Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Eilfftes Capitel,
gemeine und gantz natürliche Eigenschafft derer, die
von weiten Reisen wiederkommen, daß sie die Leu-
te durch ihre Erzehlung in Verwunderung setzen
wollen. Jeder erwartet auch dergleichen von ih-
nen. Dieser Erwartung ein Gnüge zu thun, ver-
grössern
dergleichen Personen insgemein das, was
sie in fremden Landen gesehen haben. Ob nun gleich
solches auf eine Art geschehen könte, welche die
Wahrheit noch nicht so sehr beleidigte; (§. 21. C. 6.)
so tragen doch die von Reisen zurück gekommene
kein Bedencken, offt die grössesten Unwahrhei-
ten und völlige Erdichtungen theils zu reden, theils
zu dencken. Jhre Frechheit gründet sich auf fol-
genden Umstand. Von einheimischen, zumahl
öffentlichen Dingen, scheuet sich jeder, Unwahr-
heiten, die gar nicht mit einer gewissen Erzeh-
lungsart
können entschuldiget werden, zu schrei-
ben, weil er zu besorgen hat, daß ihm jeder wider-
spricht, und er zum Gelächter werden möchte.
(§. 32. C. 9.) Aber wenn iemand, der aus sehr
fernen Landen zurück kommt, noch so arge Unwahr-
heiten redet, so darf er doch nicht besorgen, daß ie-
mand gleich da seyn werde, der ihm seine Abferti-
gung geben dürffte. Hieraus entstehet die licentia
mentiendi
bey denen, die Reisebeschreibungen ma-
chen. Jetzo aber, da die Reisen in alle Welttheile
häuffiger bey uns sind: so wird auch diese Licentz bey
uns mehr eingeschränckt.

§. 31.
Alte und entfernte Nachrichten klingen offt
unwahrscheinlich.

Bey denen Beschreibungen der Dinge, die
in fernen Landen vorgehen, kan sich so wohl, als

bey

Eilfftes Capitel,
gemeine und gantz natuͤrliche Eigenſchafft derer, die
von weiten Reiſen wiederkommen, daß ſie die Leu-
te durch ihre Erzehlung in Verwunderung ſetzen
wollen. Jeder erwartet auch dergleichen von ih-
nen. Dieſer Erwartung ein Gnuͤge zu thun, ver-
groͤſſern
dergleichen Perſonen insgemein das, was
ſie in fremden Landen geſehen haben. Ob nun gleich
ſolches auf eine Art geſchehen koͤnte, welche die
Wahrheit noch nicht ſo ſehr beleidigte; (§. 21. C. 6.)
ſo tragen doch die von Reiſen zuruͤck gekommene
kein Bedencken, offt die groͤſſeſten Unwahrhei-
ten und voͤllige Erdichtungen theils zu reden, theils
zu dencken. Jhre Frechheit gruͤndet ſich auf fol-
genden Umſtand. Von einheimiſchen, zumahl
oͤffentlichen Dingen, ſcheuet ſich jeder, Unwahr-
heiten, die gar nicht mit einer gewiſſen Erzeh-
lungsart
koͤnnen entſchuldiget werden, zu ſchrei-
ben, weil er zu beſorgen hat, daß ihm jeder wider-
ſpricht, und er zum Gelaͤchter werden moͤchte.
(§. 32. C. 9.) Aber wenn iemand, der aus ſehr
fernen Landen zuruͤck kommt, noch ſo arge Unwahr-
heiten redet, ſo darf er doch nicht beſorgen, daß ie-
mand gleich da ſeyn werde, der ihm ſeine Abferti-
gung geben duͤrffte. Hieraus entſtehet die licentia
mentiendi
bey denen, die Reiſebeſchreibungen ma-
chen. Jetzo aber, da die Reiſen in alle Welttheile
haͤuffiger bey uns ſind: ſo wird auch dieſe Licentz bey
uns mehr eingeſchraͤnckt.

§. 31.
Alte und entfernte Nachrichten klingen offt
unwahrſcheinlich.

Bey denen Beſchreibungen der Dinge, die
in fernen Landen vorgehen, kan ſich ſo wohl, als

bey
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0416" n="380"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Eilfftes Capitel,</hi></fw><lb/>
gemeine und gantz natu&#x0364;rliche Eigen&#x017F;chafft derer, die<lb/>
von weiten Rei&#x017F;en wiederkommen, daß &#x017F;ie die Leu-<lb/>
te durch ihre Erzehlung in Verwunderung &#x017F;etzen<lb/>
wollen. Jeder erwartet auch dergleichen von ih-<lb/>
nen. Die&#x017F;er Erwartung ein Gnu&#x0364;ge zu thun, <hi rendition="#fr">ver-<lb/>
gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern</hi> dergleichen Per&#x017F;onen insgemein das, was<lb/>
&#x017F;ie in fremden Landen ge&#x017F;ehen haben. Ob nun gleich<lb/>
&#x017F;olches auf eine Art ge&#x017F;chehen ko&#x0364;nte, welche die<lb/>
Wahrheit noch nicht &#x017F;o &#x017F;ehr beleidigte; (§. 21. C. 6.)<lb/>
&#x017F;o tragen doch die von Rei&#x017F;en zuru&#x0364;ck gekommene<lb/>
kein Bedencken, offt die <hi rendition="#fr">gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten</hi> Unwahrhei-<lb/>
ten und vo&#x0364;llige Erdichtungen theils zu reden, theils<lb/>
zu dencken. Jhre Frechheit gru&#x0364;ndet &#x017F;ich auf fol-<lb/>
genden Um&#x017F;tand. Von einheimi&#x017F;chen, zumahl<lb/>
o&#x0364;ffentlichen Dingen, &#x017F;cheuet &#x017F;ich jeder, Unwahr-<lb/>
heiten, die gar nicht mit einer gewi&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#fr">Erzeh-<lb/>
lungsart</hi> ko&#x0364;nnen ent&#x017F;chuldiget werden, zu &#x017F;chrei-<lb/>
ben, weil er zu be&#x017F;orgen hat, daß ihm jeder wider-<lb/>
&#x017F;pricht, und er zum Gela&#x0364;chter werden mo&#x0364;chte.<lb/>
(§. 32. C. 9.) Aber wenn iemand, der aus &#x017F;ehr<lb/>
fernen Landen zuru&#x0364;ck kommt, noch &#x017F;o arge Unwahr-<lb/>
heiten redet, &#x017F;o darf er doch nicht be&#x017F;orgen, daß ie-<lb/>
mand gleich da &#x017F;eyn werde, der ihm &#x017F;eine Abferti-<lb/>
gung geben du&#x0364;rffte. Hieraus ent&#x017F;tehet die <hi rendition="#aq">licentia<lb/>
mentiendi</hi> bey denen, die Rei&#x017F;ebe&#x017F;chreibungen ma-<lb/>
chen. Jetzo aber, da die Rei&#x017F;en in alle Welttheile<lb/>
ha&#x0364;uffiger bey uns &#x017F;ind: &#x017F;o wird auch die&#x017F;e Licentz bey<lb/>
uns mehr einge&#x017F;chra&#x0364;nckt.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 31.<lb/>
Alte und entfernte Nachrichten klingen offt<lb/>
unwahr&#x017F;cheinlich.</head><lb/>
          <p>Bey denen <hi rendition="#fr">Be&#x017F;chreibungen</hi> der Dinge, die<lb/>
in fernen Landen vorgehen, kan &#x017F;ich &#x017F;o wohl, als<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">bey</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0416] Eilfftes Capitel, gemeine und gantz natuͤrliche Eigenſchafft derer, die von weiten Reiſen wiederkommen, daß ſie die Leu- te durch ihre Erzehlung in Verwunderung ſetzen wollen. Jeder erwartet auch dergleichen von ih- nen. Dieſer Erwartung ein Gnuͤge zu thun, ver- groͤſſern dergleichen Perſonen insgemein das, was ſie in fremden Landen geſehen haben. Ob nun gleich ſolches auf eine Art geſchehen koͤnte, welche die Wahrheit noch nicht ſo ſehr beleidigte; (§. 21. C. 6.) ſo tragen doch die von Reiſen zuruͤck gekommene kein Bedencken, offt die groͤſſeſten Unwahrhei- ten und voͤllige Erdichtungen theils zu reden, theils zu dencken. Jhre Frechheit gruͤndet ſich auf fol- genden Umſtand. Von einheimiſchen, zumahl oͤffentlichen Dingen, ſcheuet ſich jeder, Unwahr- heiten, die gar nicht mit einer gewiſſen Erzeh- lungsart koͤnnen entſchuldiget werden, zu ſchrei- ben, weil er zu beſorgen hat, daß ihm jeder wider- ſpricht, und er zum Gelaͤchter werden moͤchte. (§. 32. C. 9.) Aber wenn iemand, der aus ſehr fernen Landen zuruͤck kommt, noch ſo arge Unwahr- heiten redet, ſo darf er doch nicht beſorgen, daß ie- mand gleich da ſeyn werde, der ihm ſeine Abferti- gung geben duͤrffte. Hieraus entſtehet die licentia mentiendi bey denen, die Reiſebeſchreibungen ma- chen. Jetzo aber, da die Reiſen in alle Welttheile haͤuffiger bey uns ſind: ſo wird auch dieſe Licentz bey uns mehr eingeſchraͤnckt. §. 31. Alte und entfernte Nachrichten klingen offt unwahrſcheinlich. Bey denen Beſchreibungen der Dinge, die in fernen Landen vorgehen, kan ſich ſo wohl, als bey

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/416
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/416>, abgerufen am 24.11.2024.