Bey dem Grundtone einer Saite giebt es kein Mittel, um das Mitklingen höherer Töne zu verhindern, weil nirgends ein Schwingungsknoten ist, und man also die Saite nir- gends berühren oder dämpfen darf. Hingegen bey allen denen Schwingungsarten, wo sich die Saite in gleiche Theile theilt, lassen sich, wie ich solches schon im Allgemeinen erwähnt habe, durch Berührung der Schwingungsknoten alle diejenigen Töne ausschließen, bey welchen die berührte Stelle mitschwingen müßte, durch welches Mittel man also jeden Ton ganz rein ohne Beymischung irgend eines andern darstellen kann. Wahrscheinlich liegt der Grund, warum die Flageolettöne auf dem Violoncell oder andern Geigeninstrumenten sanfter klingen, als ebendieselben Töne, wenn sie auf die gewöhnliche Weise gegriffen werden, hauptsächlich darin, weil dabey nicht so leicht eine Beymischung anderer Töne Statt findet.
181.
Eine Orgelpfeife oder' ein anderes Blasinstrument' giebt auch bisweilen mehr als einen Ton zugleich, wenn die Art des Anblasens zwischen denen, welche zu genauer Hervorbringung des einen und des andern Tones erfordert werden, ungefähr die Mitte hält. An einer offenen Pfeife können nur solche Töne beysammen seyn, die mit den geraden Zahlen und an einer gedeckten nur solche, die mit den ungeraden Zahlen übereinkommen.
Eben so wie eine longitudinale Luftschwingung durch die andere nicht gehindert wird, so findet auch ebendasselbe Statt bey den Longitudinalschwingungen eines Stabes oder einer Saite, wo auch bisweilen mehr als ein Ton zugleich vorhanden seyn kann.
182.
An einem transversal schwingenden Stabe können keine mit der natürlichen Zahlen- folge übereinstimmenden, sondern nur solche Töne beysammen seyn, die sehr unharmonische Verhältnisse gegen einander haben. Wenn (§. 80.) der Stab an dem einen Ende befestigt, und an deni andern frey ist, so wie z. B. die Stifte an der Eisenvioline sind, so verhält sich der Grundton, wo der ganze Stab sich bewegt, zu dem nächstfolgenden wie 4 : 25 und von diesem an gerechnet verhält sich die Tonfolge, wie die Quadrate von 3, 5, 7, 9 u. s. w. mithin wenn man den Grundton als 1 ansehen will, so ist die Folge derer Töne, welche zugleich hörbar seyn können, 1, 61/4, 17, 34, 561/4 u. s. w. Jn den kleinsten ganzen Zahlen
C c 2
180.
Bey dem Grundtone einer Saite giebt es kein Mittel, um das Mitklingen hoͤherer Toͤne zu verhindern, weil nirgends ein Schwingungsknoten iſt, und man alſo die Saite nir- gends beruͤhren oder daͤmpfen darf. Hingegen bey allen denen Schwingungsarten, wo ſich die Saite in gleiche Theile theilt, laſſen ſich, wie ich ſolches ſchon im Allgemeinen erwaͤhnt habe, durch Beruͤhrung der Schwingungsknoten alle diejenigen Toͤne ausſchließen, bey welchen die beruͤhrte Stelle mitſchwingen muͤßte, durch welches Mittel man alſo jeden Ton ganz rein ohne Beymiſchung irgend eines andern darſtellen kann. Wahrſcheinlich liegt der Grund, warum die Flageolettoͤne auf dem Violoncell oder andern Geigeninſtrumenten ſanfter klingen, als ebendieſelben Toͤne, wenn ſie auf die gewoͤhnliche Weiſe gegriffen werden, hauptſaͤchlich darin, weil dabey nicht ſo leicht eine Beymiſchung anderer Toͤne Statt findet.
181.
Eine Orgelpfeife oder’ ein anderes Blasinſtrument’ giebt auch bisweilen mehr als einen Ton zugleich, wenn die Art des Anblaſens zwiſchen denen, welche zu genauer Hervorbringung des einen und des andern Tones erfordert werden, ungefaͤhr die Mitte haͤlt. An einer offenen Pfeife koͤnnen nur ſolche Toͤne beyſammen ſeyn, die mit den geraden Zahlen und an einer gedeckten nur ſolche, die mit den ungeraden Zahlen uͤbereinkommen.
Eben ſo wie eine longitudinale Luftſchwingung durch die andere nicht gehindert wird, ſo findet auch ebendaſſelbe Statt bey den Longitudinalſchwingungen eines Stabes oder einer Saite, wo auch bisweilen mehr als ein Ton zugleich vorhanden ſeyn kann.
182.
An einem transverſal ſchwingenden Stabe koͤnnen keine mit der natuͤrlichen Zahlen- folge uͤbereinſtimmenden, ſondern nur ſolche Toͤne beyſammen ſeyn, die ſehr unharmoniſche Verhaͤltniſſe gegen einander haben. Wenn (§. 80.) der Stab an dem einen Ende befeſtigt, und an deni andern frey iſt, ſo wie z. B. die Stifte an der Eiſenvioline ſind, ſo verhaͤlt ſich der Grundton, wo der ganze Stab ſich bewegt, zu dem naͤchſtfolgenden wie 4 : 25 und von dieſem an gerechnet verhaͤlt ſich die Tonfolge, wie die Quadrate von 3, 5, 7, 9 u. ſ. w. mithin wenn man den Grundton als 1 anſehen will, ſo iſt die Folge derer Toͤne, welche zugleich hoͤrbar ſeyn koͤnnen, 1, 6¼, 17, 34, 56¼ u. ſ. w. Jn den kleinſten ganzen Zahlen
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180.
Bey dem Grundtone einer Saite giebt es kein Mittel, um das Mitklingen hoͤherer
Toͤne zu verhindern, weil nirgends ein Schwingungsknoten iſt, und man alſo die Saite nir-
gends beruͤhren oder daͤmpfen darf. Hingegen bey allen denen Schwingungsarten, wo ſich die
Saite in gleiche Theile theilt, laſſen ſich, wie ich ſolches ſchon im Allgemeinen erwaͤhnt habe,
durch Beruͤhrung der Schwingungsknoten alle diejenigen Toͤne ausſchließen, bey welchen die
beruͤhrte Stelle mitſchwingen muͤßte, durch welches Mittel man alſo jeden Ton ganz rein ohne
Beymiſchung irgend eines andern darſtellen kann. Wahrſcheinlich liegt der Grund, warum
die Flageolettoͤne auf dem Violoncell oder andern Geigeninſtrumenten ſanfter klingen, als
ebendieſelben Toͤne, wenn ſie auf die gewoͤhnliche Weiſe gegriffen werden, hauptſaͤchlich darin,
weil dabey nicht ſo leicht eine Beymiſchung anderer Toͤne Statt findet.
181.
Eine Orgelpfeife oder’ ein anderes Blasinſtrument’ giebt auch bisweilen
mehr als einen Ton zugleich, wenn die Art des Anblaſens zwiſchen denen, welche zu genauer
Hervorbringung des einen und des andern Tones erfordert werden, ungefaͤhr die Mitte haͤlt.
An einer offenen Pfeife koͤnnen nur ſolche Toͤne beyſammen ſeyn, die mit den geraden Zahlen
und an einer gedeckten nur ſolche, die mit den ungeraden Zahlen uͤbereinkommen.
Eben ſo wie eine longitudinale Luftſchwingung durch die andere nicht gehindert wird,
ſo findet auch ebendaſſelbe Statt bey den Longitudinalſchwingungen eines Stabes
oder einer Saite, wo auch bisweilen mehr als ein Ton zugleich vorhanden ſeyn kann.
182.
An einem transverſal ſchwingenden Stabe koͤnnen keine mit der natuͤrlichen Zahlen-
folge uͤbereinſtimmenden, ſondern nur ſolche Toͤne beyſammen ſeyn, die ſehr unharmoniſche
Verhaͤltniſſe gegen einander haben. Wenn (§. 80.) der Stab an dem einen Ende befeſtigt,
und an deni andern frey iſt, ſo wie z. B. die Stifte an der Eiſenvioline ſind, ſo verhaͤlt ſich
der Grundton, wo der ganze Stab ſich bewegt, zu dem naͤchſtfolgenden wie 4 : 25 und von
dieſem an gerechnet verhaͤlt ſich die Tonfolge, wie die Quadrate von 3, 5, 7, 9 u. ſ. w.
mithin wenn man den Grundton als 1 anſehen will, ſo iſt die Folge derer Toͤne, welche zugleich
hoͤrbar ſeyn koͤnnen, 1, 6¼, 17[FORMEL], 34[FORMEL], 56¼ u. ſ. w. Jn den kleinſten ganzen Zahlen
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Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/237>, abgerufen am 16.07.2024.
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