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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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das sich gewaschen, tüchtig und brav, und reich
wie ein Crösus! Er hat gerade ein halbes Dutzend
der schönsten Güter im Lande, dann die weltbe¬
rühmte Bleiweißfabrik in Osterberg, und Conne¬
xionen! Armes Tinchen, schade, daß er Dir
verloren ist!"

Aber Tina überhörte den Scherz ärgerlich;
sie sah nach dem schönen Crösus, der seiner Ge¬
sellschaft da oben an der Tafel herzlich müde zu
sein schien. In dem puren Ärger über die lang¬
weiligen Redensarten der vergelbten Letty ver¬
schlang er eben ein halbes gespicktes Hähnchen,
murmelte höchstens ein kurzes Ja oder Nein, und
stürzte den Wein hinunter, als solle er acht Tage
dürsten. Es war ihr nicht entgangen, als man
des Vaters Gesundheit ausgebracht, und der Oncle
Heinrich hinterher seinen alten Witz mit dem
General von Knusemon angebracht, hatte Blauen¬
stein sie so bedeutungsvoll angesehn, und sein
Glas auf einen Zug geleert. Aber was half
zuletzt die so unzulängliche Sprache der Augen
bei so vielen Beobachtern? -- Tina würfelte mit
fünf weissagenden Brodkügelchen, um ein Kreuz zu
werfen, das ihr Glück verheißen sollte. Aber war
es ihre Hastigkeit, war es eine unfreundliche Vor¬
bedeutung, es wollte auch absolut kein Kreuz zum

das ſich gewaſchen, tuͤchtig und brav, und reich
wie ein Croͤſus! Er hat gerade ein halbes Dutzend
der ſchoͤnſten Guͤter im Lande, dann die weltbe¬
ruͤhmte Bleiweißfabrik in Oſterberg, und Conne¬
xionen! Armes Tinchen, ſchade, daß er Dir
verloren iſt!“

Aber Tina uͤberhoͤrte den Scherz aͤrgerlich;
ſie ſah nach dem ſchoͤnen Croͤſus, der ſeiner Ge¬
ſellſchaft da oben an der Tafel herzlich muͤde zu
ſein ſchien. In dem puren Ärger uͤber die lang¬
weiligen Redensarten der vergelbten Letty ver¬
ſchlang er eben ein halbes geſpicktes Haͤhnchen,
murmelte hoͤchſtens ein kurzes Ja oder Nein, und
ſtuͤrzte den Wein hinunter, als ſolle er acht Tage
duͤrſten. Es war ihr nicht entgangen, als man
des Vaters Geſundheit ausgebracht, und der Oncle
Heinrich hinterher ſeinen alten Witz mit dem
General von Knuſemon angebracht, hatte Blauen¬
ſtein ſie ſo bedeutungsvoll angeſehn, und ſein
Glas auf einen Zug geleert. Aber was half
zuletzt die ſo unzulaͤngliche Sprache der Augen
bei ſo vielen Beobachtern? — Tina wuͤrfelte mit
fuͤnf weiſſagenden Brodkuͤgelchen, um ein Kreuz zu
werfen, das ihr Gluͤck verheißen ſollte. Aber war
es ihre Haſtigkeit, war es eine unfreundliche Vor¬
bedeutung, es wollte auch abſolut kein Kreuz zum

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[24/0030] das ſich gewaſchen, tuͤchtig und brav, und reich wie ein Croͤſus! Er hat gerade ein halbes Dutzend der ſchoͤnſten Guͤter im Lande, dann die weltbe¬ ruͤhmte Bleiweißfabrik in Oſterberg, und Conne¬ xionen! Armes Tinchen, ſchade, daß er Dir verloren iſt!“ Aber Tina uͤberhoͤrte den Scherz aͤrgerlich; ſie ſah nach dem ſchoͤnen Croͤſus, der ſeiner Ge¬ ſellſchaft da oben an der Tafel herzlich muͤde zu ſein ſchien. In dem puren Ärger uͤber die lang¬ weiligen Redensarten der vergelbten Letty ver¬ ſchlang er eben ein halbes geſpicktes Haͤhnchen, murmelte hoͤchſtens ein kurzes Ja oder Nein, und ſtuͤrzte den Wein hinunter, als ſolle er acht Tage duͤrſten. Es war ihr nicht entgangen, als man des Vaters Geſundheit ausgebracht, und der Oncle Heinrich hinterher ſeinen alten Witz mit dem General von Knuſemon angebracht, hatte Blauen¬ ſtein ſie ſo bedeutungsvoll angeſehn, und ſein Glas auf einen Zug geleert. Aber was half zuletzt die ſo unzulaͤngliche Sprache der Augen bei ſo vielen Beobachtern? — Tina wuͤrfelte mit fuͤnf weiſſagenden Brodkuͤgelchen, um ein Kreuz zu werfen, das ihr Gluͤck verheißen ſollte. Aber war es ihre Haſtigkeit, war es eine unfreundliche Vor¬ bedeutung, es wollte auch abſolut kein Kreuz zum

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/30>, abgerufen am 05.05.2024.