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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Politik und Kirche.
unausbleiblichen Konsequenzen aus den imperial-theokratischen Voraus-
setzungen unwiderleglich gezeigt worden.1) Ergänzt man nun die an-
geführte Stelle durch jene vielen anderen, in denen Luther die Un-
abhängigkeit des "weltlichen Regiments" betont und sie aus der Hier-
archie eines göttlich Eingesetzten vollkommen losreisst, wo er "das
geistliche Recht von dem ersten Buchstaben bis an den letzten zu
Grund ausgetilgt" wissen will, so liegt die wesentlich politisch-nationale
Natur seiner Reformation klar vor Aller Augen. So spricht er z. B.
an einer Stelle: "Christus machet nicht Fürsten oder Herren, Bürger-
meister oder Richter, sondern dasselbige befiehlet er der Vernunft;
diese handelt von äusserlichen Sachen, da müssen Obrigkeit sein."2)
Das ist doch der genaueste Gegensatz zu der römischen Lehre, nach
welcher jede weltliche Stellung -- ob Fürst oder Knecht --, jede
Profession -- ob Lehrer oder Doktor --, als ein kirchliches Amt auf-
zufassen ist (siehe S. 672), und wo vor Allem der Monarch in Gottes

1) Ich kenne kein packenderes Dokument über den von Rom aus betriebenen
Fürstenmord als die Klage des Francis Bacon (im Jahre 1613 oder 1614?) gegen
William Talbot, einen irischen Rechtsanwalt, der zwar den Treueid zu leisten
bereit gewesen war, jedoch, was eine eventuelle Verpflichtung, den exkommuni-
zierten König zu ermorden anbetreffe, erklärt hatte, er unterwerfe sich hierin wie
in allen anderen "Glaubensdingen" den Beschlüssen der römischen Kirche. Lord
Bacon giebt bei dieser Gelegenheit eine gedrängte Darstellung der Ermordung
Heinrich's III. und Heinrich's IV. von Frankreich und der verschiedenen Attentate
von derselben Seite auf das Leben der Königin Elisabeth und König Jakob's I.
Aus diesem knappen zeitgenössischen Bericht weht Einem jene Atmosphäre des
Meuchelmordes entgegen, die drei Jahrhunderte lang, vom Thron bis zur Bauern-
hütte, die aufstrebende Welt der Germanen umgeben sollte. Hätte Bacon später
gelebt, er hätte viel Gelegenheit zur Ergänzung gehabt; namentlich Cromwell, der
sich zum Vertreter des Protestantismus in ganz Europa aufgeworfen hatte, schwebte in
täglicher, stündlicher Gefahr. Wenn heute ein irregeleiteter Proletarier einen Anschlag
auf das Leben eines Monarchen unternimmt, schreit die ganze gesittete Welt voll
Empörung laut auf und regelmässig wird verkündet, das seien die Folgen des
Abfalles von der Kirche; doch früher lautete das Lied ganz anders, da waren die
Mönche die Königsmörder, und Gott hatte ihnen die Hand geführt. So rief z. B.
Papst Sixtus V. jubelnd im Konsistorium aus, als er die Mordthat des Dominikaners
Clement erfuhr: "che'l successo della morte del re di Francia si ha da conoscer dal
voler espresso del signor Dio, e che percio si doveva confidar che continuarebbe al haver
quel regno nella sua protettione
" (Ranke: Päpste, 9. Aufl., II, 113). Dass Thomas
von Aquin den Tyrannenmord zu den "gottlosen Mitteln" gerechnet hatte, fand
hier natürlich keine Anwendung, denn es handelte sich nicht um Tyrannen, sondern
um Häretiker (und diese sind vogelfrei, siehe S. 679), oder um allzu freiheitlich
gesinnte Katholiken, wie Heinrich IV.
2) Von weltlicher Obrigkeit.
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 54

Politik und Kirche.
unausbleiblichen Konsequenzen aus den imperial-theokratischen Voraus-
setzungen unwiderleglich gezeigt worden.1) Ergänzt man nun die an-
geführte Stelle durch jene vielen anderen, in denen Luther die Un-
abhängigkeit des »weltlichen Regiments« betont und sie aus der Hier-
archie eines göttlich Eingesetzten vollkommen losreisst, wo er »das
geistliche Recht von dem ersten Buchstaben bis an den letzten zu
Grund ausgetilgt« wissen will, so liegt die wesentlich politisch-nationale
Natur seiner Reformation klar vor Aller Augen. So spricht er z. B.
an einer Stelle: »Christus machet nicht Fürsten oder Herren, Bürger-
meister oder Richter, sondern dasselbige befiehlet er der Vernunft;
diese handelt von äusserlichen Sachen, da müssen Obrigkeit sein.«2)
Das ist doch der genaueste Gegensatz zu der römischen Lehre, nach
welcher jede weltliche Stellung — ob Fürst oder Knecht —, jede
Profession — ob Lehrer oder Doktor —, als ein kirchliches Amt auf-
zufassen ist (siehe S. 672), und wo vor Allem der Monarch in Gottes

1) Ich kenne kein packenderes Dokument über den von Rom aus betriebenen
Fürstenmord als die Klage des Francis Bacon (im Jahre 1613 oder 1614?) gegen
William Talbot, einen irischen Rechtsanwalt, der zwar den Treueid zu leisten
bereit gewesen war, jedoch, was eine eventuelle Verpflichtung, den exkommuni-
zierten König zu ermorden anbetreffe, erklärt hatte, er unterwerfe sich hierin wie
in allen anderen »Glaubensdingen« den Beschlüssen der römischen Kirche. Lord
Bacon giebt bei dieser Gelegenheit eine gedrängte Darstellung der Ermordung
Heinrich’s III. und Heinrich’s IV. von Frankreich und der verschiedenen Attentate
von derselben Seite auf das Leben der Königin Elisabeth und König Jakob’s I.
Aus diesem knappen zeitgenössischen Bericht weht Einem jene Atmosphäre des
Meuchelmordes entgegen, die drei Jahrhunderte lang, vom Thron bis zur Bauern-
hütte, die aufstrebende Welt der Germanen umgeben sollte. Hätte Bacon später
gelebt, er hätte viel Gelegenheit zur Ergänzung gehabt; namentlich Cromwell, der
sich zum Vertreter des Protestantismus in ganz Europa aufgeworfen hatte, schwebte in
täglicher, stündlicher Gefahr. Wenn heute ein irregeleiteter Proletarier einen Anschlag
auf das Leben eines Monarchen unternimmt, schreit die ganze gesittete Welt voll
Empörung laut auf und regelmässig wird verkündet, das seien die Folgen des
Abfalles von der Kirche; doch früher lautete das Lied ganz anders, da waren die
Mönche die Königsmörder, und Gott hatte ihnen die Hand geführt. So rief z. B.
Papst Sixtus V. jubelnd im Konsistorium aus, als er die Mordthat des Dominikaners
Clément erfuhr: »che’l successo della morte del re di Francia si ha da conoscer dal
voler espresso del signor Dio, e che perciò si doveva confidar che continuarebbe al haver
quel regno nella sua protettione
« (Ranke: Päpste, 9. Aufl., II, 113). Dass Thomas
von Aquin den Tyrannenmord zu den »gottlosen Mitteln« gerechnet hatte, fand
hier natürlich keine Anwendung, denn es handelte sich nicht um Tyrannen, sondern
um Häretiker (und diese sind vogelfrei, siehe S. 679), oder um allzu freiheitlich
gesinnte Katholiken, wie Heinrich IV.
2) Von weltlicher Obrigkeit.
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 54
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[841/0320] Politik und Kirche. unausbleiblichen Konsequenzen aus den imperial-theokratischen Voraus- setzungen unwiderleglich gezeigt worden. 1) Ergänzt man nun die an- geführte Stelle durch jene vielen anderen, in denen Luther die Un- abhängigkeit des »weltlichen Regiments« betont und sie aus der Hier- archie eines göttlich Eingesetzten vollkommen losreisst, wo er »das geistliche Recht von dem ersten Buchstaben bis an den letzten zu Grund ausgetilgt« wissen will, so liegt die wesentlich politisch-nationale Natur seiner Reformation klar vor Aller Augen. So spricht er z. B. an einer Stelle: »Christus machet nicht Fürsten oder Herren, Bürger- meister oder Richter, sondern dasselbige befiehlet er der Vernunft; diese handelt von äusserlichen Sachen, da müssen Obrigkeit sein.« 2) Das ist doch der genaueste Gegensatz zu der römischen Lehre, nach welcher jede weltliche Stellung — ob Fürst oder Knecht —, jede Profession — ob Lehrer oder Doktor —, als ein kirchliches Amt auf- zufassen ist (siehe S. 672), und wo vor Allem der Monarch in Gottes 1) Ich kenne kein packenderes Dokument über den von Rom aus betriebenen Fürstenmord als die Klage des Francis Bacon (im Jahre 1613 oder 1614?) gegen William Talbot, einen irischen Rechtsanwalt, der zwar den Treueid zu leisten bereit gewesen war, jedoch, was eine eventuelle Verpflichtung, den exkommuni- zierten König zu ermorden anbetreffe, erklärt hatte, er unterwerfe sich hierin wie in allen anderen »Glaubensdingen« den Beschlüssen der römischen Kirche. Lord Bacon giebt bei dieser Gelegenheit eine gedrängte Darstellung der Ermordung Heinrich’s III. und Heinrich’s IV. von Frankreich und der verschiedenen Attentate von derselben Seite auf das Leben der Königin Elisabeth und König Jakob’s I. Aus diesem knappen zeitgenössischen Bericht weht Einem jene Atmosphäre des Meuchelmordes entgegen, die drei Jahrhunderte lang, vom Thron bis zur Bauern- hütte, die aufstrebende Welt der Germanen umgeben sollte. Hätte Bacon später gelebt, er hätte viel Gelegenheit zur Ergänzung gehabt; namentlich Cromwell, der sich zum Vertreter des Protestantismus in ganz Europa aufgeworfen hatte, schwebte in täglicher, stündlicher Gefahr. Wenn heute ein irregeleiteter Proletarier einen Anschlag auf das Leben eines Monarchen unternimmt, schreit die ganze gesittete Welt voll Empörung laut auf und regelmässig wird verkündet, das seien die Folgen des Abfalles von der Kirche; doch früher lautete das Lied ganz anders, da waren die Mönche die Königsmörder, und Gott hatte ihnen die Hand geführt. So rief z. B. Papst Sixtus V. jubelnd im Konsistorium aus, als er die Mordthat des Dominikaners Clément erfuhr: »che’l successo della morte del re di Francia si ha da conoscer dal voler espresso del signor Dio, e che perciò si doveva confidar che continuarebbe al haver quel regno nella sua protettione« (Ranke: Päpste, 9. Aufl., II, 113). Dass Thomas von Aquin den Tyrannenmord zu den »gottlosen Mitteln« gerechnet hatte, fand hier natürlich keine Anwendung, denn es handelte sich nicht um Tyrannen, sondern um Häretiker (und diese sind vogelfrei, siehe S. 679), oder um allzu freiheitlich gesinnte Katholiken, wie Heinrich IV. 2) Von weltlicher Obrigkeit. Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 54

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 841. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/320>, abgerufen am 22.05.2024.