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Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802.

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203.

Die Theorie, aus welcher man die Geschwindigkeit des Schalles zu bestimmen pflegt,
scheint ohngeachtet der so beträchtlichen Abweichung von der Erfahrung zu sehr der Natur
gemäß zu seyn, als daß man ihre Richtigkeit abläugnen könnte, man hat also diese Abweichung
auf folgende Arten zu erklären gesucht:

I) "Es möchten wohl in der Luft viele solide oder fremde Theile enthalten seyn, welche
"zwar das Gewicht derselben vermehren, aber deren absolute Elasticität nicht verän-
"dern, und vielleicht den Schall augenblicklich fortleiten; man müsse also auf die Luft,
"wie sie ohne diese Theile seyn würde, Rücksicht nehmen." Nun ergiebt sich aber aus
allen neuern chemischen Untersuchungen elastischer Flüssigkeiten nichts von einer solchen
Beymischung solider Theile, es widerspricht dieser Vermuthung auch der Umstand, daß
nach den Erfahrungen der Schall bey dem ärgsten Nebel- und Regenwetter, wo die
Luft also viele fremde Theile enthält, in ebenderselben Geschwindigkeit fortgeht, wie
bey heiterer Witterung. Uebrigens giebt es allem Ansehen nach keine soliden Körper,
die den Schall augenblicklich fortleiten könnten, indem diejenigen foliden Körper, welche
den Schall am schnellsten fortleiten, selbst wenn sie eine ganz zusammenhängende Strecke
bilden, ihn schwerlich viel über 17mahl schneller als die Luft fortleiten können, wie im
nächsten Abschnitte wird gezeigt werden.
II) "Man betrachte gewöhnlich den Schall als einen einzelnen der Luft mitgetheilten Steß,
"wenn aber mehrere auf einander folgen, so werde vielleicht ein jeder durch die nächst-
"folgenden beschleunigt." Diese Vermuthung äußert Euler in seiner Schrift: con-
jectura physica circa propagationem soni et luminis, Berl.
1750, sieht sie aber in
seiner Abhandlung de la propagation du son §. 42, in den Mem. de l'Acad. de Berlin
1759. als unrichtig an. Wenn eine solche der ganzen Theorie widersprechende Beschleu-
nigung eines Schalles durch die folgenden Statt fände, so müßten höhere Töne schneller
fortgehn, als tiefere, dahingegen aus den Beobachtungen, wo z. B. der Knall eines
kleinen Gewehres und einer Kanone zu gleicher Zeit gehört ward, sich eine gleiche Ge-
schwindigkeit ergiebt. So würde man auch bey Anhörung einer entfernten Musik,
z. B. bey Trompeten und Pauken, die man wohl in einer zu dergleichen Beobachtungen
schon hinreichenden Entfernung noch möchte hören können, ingleichen bey der Russischen
Hörnermusik, die man bey gehöriger Stille bisweilen über 3/4 deutsche Meilen weit noch
203.

Die Theorie, aus welcher man die Geſchwindigkeit des Schalles zu beſtimmen pflegt,
ſcheint ohngeachtet der ſo betraͤchtlichen Abweichung von der Erfahrung zu ſehr der Natur
gemaͤß zu ſeyn, als daß man ihre Richtigkeit ablaͤugnen koͤnnte, man hat alſo dieſe Abweichung
auf folgende Arten zu erklaͤren geſucht:

I) „Es moͤchten wohl in der Luft viele ſolide oder fremde Theile enthalten ſeyn, welche
„zwar das Gewicht derſelben vermehren, aber deren abſolute Elaſticitaͤt nicht veraͤn-
„dern, und vielleicht den Schall augenblicklich fortleiten; man muͤſſe alſo auf die Luft,
„wie ſie ohne dieſe Theile ſeyn wuͤrde, Ruͤckſicht nehmen.“ Nun ergiebt ſich aber aus
allen neuern chemiſchen Unterſuchungen elaſtiſcher Fluͤſſigkeiten nichts von einer ſolchen
Beymiſchung ſolider Theile, es widerſpricht dieſer Vermuthung auch der Umſtand, daß
nach den Erfahrungen der Schall bey dem aͤrgſten Nebel- und Regenwetter, wo die
Luft alſo viele fremde Theile enthaͤlt, in ebenderſelben Geſchwindigkeit fortgeht, wie
bey heiterer Witterung. Uebrigens giebt es allem Anſehen nach keine ſoliden Koͤrper,
die den Schall augenblicklich fortleiten koͤnnten, indem diejenigen foliden Koͤrper, welche
den Schall am ſchnellſten fortleiten, ſelbſt wenn ſie eine ganz zuſammenhaͤngende Strecke
bilden, ihn ſchwerlich viel uͤber 17mahl ſchneller als die Luft fortleiten koͤnnen, wie im
naͤchſten Abſchnitte wird gezeigt werden.
II) „Man betrachte gewoͤhnlich den Schall als einen einzelnen der Luft mitgetheilten Steß,
„wenn aber mehrere auf einander folgen, ſo werde vielleicht ein jeder durch die naͤchſt-
„folgenden beſchleunigt.“ Dieſe Vermuthung aͤußert Euler in ſeiner Schrift: con-
jectura physica circa propagationem soni et luminis, Berl.
1750, ſieht ſie aber in
ſeiner Abhandlung de la propagation du son §. 42, in den Mém. de l’Acad. de Berlin
1759. als unrichtig an. Wenn eine ſolche der ganzen Theorie widerſprechende Beſchleu-
nigung eines Schalles durch die folgenden Statt faͤnde, ſo muͤßten hoͤhere Toͤne ſchneller
fortgehn, als tiefere, dahingegen aus den Beobachtungen, wo z. B. der Knall eines
kleinen Gewehres und einer Kanone zu gleicher Zeit gehoͤrt ward, ſich eine gleiche Ge-
ſchwindigkeit ergiebt. So wuͤrde man auch bey Anhoͤrung einer entfernten Muſik,
z. B. bey Trompeten und Pauken, die man wohl in einer zu dergleichen Beobachtungen
ſchon hinreichenden Entfernung noch moͤchte hoͤren koͤnnen, ingleichen bey der Ruſſiſchen
Hoͤrnermuſik, die man bey gehoͤriger Stille bisweilen uͤber ¾ deutſche Meilen weit noch
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[224/0258] 203. Die Theorie, aus welcher man die Geſchwindigkeit des Schalles zu beſtimmen pflegt, ſcheint ohngeachtet der ſo betraͤchtlichen Abweichung von der Erfahrung zu ſehr der Natur gemaͤß zu ſeyn, als daß man ihre Richtigkeit ablaͤugnen koͤnnte, man hat alſo dieſe Abweichung auf folgende Arten zu erklaͤren geſucht: I) „Es moͤchten wohl in der Luft viele ſolide oder fremde Theile enthalten ſeyn, welche „zwar das Gewicht derſelben vermehren, aber deren abſolute Elaſticitaͤt nicht veraͤn- „dern, und vielleicht den Schall augenblicklich fortleiten; man muͤſſe alſo auf die Luft, „wie ſie ohne dieſe Theile ſeyn wuͤrde, Ruͤckſicht nehmen.“ Nun ergiebt ſich aber aus allen neuern chemiſchen Unterſuchungen elaſtiſcher Fluͤſſigkeiten nichts von einer ſolchen Beymiſchung ſolider Theile, es widerſpricht dieſer Vermuthung auch der Umſtand, daß nach den Erfahrungen der Schall bey dem aͤrgſten Nebel- und Regenwetter, wo die Luft alſo viele fremde Theile enthaͤlt, in ebenderſelben Geſchwindigkeit fortgeht, wie bey heiterer Witterung. Uebrigens giebt es allem Anſehen nach keine ſoliden Koͤrper, die den Schall augenblicklich fortleiten koͤnnten, indem diejenigen foliden Koͤrper, welche den Schall am ſchnellſten fortleiten, ſelbſt wenn ſie eine ganz zuſammenhaͤngende Strecke bilden, ihn ſchwerlich viel uͤber 17mahl ſchneller als die Luft fortleiten koͤnnen, wie im naͤchſten Abſchnitte wird gezeigt werden. II) „Man betrachte gewoͤhnlich den Schall als einen einzelnen der Luft mitgetheilten Steß, „wenn aber mehrere auf einander folgen, ſo werde vielleicht ein jeder durch die naͤchſt- „folgenden beſchleunigt.“ Dieſe Vermuthung aͤußert Euler in ſeiner Schrift: con- jectura physica circa propagationem soni et luminis, Berl. 1750, ſieht ſie aber in ſeiner Abhandlung de la propagation du son §. 42, in den Mém. de l’Acad. de Berlin 1759. als unrichtig an. Wenn eine ſolche der ganzen Theorie widerſprechende Beſchleu- nigung eines Schalles durch die folgenden Statt faͤnde, ſo muͤßten hoͤhere Toͤne ſchneller fortgehn, als tiefere, dahingegen aus den Beobachtungen, wo z. B. der Knall eines kleinen Gewehres und einer Kanone zu gleicher Zeit gehoͤrt ward, ſich eine gleiche Ge- ſchwindigkeit ergiebt. So wuͤrde man auch bey Anhoͤrung einer entfernten Muſik, z. B. bey Trompeten und Pauken, die man wohl in einer zu dergleichen Beobachtungen ſchon hinreichenden Entfernung noch moͤchte hoͤren koͤnnen, ingleichen bey der Ruſſiſchen Hoͤrnermuſik, die man bey gehoͤriger Stille bisweilen uͤber ¾ deutſche Meilen weit noch

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Zitationshilfe: Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/258>, abgerufen am 24.11.2024.