Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Capitel,
eine natürliche, obgleich nicht nothwendige Ver-
bindung haben. Die erste Art der Folgen ist
zum Theil so beschaffen, daß jedermann gleich auf
die vorhergegangene Geschichte beynahe untrüg-
lich verfällt. Man siehet z. E. eine Menge
Brandstäten in einer Stadt, das ist, eingefalle-
ne. Steine und Leimhauffen, mit vermengten
Brändern; jedermann erkennt darbey, daß es
müsse gebrannt haben. Man findet einen todten
Cörper mit vielen Wunden, woraus eine Menge
Blut geflossen: da glaubt jeder, daß der Mensch
sey ermordet worden. So ist es auch mit den
Geschichten beschaffen, worauf andere Begeben-
heiten
nach der Natur der Seelen, oder nach den
Gesetzen und den Gewohnheiten erfolgen, daß je-
dermann bey Erblickung der letzteren auf die er-
steren schlüsset. Man siehet in einer Stadt, durch
die man reiset, die Leute aus der Kirche gehen;
kan man daraus nicht zuverläßig schlüssen, daß
sie zuvor in die Kirche müssen gegangen seyn? kan
man nicht aus jedem Hause, das man siehet,
schlüssen, daß es müsse erbauet worden seyn?
Ohngeachtet nun diese Begebenheiten, die man
durch solche handgreifliche Schlüsse herausbringt,
schon als Entdeckungen ansehen, und sie so
nennen könte, weil sie nehmlich nicht durch den
natürlichen Weg Geschichte zu erkennen, nehmlich
durch Zuschauen und Nachrichten sind erkannt
worden, so pflegt man doch dergleichen Geschich-
te, welche aus so klaren Folgen erkannt werden,
nicht Entdeckungen zu nennen, sondern man
rechnet sie zur Erkentniß der Geschichte und

Sache

Siebentes Capitel,
eine natuͤrliche, obgleich nicht nothwendige Ver-
bindung haben. Die erſte Art der Folgen iſt
zum Theil ſo beſchaffen, daß jedermann gleich auf
die vorhergegangene Geſchichte beynahe untruͤg-
lich verfaͤllt. Man ſiehet z. E. eine Menge
Brandſtaͤten in einer Stadt, das iſt, eingefalle-
ne. Steine und Leimhauffen, mit vermengten
Braͤndern; jedermann erkennt darbey, daß es
muͤſſe gebrannt haben. Man findet einen todten
Coͤrper mit vielen Wunden, woraus eine Menge
Blut gefloſſen: da glaubt jeder, daß der Menſch
ſey ermordet worden. So iſt es auch mit den
Geſchichten beſchaffen, worauf andere Begeben-
heiten
nach der Natur der Seelen, oder nach den
Geſetzen und den Gewohnheiten erfolgen, daß je-
dermann bey Erblickung der letzteren auf die er-
ſteren ſchluͤſſet. Man ſiehet in einer Stadt, durch
die man reiſet, die Leute aus der Kirche gehen;
kan man daraus nicht zuverlaͤßig ſchluͤſſen, daß
ſie zuvor in die Kirche muͤſſen gegangen ſeyn? kan
man nicht aus jedem Hauſe, das man ſiehet,
ſchluͤſſen, daß es muͤſſe erbauet worden ſeyn?
Ohngeachtet nun dieſe Begebenheiten, die man
durch ſolche handgreifliche Schluͤſſe herausbringt,
ſchon als Entdeckungen anſehen, und ſie ſo
nennen koͤnte, weil ſie nehmlich nicht durch den
natuͤrlichen Weg Geſchichte zu erkennen, nehmlich
durch Zuſchauen und Nachrichten ſind erkannt
worden, ſo pflegt man doch dergleichen Geſchich-
te, welche aus ſo klaren Folgen erkannt werden,
nicht Entdeckungen zu nennen, ſondern man
rechnet ſie zur Erkentniß der Geſchichte und

Sache
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0234" n="198"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Siebentes Capitel,</hi></fw><lb/>
eine natu&#x0364;rliche, obgleich nicht nothwendige Ver-<lb/>
bindung haben. Die er&#x017F;te Art der Folgen i&#x017F;t<lb/>
zum Theil &#x017F;o be&#x017F;chaffen, daß jedermann gleich auf<lb/>
die vorhergegangene Ge&#x017F;chichte beynahe untru&#x0364;g-<lb/>
lich verfa&#x0364;llt. Man &#x017F;iehet z. E. eine Menge<lb/>
Brand&#x017F;ta&#x0364;ten in einer Stadt, das i&#x017F;t, eingefalle-<lb/>
ne. Steine und Leimhauffen, mit vermengten<lb/>
Bra&#x0364;ndern; jedermann erkennt darbey, daß es<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e gebrannt haben. Man findet einen todten<lb/>
Co&#x0364;rper mit vielen Wunden, woraus eine Menge<lb/>
Blut geflo&#x017F;&#x017F;en: da glaubt jeder, daß der Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ey ermordet worden. So i&#x017F;t es auch mit den<lb/>
Ge&#x017F;chichten be&#x017F;chaffen, worauf andere <hi rendition="#fr">Begeben-<lb/>
heiten</hi> nach der Natur der Seelen, oder nach den<lb/>
Ge&#x017F;etzen und den Gewohnheiten erfolgen, daß je-<lb/>
dermann bey Erblickung der letzteren auf die er-<lb/>
&#x017F;teren &#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;et. Man &#x017F;iehet in einer Stadt, durch<lb/>
die man rei&#x017F;et, die Leute aus der Kirche gehen;<lb/>
kan man daraus nicht zuverla&#x0364;ßig &#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
&#x017F;ie zuvor in die Kirche mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en gegangen &#x017F;eyn? kan<lb/>
man nicht aus jedem Hau&#x017F;e, das man &#x017F;iehet,<lb/>
&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e erbauet worden &#x017F;eyn?<lb/>
Ohngeachtet nun die&#x017F;e <hi rendition="#fr">Begebenheiten,</hi> die man<lb/>
durch &#x017F;olche handgreifliche Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e herausbringt,<lb/>
&#x017F;chon als <hi rendition="#fr">Entdeckungen</hi> an&#x017F;ehen, und &#x017F;ie &#x017F;o<lb/>
nennen ko&#x0364;nte, weil &#x017F;ie nehmlich nicht durch den<lb/>
natu&#x0364;rlichen Weg Ge&#x017F;chichte zu erkennen, nehmlich<lb/>
durch Zu&#x017F;chauen und Nachrichten &#x017F;ind erkannt<lb/>
worden, &#x017F;o pflegt man doch dergleichen Ge&#x017F;chich-<lb/>
te, welche aus &#x017F;o klaren Folgen erkannt werden,<lb/>
nicht <hi rendition="#fr">Entdeckungen</hi> zu nennen, &#x017F;ondern man<lb/>
rechnet &#x017F;ie zur Erkentniß der <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chichte</hi> und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Sache</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0234] Siebentes Capitel, eine natuͤrliche, obgleich nicht nothwendige Ver- bindung haben. Die erſte Art der Folgen iſt zum Theil ſo beſchaffen, daß jedermann gleich auf die vorhergegangene Geſchichte beynahe untruͤg- lich verfaͤllt. Man ſiehet z. E. eine Menge Brandſtaͤten in einer Stadt, das iſt, eingefalle- ne. Steine und Leimhauffen, mit vermengten Braͤndern; jedermann erkennt darbey, daß es muͤſſe gebrannt haben. Man findet einen todten Coͤrper mit vielen Wunden, woraus eine Menge Blut gefloſſen: da glaubt jeder, daß der Menſch ſey ermordet worden. So iſt es auch mit den Geſchichten beſchaffen, worauf andere Begeben- heiten nach der Natur der Seelen, oder nach den Geſetzen und den Gewohnheiten erfolgen, daß je- dermann bey Erblickung der letzteren auf die er- ſteren ſchluͤſſet. Man ſiehet in einer Stadt, durch die man reiſet, die Leute aus der Kirche gehen; kan man daraus nicht zuverlaͤßig ſchluͤſſen, daß ſie zuvor in die Kirche muͤſſen gegangen ſeyn? kan man nicht aus jedem Hauſe, das man ſiehet, ſchluͤſſen, daß es muͤſſe erbauet worden ſeyn? Ohngeachtet nun dieſe Begebenheiten, die man durch ſolche handgreifliche Schluͤſſe herausbringt, ſchon als Entdeckungen anſehen, und ſie ſo nennen koͤnte, weil ſie nehmlich nicht durch den natuͤrlichen Weg Geſchichte zu erkennen, nehmlich durch Zuſchauen und Nachrichten ſind erkannt worden, ſo pflegt man doch dergleichen Geſchich- te, welche aus ſo klaren Folgen erkannt werden, nicht Entdeckungen zu nennen, ſondern man rechnet ſie zur Erkentniß der Geſchichte und Sache

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/234
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/234>, abgerufen am 17.05.2024.