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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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sein, und kam ihm erröthend und mit zarter
Zuvorkommenheit, in der doch so viel Sitte lag,
entgegen. War denn seinem armen Herzen zum
Trotz das Mädchen in den wenigen Monaten noch
schöner geworden, hatte ihm die frische, belebende
Mailuft den zarten Sammt der Wange noch lieb¬
licher überpurpurt, dem schmachtenden Blicke des
Seelenauges noch innigern Reiz verliehn, Blauen¬
stein blieb vor ihr stehn, und stammelte irgend
eine Entschuldigung mühsam hervor.

"Sie haben mich recht erschreckt," erwiederte
Tina freundlich, "wenn uns schon Staunitz Ihren
Besuch ankündigte. Ich saß mit Bruder Emil
in der Laube, aber bestimmt haben Sie uns von
Weitem -- "

"Ihr Bruder, Fräulein?!" rief Blauenstein
in der höchsten Überraschung, und Tina führte
den jungen, liebenswürdigen Mann ihm entgegen.
Wie ungeheuer hatte er das Mädchen verkannt,
wie hatte er sich verblenden lassen von seiner
Hitze, wo er doch seiner Sache hätte gewiß sein
sollen. Kindisch freute er sich seines Irrthums,
und erwiederte des jungen Grafen Worte mit ver¬
bindender Freundlichkeit und Laune. Der letztere
war seit wenigen Tagen in das elterliche Haus
zurückgekehrt; er liebte seine Schwester mit inni¬

ſein, und kam ihm erroͤthend und mit zarter
Zuvorkommenheit, in der doch ſo viel Sitte lag,
entgegen. War denn ſeinem armen Herzen zum
Trotz das Maͤdchen in den wenigen Monaten noch
ſchoͤner geworden, hatte ihm die friſche, belebende
Mailuft den zarten Sammt der Wange noch lieb¬
licher uͤberpurpurt, dem ſchmachtenden Blicke des
Seelenauges noch innigern Reiz verliehn, Blauen¬
ſtein blieb vor ihr ſtehn, und ſtammelte irgend
eine Entſchuldigung muͤhſam hervor.

„Sie haben mich recht erſchreckt,“ erwiederte
Tina freundlich, „wenn uns ſchon Staunitz Ihren
Beſuch ankuͤndigte. Ich ſaß mit Bruder Emil
in der Laube, aber beſtimmt haben Sie uns von
Weitem — “

„Ihr Bruder, Fraͤulein?!“ rief Blauenſtein
in der hoͤchſten Überraſchung, und Tina fuͤhrte
den jungen, liebenswuͤrdigen Mann ihm entgegen.
Wie ungeheuer hatte er das Maͤdchen verkannt,
wie hatte er ſich verblenden laſſen von ſeiner
Hitze, wo er doch ſeiner Sache haͤtte gewiß ſein
ſollen. Kindiſch freute er ſich ſeines Irrthums,
und erwiederte des jungen Grafen Worte mit ver¬
bindender Freundlichkeit und Laune. Der letztere
war ſeit wenigen Tagen in das elterliche Haus
zuruͤckgekehrt; er liebte ſeine Schweſter mit inni¬

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[172/0178] ſein, und kam ihm erroͤthend und mit zarter Zuvorkommenheit, in der doch ſo viel Sitte lag, entgegen. War denn ſeinem armen Herzen zum Trotz das Maͤdchen in den wenigen Monaten noch ſchoͤner geworden, hatte ihm die friſche, belebende Mailuft den zarten Sammt der Wange noch lieb¬ licher uͤberpurpurt, dem ſchmachtenden Blicke des Seelenauges noch innigern Reiz verliehn, Blauen¬ ſtein blieb vor ihr ſtehn, und ſtammelte irgend eine Entſchuldigung muͤhſam hervor. „Sie haben mich recht erſchreckt,“ erwiederte Tina freundlich, „wenn uns ſchon Staunitz Ihren Beſuch ankuͤndigte. Ich ſaß mit Bruder Emil in der Laube, aber beſtimmt haben Sie uns von Weitem — “ „Ihr Bruder, Fraͤulein?!“ rief Blauenſtein in der hoͤchſten Überraſchung, und Tina fuͤhrte den jungen, liebenswuͤrdigen Mann ihm entgegen. Wie ungeheuer hatte er das Maͤdchen verkannt, wie hatte er ſich verblenden laſſen von ſeiner Hitze, wo er doch ſeiner Sache haͤtte gewiß ſein ſollen. Kindiſch freute er ſich ſeines Irrthums, und erwiederte des jungen Grafen Worte mit ver¬ bindender Freundlichkeit und Laune. Der letztere war ſeit wenigen Tagen in das elterliche Haus zuruͤckgekehrt; er liebte ſeine Schweſter mit inni¬

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/178>, abgerufen am 23.11.2024.