§. 14. Verwandelung der Geschichte ins Sinnreiche.
Wenn aber der Zuschauer über dieses sinn- reich ist, oder vor gut befindet, sich bey seiner Erzehlung sinnreich auszudrücken; so werden die Anschauungsurtheile, woraus die Erzehlung be- stehen soll (§. 27. C. 5.), noch ein ander Anse- hen bekommen. Die Rhetorick lehret uns, wie man einen Satz, der Wahrheit unbeschadet, auf mancherley Weise sinnreich ausdrücken kan: und wer will einem Erzehler wehren, daß er sich die- ser Gedenckarten bedienet? zumahl da alle diese sinnreiche Gedenckarten sich nicht sowohl vor all- gemeine Wahrheiten, und vor philosophische Lehrsätze schicken, als vor die historischen Wahr- heiten. Wir haben aber diese Veränderung der Begebenheiten und ihrer Urbilder, welche die Wahrheit derselben keines weges ändern, sondern vielmehr in ein helleres Licht stellen soll, um so viel mehr zu mercken, weil die ältesten Geschichte gar offte in Liedern und Gedichten, und also auf eine sinnreiche Art sind vorgetragen und fort- gepflantzet worden. Wer würde von dem Troja- nischen Kriege viel wissen, wenn ihn nicht Homer besungen hätte? Trockene Erzehlungen hat man ehedem nicht geachtet. Die Folge dieser Ver- wandelung der Geschichte äussert sich hauptsächlich in der Auslegung historischer Bücher; indem der- gleichen sinnreiche Erzehlungen, und zumahl poe- tische Vorstellungen, zwar eine Zeitlang, so lan- ge sich die Sitten und Begriffe nicht ändern, die
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v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
§. 14. Verwandelung der Geſchichte ins Sinnreiche.
Wenn aber der Zuſchauer uͤber dieſes ſinn- reich iſt, oder vor gut befindet, ſich bey ſeiner Erzehlung ſinnreich auszudruͤcken; ſo werden die Anſchauungsurtheile, woraus die Erzehlung be- ſtehen ſoll (§. 27. C. 5.), noch ein ander Anſe- hen bekommen. Die Rhetorick lehret uns, wie man einen Satz, der Wahrheit unbeſchadet, auf mancherley Weiſe ſinnreich ausdruͤcken kan: und wer will einem Erzehler wehren, daß er ſich die- ſer Gedenckarten bedienet? zumahl da alle dieſe ſinnreiche Gedenckarten ſich nicht ſowohl vor all- gemeine Wahrheiten, und vor philoſophiſche Lehrſaͤtze ſchicken, als vor die hiſtoriſchen Wahr- heiten. Wir haben aber dieſe Veraͤnderung der Begebenheiten und ihrer Urbilder, welche die Wahrheit derſelben keines weges aͤndern, ſondern vielmehr in ein helleres Licht ſtellen ſoll, um ſo viel mehr zu mercken, weil die aͤlteſten Geſchichte gar offte in Liedern und Gedichten, und alſo auf eine ſinnreiche Art ſind vorgetragen und fort- gepflantzet worden. Wer wuͤrde von dem Troja- niſchen Kriege viel wiſſen, wenn ihn nicht Homer beſungen haͤtte? Trockene Erzehlungen hat man ehedem nicht geachtet. Die Folge dieſer Ver- wandelung der Geſchichte aͤuſſert ſich hauptſaͤchlich in der Auslegung hiſtoriſcher Buͤcher; indem der- gleichen ſinnreiche Erzehlungen, und zumahl poe- tiſche Vorſtellungen, zwar eine Zeitlang, ſo lan- ge ſich die Sitten und Begriffe nicht aͤndern, die
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v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
§. 14.
Verwandelung der Geſchichte ins Sinnreiche.
Wenn aber der Zuſchauer uͤber dieſes ſinn-
reich iſt, oder vor gut befindet, ſich bey ſeiner
Erzehlung ſinnreich auszudruͤcken; ſo werden die
Anſchauungsurtheile, woraus die Erzehlung be-
ſtehen ſoll (§. 27. C. 5.), noch ein ander Anſe-
hen bekommen. Die Rhetorick lehret uns, wie
man einen Satz, der Wahrheit unbeſchadet, auf
mancherley Weiſe ſinnreich ausdruͤcken kan: und
wer will einem Erzehler wehren, daß er ſich die-
ſer Gedenckarten bedienet? zumahl da alle dieſe
ſinnreiche Gedenckarten ſich nicht ſowohl vor all-
gemeine Wahrheiten, und vor philoſophiſche
Lehrſaͤtze ſchicken, als vor die hiſtoriſchen Wahr-
heiten. Wir haben aber dieſe Veraͤnderung der
Begebenheiten und ihrer Urbilder, welche die
Wahrheit derſelben keines weges aͤndern, ſondern
vielmehr in ein helleres Licht ſtellen ſoll, um ſo
viel mehr zu mercken, weil die aͤlteſten Geſchichte
gar offte in Liedern und Gedichten, und alſo
auf eine ſinnreiche Art ſind vorgetragen und fort-
gepflantzet worden. Wer wuͤrde von dem Troja-
niſchen Kriege viel wiſſen, wenn ihn nicht Homer
beſungen haͤtte? Trockene Erzehlungen hat man
ehedem nicht geachtet. Die Folge dieſer Ver-
wandelung der Geſchichte aͤuſſert ſich hauptſaͤchlich
in der Auslegung hiſtoriſcher Buͤcher; indem der-
gleichen ſinnreiche Erzehlungen, und zumahl poe-
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ge ſich die Sitten und Begriffe nicht aͤndern, die
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/165>, abgerufen am 23.11.2024.
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