Mit pochendem Herzen kam ich auf dem Landgute an. Alles verrieth Geschmack in der Anlage, Reichthum und Überfluß, und ich dachte an meine drückende Armuth. Ein kleines Bauer¬ mädchen zeigte mir den Weg nach der Wohnung der Herrschaft; ich wählte den Weg durch den weitläufigen Garten, und öffnete die hohe eiserne Gitterthüre, welche dahin führte. In einer schat¬ tigen Lindenallee promenirte ein langer, hagerer Mann, dessen Kleidung den Eigenthümer der herrlichen Besitzungen nicht verrieth. Auch hatte man mir Herrn Maiberg als einen corpulenten Mann geschildert; dieser konnte es nicht sein. Ich trat dem Manne näher, fragte, ob er mich nicht an Herrn Maiberg weisen könne, den ich zu sprechen wünsche, und ob er selbst etwa zu dem Hause desselben gehöre.
Der Mann sah mich mit einem sonderbaren Lächlen an, und erwiederte, er gehöre allerdings zum Hause, allein Herr Maiberg wäre in Ge¬ schäften jetzt nicht zu sprechen. Er mogte bemer¬ ken, wie unangenehm mir dies sei, und fragte daher, was mein Anliegen wäre. Ich trug meine Sache kurz vor, und als der hagere Spatzier¬ gänger freundlicher wurde, holte ich aus meiner Tasche den quästionirten Actenauszug. Aber da
Mit pochendem Herzen kam ich auf dem Landgute an. Alles verrieth Geſchmack in der Anlage, Reichthum und Überfluß, und ich dachte an meine druͤckende Armuth. Ein kleines Bauer¬ maͤdchen zeigte mir den Weg nach der Wohnung der Herrſchaft; ich waͤhlte den Weg durch den weitlaͤufigen Garten, und oͤffnete die hohe eiſerne Gitterthuͤre, welche dahin fuͤhrte. In einer ſchat¬ tigen Lindenallee promenirte ein langer, hagerer Mann, deſſen Kleidung den Eigenthuͤmer der herrlichen Beſitzungen nicht verrieth. Auch hatte man mir Herrn Maiberg als einen corpulenten Mann geſchildert; dieſer konnte es nicht ſein. Ich trat dem Manne naͤher, fragte, ob er mich nicht an Herrn Maiberg weiſen koͤnne, den ich zu ſprechen wuͤnſche, und ob er ſelbſt etwa zu dem Hauſe deſſelben gehoͤre.
Der Mann ſah mich mit einem ſonderbaren Laͤchlen an, und erwiederte, er gehoͤre allerdings zum Hauſe, allein Herr Maiberg waͤre in Ge¬ ſchaͤften jetzt nicht zu ſprechen. Er mogte bemer¬ ken, wie unangenehm mir dies ſei, und fragte daher, was mein Anliegen waͤre. Ich trug meine Sache kurz vor, und als der hagere Spatzier¬ gaͤnger freundlicher wurde, holte ich aus meiner Taſche den quaͤſtionirten Actenauszug. Aber da
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Mit pochendem Herzen kam ich auf dem
Landgute an. Alles verrieth Geſchmack in der
Anlage, Reichthum und Überfluß, und ich dachte
an meine druͤckende Armuth. Ein kleines Bauer¬
maͤdchen zeigte mir den Weg nach der Wohnung
der Herrſchaft; ich waͤhlte den Weg durch den
weitlaͤufigen Garten, und oͤffnete die hohe eiſerne
Gitterthuͤre, welche dahin fuͤhrte. In einer ſchat¬
tigen Lindenallee promenirte ein langer, hagerer
Mann, deſſen Kleidung den Eigenthuͤmer der
herrlichen Beſitzungen nicht verrieth. Auch hatte
man mir Herrn Maiberg als einen corpulenten
Mann geſchildert; dieſer konnte es nicht ſein.
Ich trat dem Manne naͤher, fragte, ob er mich
nicht an Herrn Maiberg weiſen koͤnne, den ich
zu ſprechen wuͤnſche, und ob er ſelbſt etwa zu
dem Hauſe deſſelben gehoͤre.
Der Mann ſah mich mit einem ſonderbaren
Laͤchlen an, und erwiederte, er gehoͤre allerdings
zum Hauſe, allein Herr Maiberg waͤre in Ge¬
ſchaͤften jetzt nicht zu ſprechen. Er mogte bemer¬
ken, wie unangenehm mir dies ſei, und fragte
daher, was mein Anliegen waͤre. Ich trug meine
Sache kurz vor, und als der hagere Spatzier¬
gaͤnger freundlicher wurde, holte ich aus meiner
Taſche den quaͤſtionirten Actenauszug. Aber da
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/123>, abgerufen am 18.05.2024.
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