten Fa&#x0364;llen die&#x017F;e<lb/>
Ab&#x017F;icht einer a&#x0364;ußer&#x017F;ten An&#x017F;trengung an dem Gegengewicht<lb/>
der eigenen inneren Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;cheitern.</p><lb/>
          <p>Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e wird der Kriegsunternehmer wieder in<lb/>
einen Mittelweg zuru&#x0364;ckgefu&#x0364;hrt, in welchem er gewi&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
maaßen nach dem direkten Grund&#x017F;atz handelt, um diejenigen<lb/>
Kra&#x0364;fte aufzuwenden und &#x017F;ich im Kriege dasjenige Ziel zu<lb/>
&#x017F;tellen, welches zur Erreichung &#x017F;eines politi&#x017F;chen Zweckes<lb/>
eben hinreicht. Um die&#x017F;en Grund&#x017F;atz mo&#x0364;glich zu machen,<lb/>
muß er jeder ab&#x017F;oluten Nothwendigkeit des Erfolges ent&#x017F;agen,<lb/>
die entfernten Mo&#x0364;glichkeiten aus der Rechnung wegla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Hier verla&#x0364;ßt al&#x017F;o die Tha&#x0364;tigkeit des Ver&#x017F;tandes das<lb/>
Gebiet der &#x017F;trengen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, der Logik und Mathe-<lb/>
matik, und wird, im weiten Ver&#x017F;tande des Wortes, zur<lb/>
Kun&#x017F;t, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unu&#x0364;ber&#x017F;ehbaren<lb/>
Menge von Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden und Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en die wichtig&#x017F;ten<lb/>
und ent&#x017F;cheidenden durch den Takt des Urtheils herauszu-<lb/>
finden. Die&#x017F;er Takt des Urtheils be&#x017F;teht un&#x017F;treitig mehr<lb/>
oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Gro&#x0364;ßen<lb/>
und Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e, wodurch die entfernten und unwichtigen<lb/>
&#x017F;chneller be&#x017F;eitigt und die na&#x0364;ch&#x017F;ten und wichtig&#x017F;ten &#x017F;chneller<lb/>
herausgefunden werden, als wenn dies auf dem Wege<lb/>
&#x017F;trenger Schlußfolge ge&#x017F;chehen &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Um al&#x017F;o das Maaß der Mittel kennen zu lernen,<lb/>
welches wir fu&#x0364;r den Krieg aufzubieten haben, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir<lb/>
den politi&#x017F;chen Zweck de&#x017F;&#x017F;elben un&#x017F;erer Seits und von Seiten<lb/>
des Feindes bedenken; wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die Kra&#x0364;fte und Verha&#x0364;lt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e des feindlichen Staates und des un&#x017F;rigen; wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0117] Dieſe koͤnnte an das aͤußerſte Ziel der Anſtrengungen fuͤhren, wenn ſich ein ſolches beſtimmen ließe. Dann wuͤrde aber die Ruͤckſicht auf die Groͤße der politiſchen Forderungen verloren gehen, das Mittel alles Verhaͤltniß zum Zweck verlieren, und in den meiſten Faͤllen dieſe Abſicht einer aͤußerſten Anſtrengung an dem Gegengewicht der eigenen inneren Verhaͤltniſſe ſcheitern. Auf dieſe Weiſe wird der Kriegsunternehmer wieder in einen Mittelweg zuruͤckgefuͤhrt, in welchem er gewiſſer- maaßen nach dem direkten Grundſatz handelt, um diejenigen Kraͤfte aufzuwenden und ſich im Kriege dasjenige Ziel zu ſtellen, welches zur Erreichung ſeines politiſchen Zweckes eben hinreicht. Um dieſen Grundſatz moͤglich zu machen, muß er jeder abſoluten Nothwendigkeit des Erfolges entſagen, die entfernten Moͤglichkeiten aus der Rechnung weglaſſen. Hier verlaͤßt alſo die Thaͤtigkeit des Verſtandes das Gebiet der ſtrengen Wiſſenſchaft, der Logik und Mathe- matik, und wird, im weiten Verſtande des Wortes, zur Kunſt, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unuͤberſehbaren Menge von Gegenſtaͤnden und Verhaͤltniſſen die wichtigſten und entſcheidenden durch den Takt des Urtheils herauszu- finden. Dieſer Takt des Urtheils beſteht unſtreitig mehr oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Groͤßen und Verhaͤltniſſe, wodurch die entfernten und unwichtigen ſchneller beſeitigt und die naͤchſten und wichtigſten ſchneller herausgefunden werden, als wenn dies auf dem Wege ſtrenger Schlußfolge geſchehen ſollte. Um alſo das Maaß der Mittel kennen zu lernen, welches wir fuͤr den Krieg aufzubieten haben, muͤſſen wir den politiſchen Zweck deſſelben unſerer Seits und von Seiten des Feindes bedenken; wir muͤſſen die Kraͤfte und Verhaͤlt- niſſe des feindlichen Staates und des unſrigen; wir muͤſſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/117
Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/117>, abgerufen am 25.11.2024.