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Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802.

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Stimme ohne alle Täuschung nachgeahmt werden, genau beschrieben. Ueber die Entstehung der
Selbstlauter, welche auf einem verschiedenen Verhältnisse der Oeffnung der Lippen und des Zun-
gencanals beruhen, hat Kratzenstein Beobachtungen bebannt gemacht, wegen deren er daß
von der Petersburger Academie der Wissenschaften ausgesetzten Preiß erhalten hatte; sie finden
sich in den Observations sur la physique par Rozier, supplement 1782. p. 358, wie auch im
Auszuge in den Actis Acad. Petrop. 1780. Er hat auch eine Maschine verfertigt, welche den
Schall eines jeden Selbstlauters nachahmt. Herr Hofrath und Leibmedicus Hellwag in Eutin,
dessen zu Tübingen 1781. herausgekommene Jnauguraldissertation de formatione loquelae in-
teressante Bemerkungen enthält, (von der er aber manche seinen damaligen, nicht aber seinen
jetzigen Einsichten gemäße Aeußerungen jetzt zurücknimmt), hat seit der Zeit weit mehrere Unter-
suchungen über den Bau der menschlichen Sprachwerkzeuge, und über deren Bewegung bey Her-
vorbringung eines jeden Lantes angestellt, und die dazu gehörigen Zeichnungen ausgearbeitet;
sollte er sich entschließen, seine Beobachtungen bekannt zu machen, so ist meines Erachtens viel
Nenes und Richtiges zu erwarten.
69.

Jn Orgelpfeifen und allen Arten von Blasinstrumenten wird dadurch,
daß Luft in eine enge Oeffnung schnell strömt, die in der Pfeife oder dem Blasinstrumente
befindliche und also durch Einschließung in eine solche Röhre gewissermaßen von der übrigen
Luft abgesonderte Luftsäule der Länge nach in eine zitternde Bewegung gesetzt. Die Töne
können abhängen 1) von der Art des Anblasens, 2) von der Länge der in dem Jnstrumente
enthaltenen Luftsäule. Wenn eine von diesen beyden Ursachen beträchtlich stärker würkt, als
die andere, so ist sie allein schon im Stande den Ton zu bestimmen; wenn aber keine solche
Ueberlegenheit vorhanden ist, so entsteht ein unreiner Klang, (ausgenommen in dem Falle,
wenn beyde Ursachen ganz gleichförmig würken), weil alsdenn jede dieser beyden Ursachen
einen andern Ton hervorzubringen strebt.

Daß nicht etwa die Pfeife oder das Blasinstrument selbst als der klingende Körper
anzusehen ist, erhellt unter andern schon daraus, weil der Klang nicht verhindert oder ver-
ändert wird, wenn man es an beliebigen Stellen, oder auch in seiner ganzen Oberfläche
festhält oder umwickelt; wie auch daraus, weil die Verschiedenheit der Dicke, des Durch-
messers, und der Materie gar keinen Einfluß auf die Bestimmung der Töne hat, sondern
nur, vielleicht wegen der mehrern oder mindern Reibung der Luft an der innern Fläche, oder
wegen eines schwachen Mitzitterns des Blasinsteumentes selbst, etwas dazu beytragen kann,
den Klang verschiedentlich zu modistciren, und ihm einen bestimmten Character zu geben.

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Stimme ohne alle Taͤuſchung nachgeahmt werden, genau beſchrieben. Ueber die Entſtehung der
Selbſtlauter, welche auf einem verſchiedenen Verhaͤltniſſe der Oeffnung der Lippen und des Zun-
gencanals beruhen, hat Kratzenſtein Beobachtungen bebannt gemacht, wegen deren er daß
von der Petersburger Academie der Wiſſenſchaften ausgeſetzten Preiß erhalten hatte; ſie finden
ſich in den Observations sur la physique par Rozier, supplément 1782. p. 358, wie auch im
Auszuge in den Actis Acad. Petrop. 1780. Er hat auch eine Maſchine verfertigt, welche den
Schall eines jeden Selbſtlauters nachahmt. Herr Hofrath und Leibmedicus Hellwag in Eutin,
deſſen zu Tuͤbingen 1781. herausgekommene Jnauguraldiſſertation de formatione loquelae in-
tereſſante Bemerkungen enthaͤlt, (von der er aber manche ſeinen damaligen, nicht aber ſeinen
jetzigen Einſichten gemaͤße Aeußerungen jetzt zuruͤcknimmt), hat ſeit der Zeit weit mehrere Unter-
ſuchungen uͤber den Bau der menſchlichen Sprachwerkzeuge, und uͤber deren Bewegung bey Her-
vorbringung eines jeden Lantes angeſtellt, und die dazu gehoͤrigen Zeichnungen ausgearbeitet;
ſollte er ſich entſchließen, ſeine Beobachtungen bekannt zu machen, ſo iſt meines Erachtens viel
Nenes und Richtiges zu erwarten.
69.

Jn Orgelpfeifen und allen Arten von Blasinſtrumenten wird dadurch,
daß Luft in eine enge Oeffnung ſchnell ſtroͤmt, die in der Pfeife oder dem Blasinſtrumente
befindliche und alſo durch Einſchließung in eine ſolche Roͤhre gewiſſermaßen von der uͤbrigen
Luft abgeſonderte Luftſaͤule der Laͤnge nach in eine zitternde Bewegung geſetzt. Die Toͤne
koͤnnen abhaͤngen 1) von der Art des Anblaſens, 2) von der Laͤnge der in dem Jnſtrumente
enthaltenen Luftſaͤule. Wenn eine von dieſen beyden Urſachen betraͤchtlich ſtaͤrker wuͤrkt, als
die andere, ſo iſt ſie allein ſchon im Stande den Ton zu beſtimmen; wenn aber keine ſolche
Ueberlegenheit vorhanden iſt, ſo entſteht ein unreiner Klang, (ausgenommen in dem Falle,
wenn beyde Urſachen ganz gleichfoͤrmig wuͤrken), weil alsdenn jede dieſer beyden Urſachen
einen andern Ton hervorzubringen ſtrebt.

Daß nicht etwa die Pfeife oder das Blasinſtrument ſelbſt als der klingende Koͤrper
anzuſehen iſt, erhellt unter andern ſchon daraus, weil der Klang nicht verhindert oder ver-
aͤndert wird, wenn man es an beliebigen Stellen, oder auch in ſeiner ganzen Oberflaͤche
feſthaͤlt oder umwickelt; wie auch daraus, weil die Verſchiedenheit der Dicke, des Durch-
meſſers, und der Materie gar keinen Einfluß auf die Beſtimmung der Toͤne hat, ſondern
nur, vielleicht wegen der mehrern oder mindern Reibung der Luft an der innern Flaͤche, oder
wegen eines ſchwachen Mitzitterns des Blasinſteumentes ſelbſt, etwas dazu beytragen kann,
den Klang verſchiedentlich zu modiſtciren, und ihm einen beſtimmten Character zu geben.

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[83/0117] Stimme ohne alle Taͤuſchung nachgeahmt werden, genau beſchrieben. Ueber die Entſtehung der Selbſtlauter, welche auf einem verſchiedenen Verhaͤltniſſe der Oeffnung der Lippen und des Zun- gencanals beruhen, hat Kratzenſtein Beobachtungen bebannt gemacht, wegen deren er daß von der Petersburger Academie der Wiſſenſchaften ausgeſetzten Preiß erhalten hatte; ſie finden ſich in den Observations sur la physique par Rozier, supplément 1782. p. 358, wie auch im Auszuge in den Actis Acad. Petrop. 1780. Er hat auch eine Maſchine verfertigt, welche den Schall eines jeden Selbſtlauters nachahmt. Herr Hofrath und Leibmedicus Hellwag in Eutin, deſſen zu Tuͤbingen 1781. herausgekommene Jnauguraldiſſertation de formatione loquelae in- tereſſante Bemerkungen enthaͤlt, (von der er aber manche ſeinen damaligen, nicht aber ſeinen jetzigen Einſichten gemaͤße Aeußerungen jetzt zuruͤcknimmt), hat ſeit der Zeit weit mehrere Unter- ſuchungen uͤber den Bau der menſchlichen Sprachwerkzeuge, und uͤber deren Bewegung bey Her- vorbringung eines jeden Lantes angeſtellt, und die dazu gehoͤrigen Zeichnungen ausgearbeitet; ſollte er ſich entſchließen, ſeine Beobachtungen bekannt zu machen, ſo iſt meines Erachtens viel Nenes und Richtiges zu erwarten. 69. Jn Orgelpfeifen und allen Arten von Blasinſtrumenten wird dadurch, daß Luft in eine enge Oeffnung ſchnell ſtroͤmt, die in der Pfeife oder dem Blasinſtrumente befindliche und alſo durch Einſchließung in eine ſolche Roͤhre gewiſſermaßen von der uͤbrigen Luft abgeſonderte Luftſaͤule der Laͤnge nach in eine zitternde Bewegung geſetzt. Die Toͤne koͤnnen abhaͤngen 1) von der Art des Anblaſens, 2) von der Laͤnge der in dem Jnſtrumente enthaltenen Luftſaͤule. Wenn eine von dieſen beyden Urſachen betraͤchtlich ſtaͤrker wuͤrkt, als die andere, ſo iſt ſie allein ſchon im Stande den Ton zu beſtimmen; wenn aber keine ſolche Ueberlegenheit vorhanden iſt, ſo entſteht ein unreiner Klang, (ausgenommen in dem Falle, wenn beyde Urſachen ganz gleichfoͤrmig wuͤrken), weil alsdenn jede dieſer beyden Urſachen einen andern Ton hervorzubringen ſtrebt. Daß nicht etwa die Pfeife oder das Blasinſtrument ſelbſt als der klingende Koͤrper anzuſehen iſt, erhellt unter andern ſchon daraus, weil der Klang nicht verhindert oder ver- aͤndert wird, wenn man es an beliebigen Stellen, oder auch in ſeiner ganzen Oberflaͤche feſthaͤlt oder umwickelt; wie auch daraus, weil die Verſchiedenheit der Dicke, des Durch- meſſers, und der Materie gar keinen Einfluß auf die Beſtimmung der Toͤne hat, ſondern nur, vielleicht wegen der mehrern oder mindern Reibung der Luft an der innern Flaͤche, oder wegen eines ſchwachen Mitzitterns des Blasinſteumentes ſelbſt, etwas dazu beytragen kann, den Klang verſchiedentlich zu modiſtciren, und ihm einen beſtimmten Character zu geben. L 2

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Zitationshilfe: Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/117>, abgerufen am 26.11.2024.